Österreichs Einzelhandel fehlen 18.000 Mitarbeiter. Die Lohnrunde im Herbst wird zu einer Gratwanderung.

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Wien – Rund eine Million Euro mehr koste ihn künftig der Strom für seine 60 eigenen Filialen, zieht Andreas Haider, Eigentümer der Supermarktkette Unimarkt, Bilanz. Wobei er noch von Glück sprechen könne, da er reichlich günstige Energie auf Vorrat gekauft und Photovoltaikanlagen installiert habe.

Ebenso schwer ins Gewicht fällt für den österreichischen Lebensmittelhändler die teurere Logistik. Gut drei Millionen Kilometer legen seine Lkws im Jahr zurück. Die Ausgaben für Sprit haben sich verdoppelt.

Und die Kunden? Diese greifen in den Geschäften statt zu regulären Markenartikeln verstärkt zu billiger Aktionsware, sagt Haider. Vor allem bei Fleisch hätten Filetstücke und Nachhaltigkeit das Nachsehen.

Vorbei sei allerdings auch der Hang zur Verschwendung. "Die Leute kaufen bewusster ein und werfen weniger Nahrungsmittel weg."

Kurzes Strohfeuer

Harte Zeiten kämen auf den Einzelhandel im Herbst zu, ist Haider überzeugt. Dann kehrten die Österreicher aus dem Urlaub zurück – und neue Vorschreibungen der Energieversorger flatterten ihnen ins Haus.

Die Hoffnung des von der Corona-Krise tief in Mitleidenschaft gezogenen Handels auf Erholung währte nur kurz. Viele Nachholeffekte entpuppten sich als Strohfeuer. Von der Rückkehr zu einem Konsumverhalten wie in den Jahren vor 2020 ist quer durch die Branche keine Rede.

Rainer Will, Chef des Handelsverbands, spricht von einer toxischen Mischung. Die Ausgaben der Unternehmen stiegen, während die Kaufkraft sinke. Allein im Juli erhöhten sich die Preise im Großhandel um nahezu 23 Prozent.

Teurere Mieten

Dazu kommt, dass dem Handel mehr als 18.000 Mitarbeiter fehlen. Hohe Gehaltsforderungen der Arbeitnehmer bei der im Oktober startenden neuen Lohnrunde liegen für Will auf der Hand. Auch viele Vermieter wollten die starke Teuerung abgegolten wissen.

Auf den Handel rolle eine Kostenlawine zu, die dieser nicht überstehen werde, warnt Will. "Viele Unternehmen stehen vor einer Zerreißprobe." Sie würden dazu gezwungen, ihre Preise anzupassen, was die Inflation jedoch zusätzlich befeuere.

Will geht für Österreichs Einzelhandel heuer von einem realen Umsatzverlust aus. Bis Jahresende werde die Zahl der Geschäfte auf unter 30.000 sinken. 2018 waren es noch 37.600. Corona und die aktuelle Krise kosteten damit seither jeden vierten Shop die Existenz, sagt er. "Der Strukturwandel beschleunigt sich."

Doppelt so viele Pleiten

Die Zahl der Pleiten in der Branche hat sich im Vergleich zum Vorjahreszeitraum verdoppelt. 229 Betriebe meldeten Insolvenz an – erheblich mehr als in der Gastronomie und fast gleich viel wie im Bau.

Umsatzvergleiche zu den Vorjahren sind aufgrund der zahlreichen Lockdowns schwierig; Licht am Ende des Tunnels versprechen sie dem Einzelhandel jedenfalls nicht.

Statistik Austria weist diesem für Juni reale Einbußen von 5,5 Prozent aus. Ohne Lebensmittelhandel liegt das Minus bei mehr als acht Prozent. Lebensmittelgeschäfte allein verloren über das gesamte erste Halbjahr betrachtet trotz höherer Preise beinahe fünf Prozent ihres Umsatzes.

Überraschend ist die Bremsspur der Supermärkte nicht. Denn statt mehr oder weniger freiwillig daheim zu kochen, zieht es viele Konsumenten wieder zu ihren Wirten. Aufs Geld geschaut wird da wie dort.

Diskont statt Markenware

97 Prozent der Bevölkerung spüren die Folgen der hohen Inflation in den eigenen vier Wänden, erhob eine aktuelle Umfrage von Mindtake Research für den Handelsverband. Mehr als 70 Prozent verschieben Investitionen. Drei Viertel kaufen vermehrt Diskontware. Gespart werde primär bei Elektrogeräten, Bekleidung, Schuhen und Schmuck.

Nervosität grassiert einmal mehr im Modehandel. Selbst erfolgsverwöhnten Konzernen zerbröseln die Gewinne. Viele unter ihnen sind noch weit von ihren Absätzen von vor Corona entfernt. Rauer denn je ist der Ton auf dem Lebensmittelmarkt. Industrie und Handel kämpfen mit harten Bandagen um die Preise. Was national wie international zählt, sind Macht und Größe.

Ein trübes Bild des Handels zeichnet auch Rainer Trefelik, Handelsobmann in der Wirtschaftskammer. Wobei er zugleich davor warnt, dass dieses zur selbsterfüllenden Prophezeiung werden könne, Konsum lebe schließlich von Optimismus.

Unsicherer Herbst

Der Herbst werde ein unsicherer, das kommende Jahr eine große Herausforderung, meint Trefelik. "Extrem schwierige Rahmenbedingungen" macht er für die Kollektivvertragsverhandlungen aus: Die Lohnerwartungen seien hoch, alle Vorprodukte teuer. Zugleich aber dürfe der Handel seine Preise nicht anheben. Und selbst wenn er dies tue – "wer soll das alles kaufen?".

Der massive Mangel an Mitarbeitern mache die Sache noch heikler. Trefelik erzählt von Handelsketten mit mehr als hundert unbesetzten Stellen. 72 Prozent der Mitarbeiter im Einzelhandel sind Frauen.

Rainer Will fordert einen Ausbau der ganztägigen Kinderbetreuung auf dem Land. "Denn wir müssen auch bei Überbezahlung um Vollzeitkräfte betteln." (Verena Kainrath, 11.8.2022)