Elf. Auf so viele Gummibären müssen Naschkatzen demnächst im Schnitt pro Packung verzichten. Der deutsche Süßigkeitenriese Haribo schrumpft seine Verpackungen und reduziert den Inhalt bei Goldbären von den üblichen 200 auf 175 Gramm. Die unverbindliche Preisempfehlung bleibt allerdings gleich. Das "Gute" an dieser schlechten Nachricht: Die Maßnahme trifft nur den deutschen Markt, in Österreich bleibt zumindest vorerst alles beim Alten. Es schrumpfen also nur die Tüten und nicht die Sackerln.

Gefeit sind wir vor solchen Schritten in Österreich aber mitnichten. In Zeiten hoher Inflation sind versteckte Preiserhöhungen sehr verlockend für die Industrie. Der Preis bleibt gleich, die Verpackung sieht gleich aus, trotzdem ist weniger drin. Dann wiegt die Tafel Schokolade zum Beispiel nur noch 90 statt 100 Gramm, oder im Müsli sind statt 400 nur noch 350 Gramm enthalten. "Shrinkflation" nennt sich der englische Fachterminus für dieses Verhalten. Dieses "Mehr für weniger"-Konzept gibt es aber nicht nur bei Lebensmitteln, auch von Klopapier oder Windeln kennt man das.

Auf elf Gummibärli pro Packung müssen die Deutschen künftig verzichten.
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Gesetzesänderung hilft Unternehmen

"Seit 2009 haben Unternehmen recht freie Hand bei Verpackungen, damals wurde die entsprechende Verordnung geändert", sagt Teresa Bauer vom Verein für Konsumenteninformation (VKI). Man schaue seither sehr viel genauer hin, allein heuer seien bereits mehr als 100 Beschwerden zum Thema Verpackung eingegangen. Rund ein Drittel aller Meldungen beim VKI drehe sich um das Thema "Mogelpackung". Nutella, Rama, Knabbernossi und Tutti Frutti seien in jüngerer Vergangenheit prominente Namen gewesen, die sich für mehr Luft in der Verpackung entschieden hatten.

Direkte Auswirkungen der aktuellen Teuerungswelle sieht Bauer in Österreich noch nicht, die Entwicklung hat aber gerade erst begonnen. Die Pandemie, aber vor allem der Krieg in der Ukraine hat die Kosten für Lebensmittel massiv in die Höhe getrieben. Die Inflation erreicht Rekordwerte. Expertinnen und Experten erwarten, dass die Welle an versteckten Teuerungen erst in sechs bis acht Monaten richtig starten wird. Die Umstellung von Füllmengen, Etiketten et cetera brauche einen gewissen Vorlauf.

Gestiegene Kosten

Dass bald elf Goldbären weniger je Tüte verpackt sind, rechtfertigt Haribo mit ebenjener globalen Entwicklung. "Seit Anfang des Jahres sind wir mit außergewöhnlich steigenden Kosten für hochwertige Zutaten, aber auch Folien, Kartonage sowie Energie und Logistik im hohen doppelstelligen Bereich konfrontiert", sagt ein Sprecher zum STANDARD. "Das zwingt uns, unsere Verpackungsgrößen und Preise anzupassen." Nur so könne man die gewohnte Qualität sichern.

In Österreich bleiben – zumindest vorerst – weiterhin 200 Gramm Goldbären im Sackerl. Darauf verlassen, dass das so bleibt, sollte man sich nicht.
Foto: APA/HARIBO GmbH & Co. KG

Warum es diese Verkleinerung nur in Deutschland braucht, verrät Haribo nicht. In Österreich hingegen hat der Konzern Anfang Juli den unverbindlichen Verkaufspreis erhöht, das Sackerl bleibt allerdings gleich groß. Über die Verbraucherpreise entscheide dann der Handel allein. In Österreich betreibt Haribo einen Standort in Linz, wo täglich 75 Tonnen Süßigkeiten produziert werden.

"Vertrauensbruch"

Wenn Unternehmen ihre Verpackungsgrößen ändern, ist das nicht verboten. Machen sie es jedoch heimlich über eine kleine Änderung bei der Menge, kommt das beim Verbraucher nicht gut an. "Will der Hersteller die Teuerung kaschieren, und der Kunde merkt es, ist das ein Vertrauensbruch", sagt VKI-Expertin Bauer. "Gerade momentan sind Preissteigerungen legitim, aber sie sollen am Preisschild ankommen und nicht durch die Hintertür."

Ganz ungeschoren kommen Produzenten dann doch nicht immer davon, wie jüngst das Beispiel des beliebten Schnittenherstellers Manner zeigte. Das Handelsgericht Wien hat Manner vor einem Monat verurteilt, weil bei den "Mozart Mignon Schnitten" zu wenig Inhalt und zu viel Luft im Schüttelbeutel sei. Geklagt hatte der VKI im Auftrag des Sozialministeriums. Das Gericht habe die Rechtsauffassung des VKI bestätigt und die Verpackung des Schüttelbeutels als irreführend beurteilt. Das Urteil ist nicht rechtskräftig, Manner kündigte an, Rechtsmittel einzulegen. Dem VKI zufolge ist das noch nicht passiert, die Frist läuft aber noch.

In Österreich hat Haribo den unverbindlichen Verkaufspreis erhöht. Den finalen Preis legt dann zwar der Handel fest, doch mit einer Erhöhung ist zu rechnen.
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Macht der Gewohnheit

Psychologie spielt im Handel eine wichtige Rolle, wie in vielen anderen Lebensbereichen sind Änderungen nicht gerne gesehen. "Der Handel hat großes Interesse daran, dass der Preis gleich bleibt", sagt Armin Valet von der Verbraucherzentrale Hamburg. Käufer reagieren auf Vertrautes, bekannte Preise gehören auch dazu. Für die Hersteller ist das ein Problem, das sie gerne mit Mengenreduktion lösen.

In Hamburg meldeten Kunden kürzlich einen besonderen Fall der Shrinkflation. Bei Lidl sei bei einer bestimmten Sorte Klopapier zwar die Anzahl der Blätter pro Rolle gleich geblieben – "doch tatsächlich schrumpfte das einzelne Blatt". Im Ergebnis bedeute das "rund drei Meter weniger Papier pro Rolle".

Dass Unternehmen aktuell die Preise erhöhen, ist nachvollziehbar. Wer es heimlich tut, bewegt sich allerdings auf einem schmalen Grat. Die Teuerung explodiert, Kundinnen und Kunden achten viel bewusster darauf, was sie kaufen. Der von VKI-Expertin Bauer erwähnte "Vertrauensbruch" kann für Firmen also weitreichende Folgen haben. Haribo kommuniziert seine Teuerung deswegen lieber offen. Naschkatzen werden dennoch um die elf Goldbären trauern. (Andreas Danzer, 12.8.2022)