Der Fokus des Smartphones liegt eindeutig auf der riesigen Kamera.

Foto: STANDARD / Mickey Manakas

Jahr für Jahr veranstalten Smartphone-Hersteller ein Wettrennen um die beste Kamera. Sie versprechen einen schnelleren Autofokus, bessere Fotos in schlechten Lichtverhältnissen, höher auflösende Videos – und immer größere Sensoren. Mit dem Xiaomi 12S Ultra ist es der chinesischen Firma nun öffentlichkeitswirksam gelungen, die Konkurrenz zumindest technisch auszustechen.

Auf der Rückseite des Geräts thront ein für Mobiltelefone ungewöhnlich großer Kamerasensor. Einen Zoll misst dieser laut dem Hersteller, obwohl er in Wirklichkeit etwas kleiner sein dürfte. Dazu später mehr. Dennoch verspricht das gigantische Kameramodul – entwickelt in Kooperation mit Leica –, hervorragende Bilder abzuliefern. Immerhin kann ein größerer Sensor auch mehr Licht einfangen. Aber spiegelt sich das wirklich in den Fotos wider?

Eines vorab: Der Testbericht konzentriert sich auf die Kamera des Smartphones. Die restliche Ausstattung, also Display, Prozessor und Akku, gleicht jener des bereits im Frühjahr erschienenen Xiaomi 12 Pro. Beispielfotos in voller Auflösung findet man unter diesem Link.

Technischer Exkurs

Zurück zum Wichtigen. Dass sich die Mühen der Xiaomi-Ingenieure auf das kreisrunde Kameramodul fokussierten, sieht man schon beim Auspacken. Dieses nimmt, hinterlegt mit einem mattschwarzen Quadrat, etwas mehr als ein Drittel der Gehäuserückseite ein. Verbaut wurden neben der Hauptkamera ein Ultraweitwinkel- und ein Teleobjektiv. Diese haben eine äquivalente Brennweite von 13 und 120 Millimetern und lösen jeweils mit 48 Megapixeln auf.

Auf den ersten Blick würde man fälschlicherweise vermuten, dass es sich bei der Hauptkamera um das prominent und mittig platzierte Objektiv handelt. In Wirklichkeit kann man diese jedoch auf der linken Seite des Moduls erkennen, wo sie gut versteckt wurde.

Von vorn sieht das Smartphone genauso aus wie das Xiaomi 12 Pro.
Foto: STANDARD / Mickey Manakas

Das technische Grundgerüst dafür stellt Sony. Das 12S Ultra ist das erste Smartphone, in dem der neue – und ein Zoll große – IMX989-Sensor mit einer Auflösung von 50 Megapixeln verbaut ist. Dank Pixel-Binning-Technologie haben die Aufnahmen eine Auflösung von zwölf Megapixeln. Die Ultrawide- und eine Telekamera sind zwar jeweils mit hochauflösenden Sensoren ausgestattet, die jedoch deutlich kleiner sind.

Was das für die Praxis bedeutet

Dennoch: Die Fotos der Hauptkamera wissen zuverlässig zu begeistern. Sowohl bei Tageslicht als auch in der Nacht lässt das 12S Ultra sogar Top-Smartphones wie das iPhone 13 alt aussehen. Besonders beeindruckend ist dabei der große Dynamikumfang. Selbst bei Gegenlichtaufnahmen oder Bildern mit gemischter Lichtsituation schafft es die Kamera, Details in allen Bildbereichen einzufangen.

Dasselbe gilt für Nachtaufnahmen. Ist es zu dunkel, wird automatisch der Nachtmodus aktiviert, um die korrekte Belichtung sicherzustellen. Das Smartphone schafft es fast immer, korrekt belichtete Fotos mit guten Farbkontrasten zu produzieren.

Beispiele im Vergleich

Ein sehr gutes Beispiel sind die unter diesem Absatz zu sehenden Aufnahmen eines Schaufensters bei Nacht. Aus der hell strahlenden Beleuchtung ergibt sich ein großer Kontrast zwischen Umgebung und Bildmitte. Dennoch schafft es das Xiaomi, sowohl die Highlights als auch die Schattenbereiche einzufangen und die farblichen Details zu erhalten. Dadurch wirkt das Bild sehr ausgewogen, natürlich und vor allem lebendig.

Vor allem bei Nachtaufnahmen zeigen sich die Stärken des 12S Ultra. Das obere Foto stammt vom Testgerät, das untere vom iPhone 13.
Foto: STANDARD / Mickey Manakas

Dies wird besonders deutlich, wenn man das Foto mit einer iPhone-Aufnahme vergleicht. Die Bildmitte, also das beleuchtete Schaufenster, kann auch hier mit einer ausgewogenen Belichtung punkten. Im Gegensatz zum 12S Ultra schafft die Kamera es allerdings nicht, auch die Schatten korrekt zu belichten. Stattdessen versinken diese zusehends in einer unerkennbaren Dunkelheit, die Farben sind ausgewaschen, die Details verschwindend gering und das Bildrauschen deutlich sichtbar. Allgemein wirkt die Aufnahme etwas "matschig", da die einzelnen Details in einem braunen Einheitsbrei verschwimmen.

Für einen weiteren Vergleich bietet sich das Foto eines Baums an, das in Richtung Sonne geschossen wurde. Das Testgerät schafft es, trotz enormer Helligkeitsunterschiede eine ausgewogene Belichtung zu erzielen, bei der auch der rückseitig angestrahlte Vordergrund gut ausgeleuchtet ist. Bei genauerer Betrachtung kann man hier auch erkennen, dass der größere Sensor zu einer ausgeprägteren Tiefenunschärfe, dem sogenannten Bokeh, führt. Der Hintergrund wirkt dadurch weicher und auch ruhiger als beim iPhone 13.

Dasselbe gilt bei Fotos mit Gegenlicht. Das linke Bild wurde mit dem 12S Ultra aufgenommen, das rechte mit dem iPhone 13.
Foto: STANDARD / Mickey Manakas

Unterdessen schafft es das iPhone 13 nicht annähernd so gut, sowohl Vorder- als auch Hintergrund gleichmäßig auszuleuchten. Das lässt sich zwar in der Nachbearbeitung korrigieren – zieht aber ein deutlich erkennbares Bildrauschen nach sich.

Spannend ist bei alldem, dass die Kamera-App des Xiaomi 12S Ultra trotz des riesigen Sensors und der hohen Auflösung fast nie ins Stottern kommt. Aufnahmen tauchen nach Drücken des Auslösers sofort in der Galerie auf, und der Nachtmodus ist meist ein paar Sekunden schneller als bei der Konkurrenz. Das klingt nach wenig, ist in der Praxis aber deutlich spürbar.

Nicht ohne Schwächen

Es ist aber nicht alles perfekt. Gerade bei Nachtaufnahmen kam es in manchen Situationen vor, dass die Belichtung erst nach zwei bis drei Versuchen optimal war, während das Vergleichsgerät ohne Umweg zuverlässige Ergebnisse lieferte. Außerdem fällt auf, dass der Weißabgleich grundsätzlich etwas zu weit auf der kühlen Seite liegt. In manchen Situationen ist hier also etwas Nachbesserung notwendig.

Außerdem muss hervorgehoben werden, dass sich die hervorragende Leistung der Hauptkamera leider nicht auf das Ultraweitwinkel- und das Teleobjektiv übertragen lässt. Wegen der kleineren Sensorgröße sind Fotos mit diesen deutlich unschärfer, vor allem in der Nacht können sie nicht immer überzeugen. Hinzu kommt, dass sich die Farbstimmung und der Weißabgleich beim Wechsel zwischen den Kameras massiv verändern. Fotos im Ultraweitwinkel- oder Telebereich wirken vergleichsweise ausgewaschen und haben häufig einen Violettstich. Gerade bei Ersterem kommt hinzu, dass die Auflösung selbst bei Tageslicht unterdurchschnittlich ist.

Das ist schade, trübt es doch das Gesamtbild eines wirklich überzeugenden Smartphones. Es wirkt jedoch, als hätte man alle Ressourcen in die Verarbeitung der Hauptkamera investiert – um dann zwei weitere Sensoren zu verbauen, weil es mittlerweile eben branchenüblich ist.

Leider nimmt die Qualität rasant ab, wenn man stattdessen das Ultraweitwinkelobjektiv nutzt.
Foto: STANDARD / Mickey Manakas

Was hat das mit Leica zu tun?

Im Detail ist übrigens unbekannt, welchen Beitrag Leica zur Entwicklung des Objektivs geleistet hat. Auf der Geräterückseite kann man den Produktnamen "Summicron" lesen, dabei handelt es sich um Kleinbildobjektive des Kameraherstellers. Außer dem Namen dürften diese jedoch kaum etwas mit dem Xiaomi gemeinsam haben. In einer Pressemitteilung ist bloß die Rede von einer gemeinsamen Entwicklung der optischen Linsen, die sich "an die strengen optischen Qualitätsprüfungsstandards von Leica" halten müssen.

Außerdem werden die verbauten Bildprofile "Leica Authentic" und "Leica Vibrant" beworben, mit denen die "jahrhundertealte Bildästhetik von Leica" auf das Smartphone gebracht werden soll. In Wirklichkeit weiß aber keines der beiden Farbprofile wirklich zu begeistern. Die Frage ist außerdem, was hier mit einer "jahrhundertealten Bildästhetik" gemeint sein soll. Bevor digitale Fotografie aufkam, belichtete man mit Leica-Kameras analoge Filme – die wiederum von Firmen wie Kodak hergestellt werden.

Kleiner als gedacht

An dieser Stelle muss außerdem hervorgehoben werden, dass der beworbene Ein-Zoll-Sensor nicht wirklich einen Zoll misst. Stattdessen beträgt die Bilddiagonale nur 16 Millimeter, wie der Youtuber "Jerry Rig Everything" bei einem Teardown herausfand. Unüblich ist diese irreführende Namensgebung jedoch nicht. "DP Review" plädierte deshalb dafür, sie zu "1"-Type-Sensor" umzubenennen.

Teleaufnahmen können sich zumindest tagsüber sehen lassen.
Foto: STANDARD / Mickey Manakas

Dass es sich um ein Flaggschiff handelt, merkt man nicht nur an der Kamera. Die Hardware gleicht dem Anfang des Jahres erschienenen Xiaomi 12 Pro. Für eine reibungslose Bedienung sorgt demnach ein Snapdragon 8 Gen 1, je nach Ausführung stehen einem acht oder zwölf Gigabyte Arbeitsspeicher zur Verfügung. Beim Display handelt es sich um ein Amoled-Panel mit einer Auflösung von 3.200 x 1.440 Pixeln und einer maximalen Helligkeit von 1.500 Nits. Dank LTPO-Technologie ist die Bildwiederholrate variabel zwischen einem und 120 Hz. Außerdem mit an Bord sind 5G und Wifi 6E. Alle weiteren Details hat der STANDARD bereits auf Herz und Nieren getestet.

Oberklasse durch und durch

Auch optisch und haptisch merkt man, dass es sich beim 12S Ultra um ein Oberklasse-Smartphone handelt. Die Rückseite ist, abgesehen vom gigantischen Kameramodul, mit einem Fake-Leder überzogen, das für ausreichend Halt bei einhändiger Bedienung sorgt. Die seitlich angebrachten Tasten haben einen guten Druckpunkt, und der im Display angebrachte Fingerabdrucksensor reagiert meist zuverlässig auf Eingaben.

Fast ein Drittel der Geräterückseite ist mit dem Kameramodul bedeckt.
Foto: STANDARD / Mickey Manakas

Fazit

Dank des Ein-Zoll-Sensors schafft es das Xiaomi 12S Ultra, einen wahrhaftigen Innovationssprung hinzulegen. Vor allem im Direktvergleich mit der Konkurrenz zeigt sich der technologische Vorsprung. Selbst Schnappschüsse wirken sichtlich lebendiger, vor allem in der Nacht.

Eine Veröffentlichung in Österreich ist derzeit leider nicht geplant. Wer die Kamera selbst ausprobieren möchte, muss das 12S Ultra also selbst importieren. Günstig ist das nicht. Der Preis liegt derzeit bei mehr als 1.100 Euro, womit sich das Gerät im selben Gewässer bewegt wie andere Top-Smartphones.

Das ist natürlich etwas enttäuschend. Bedenkt man aber, dass es sich um einen Sony-Sensor handelt, dürfte es nicht das letzte Handy mit entsprechender Technologie sein. Darüber hinaus arbeitet Samsung schon seit längerem an einem einen Zoll großen Isocell-Sensor. Es werden zwar nur wenige Europäerinnen und Europäer in den Genuss des neuen Xiaomi kommen. Es erlaubt aber einen Blick in eine mögliche Zukunft der Smartphone-Fotografie – ist also eine Art "Tech-Demo" für das, was bald Standard werden könnte. (Mickey Manakas, 14.8.2022)