Im Mittelmeer abgefangene Migranten und Flüchtlinge warten an der libyschen Küste darauf, wie die Behörden weiter mit ihnen vorgehen. Oft geht es in eines der berüchtigten Internierungslager.

Foto: AP/Yousef Murad

Im Jänner 2021 verkündete Fayez al-Serraj, Premier der international anerkannten libyschen Regierung, die Gründung eines neuen Sicherheitsorgans: Die Stabilization Support Authority (SSA) sollte für mehr Ruhe sorgen im krisengebeutelten Land. So weit, so gut. Doch schon die Ernennung von Abdel Ghani al-Kikli zum Leiter dieser Behörde sorgte bei Beobachtern für Stirnrunzeln. Der nämlich ist eigentlich als berüchtigter Warlord "Gheniwa" bekannt, dem zahlreiche Kriegsverbrechen und Menschenrechtsverstöße vorgeworfen werden.

Angesichts dieser Ausgangslage ist es nicht ganz verwunderlich, dass die SSA nun, mehr als eineinhalb Jahre später, mit zahlreichen Vorwürfen konfrontiert ist. Ende Juli zitierte die Nachrichtenagentur AP mehrere Migranten, die in die Fänge der neuen Behörde gerieten. Sie berichteten von Folter und Missbrauch in den Internierungslagern der SSA. "Alles, was ich wollte, war, diese Hölle zu verlassen", sagte etwa der Ägypter Rabei. Er habe mehrere Male gesehen, wie andere Migranten von den Wärtern bewusstlos geprügelt und dann weggetragen wurden. Und er habe keine Ahnung, ob sie noch leben.

Regierung kritisiert Amnesty

Bereits im Mai warf Amnesty International der SSA in einem Bericht unter anderem rechtswidrige Tötungen, willkürliche Festnahmen, Folter und Zwangsarbeit vor. Die Regierung in Tripolis, nun geführt von Premier Abdul Hamid Dbeibah, kritisierte den Amnesty-Bericht als "unprofessionell und unglaubwürdig". Die SSA selbst erklärte, sie "hält libysches Recht hoch" und lasse sich die Option offen, Amnesty wegen Verleumdung des libyschen Staates zu verklagen.

Seitdem hat sich an den Praktiken der SSA nichts geändert, wie eine mit dem Thema vertraute Person dem STANDARD bestätigt. Die Zustände in deren Lagern seien "sehr, sehr schlecht". Es gäbe Bestrafungen und andere Menschenrechtsverletzungen, so die Person in Libyen, die aus Sicherheitsgründen anonym bleiben will. Und de facto müsse die SSA niemandem Bericht ablegen, könne also vollkommen autonom agieren, während sie von der Regierung in Tripolis finanziert wird.

500 Millionen Euro von der EU

Die wiederum hat laut AP seit 2015 rund 500 Millionen Euro von der EU erhalten, um die Küstenwache zu stärken, die Südgrenze abzusichern und die Bedingungen in den Internierungslagern zu verbessern. Geplant war, dass EU und Uno regelmäßig die Lager überprüfen. Doch zu den Einrichtungen der SSA hat niemand Zugang, berichten unisono AP, Amnesty und Hilfsorganisationen.

Abgesehen davon hat sich die Lage für Migranten in Libyen zuletzt kaum geändert, sagt Federico Soda zum STANDARD. Der Leiter der Libyen-Mission der Internationalen Organisation für Migration (IOM) erklärt, es gebe weiter viele Herausforderungen, um diesen Menschen zu helfen. Wenigstens habe man Zugang zu den insgesamt 24 Lagern der Agentur zur Bekämpfung illegaler Migration (DCIM) unter Kontrolle des Innenministeriums.

"Ein Teufelskreis"

Doch bleibe alles ein großes Geschäft, so Soda: "Die Menschen zahlen, um in ein Boot nach Europa zu kommen. Dann werden sie von der libyschen Küstenwache abgefangen und in ein Internierungslager gebracht. Dort müssen sie zahlen, um freigelassen werden. Wenn sie noch Geld haben, zahlen manche wieder für einen Platz im Boot. Es ist ein Teufelskreis."

Laut Caroline Gluck vom Flüchtlingshochkommissariat (UNHCR) in Libyen waren mit Stand 1. Juli rund 43.000 Flüchtlinge und Asylwerber registriert, zudem laut IOM mehr als 600.000 Migranten. In den Internierungslagern der DCIM befanden sich Ende Juli laut Gluck 2774 Flüchtlinge und Migranten.

IOM schafft es regelmäßig, Menschen aus diesen Lagern zu retten und sie nach Hause zu befördern. "Wir tun unser Bestes", so Soda, "aber wir können nicht jedem helfen." (Kim Son Hoang, 12.8.2022)