Es schwebt seit geraumer Zeit ein gewisses Merkel-Moment über Olaf Scholz. "You’ll never walk alone", sagt der deutsche Kanzler, und das erinnert an die berühmte Ermunterung seiner Vorgängerin: "Wir schaffen das." Wobei die Herausforderung derzeit für die Deutschen größer ist als 2015. Damals musste ein wohlhabendes Land die Aufnahme hunderttausender Geflüchteter organisieren. Heute droht der Wohlstand verlorenzugehen, weil der russische Präsident jederzeit den Gashahn abdrehen könnte.

Es war gut, dass Scholz in seiner ersten großen Sommerpressekonferenz noch einmal klargemacht hat, dass seine Regierung die finanziell Schwächeren nicht alleinlassen wird.
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Es war gut, dass Scholz in seiner ersten großen Sommerpressekonferenz noch einmal klargemacht hat, dass seine Regierung die finanziell Schwächeren nicht alleinlassen wird. Aber jetzt sollte rasch etwas Konkretes nachkommen. Derzeit laviert Scholz. Einerseits steht er hinter den Plänen seines Finanzministers Christian Lindner (FDP). Der will keine Steuererhöhungen für Reiche und zudem die kalte Progression bekämpfen, was den Besserverdienern zugutekommt.

Das unglaublich beliebte Neun-Euro-Ticket möchte er nicht über den August hinaus verlängern – das sei ja eine "Gratismentalität". Aber genau dieses Ticket hilft weniger Begüterten – nämlich genau jenen, die Scholz im Auge hat.

So rosig, wie Scholz die Lage malt, ist sie nicht. Und auch, wenn er sie wegreden möchte, es hängt immer noch die Cum-Ex-Steueraffäre aus seiner Hamburger Zeit über ihm. Die könnte Scholz noch länger beschäftigen, als ihm lieb ist. (Birgit Baumann, 11.8.2022)