Wird sein Skandalimage nur schwer los: der österreichische Maskenhersteller Hygiene Austria.

Foto: Hygiene Austria

Am 29. September vergangenen Jahres machten sich Teams aus Korruptionsjägern und Zollfahndern in den frühen Morgenstunden auf den Weg. Ab 8.30 Uhr filzten sie den heimischen Maskenhersteller Hygiene Austria. Aber auch weitere Standorte, die mit dem Unternehmen in Verbindung stehen oder standen. Die Beamten wurden ebenso beim Eigentümer Palmers vorstellig wie beim Ex-Mitinhaber, dem Faserhersteller Lenzing. Sogar die Wohnadressen von Tino und Luca Wieser wurden durchsucht. Die beiden Brüder spielen als Palmers-Vorstände eine eminente Rolle im Hygiene-Austria-Komplex. Tino Wieser war für einige Monate sogar einer der Geschäftsführer der Hygiene Austria. Nun wird ihnen die Hinterziehung von Zollabgaben im Bezug auf FFP2-Masken aus China vorgeworfen. Es gilt die Unschuldsvermutung.

Da haftet das Skandalimage aber längst am früheren Hoffnungsträger der heimischen Politik in der Corona-Krise. Schon ein halbes Jahr zuvor durchsuchten Ermittler dessen Werkshalle im niederösterreichischen Wiener Neudorf wegen mutmaßlich organisierter Schwarzarbeit. Dass Mitarbeiter gerade dabei gewesen seien, FFP2-Masken aus China als made in Austria umzuetikettieren, war ein Zufallsfund. Nach dieser Affäre trat Tino Wieser wenige Wochen später die Geschäftsführung ab, und Lenzing verabschiedete sich im Rosenkrieg mit Palmers aus der Firmenkooperation.

Innerhalb kürzester Zeit verschafften sich Korruptionsjäger mit einem Durchsuchungsbefehl der Europäischen Staatsanwaltschaft also erneut Zugang ins Innerste der Hygiene Austria. Bisher war allerdings unbekannt, worum es bei diesen Razzien gegangen war. Das brisante Dokument liegt dem STANDARD nun vor. Im Raum stehen schwere Vorwürfe. Nämlich "fortgesetzte Steuerhinterziehung in großem Ausmaß unter Verwendung nachgemachter oder verfälschter Belege". Mindestens 693.000 Euro an Zoll und Einfuhrumsatzsteuer soll Palmers hinterzogen haben. Dem gegenüber stehen 37 Millionen FFP2-Masken aus China, die Palmers nach Österreich transportiert habe – wohl für die Hygiene Austria. Die Korruptionsjäger hegen auch einen Verdacht, wie Palmers dabei vorgegangen sein könnte.

"Künstlich niedrig gehaltene" Rechnungen

Um den Drang der Hygiene Austria nach Masken aus China zu verstehen, muss man zunächst die Zeit um fast zwei Jahre zurückdrehen. Im Herbst 2020 erfasste Österreich die zweite große Corona-Welle. Es folgten zwei Lockdowns, und der gewöhnliche Mund-Nasen-Schutz reichte angesichts infektiöserer Virusmutationen nicht mehr länger aus. Ende Jänner des Folgejahres trat die FFP2-Maske an dessen Stelle und wurde in vielen Bereichen per Verordnung zur Pflicht. Das wirkte sich wohl auch auf die Nachfrage bei Hygiene Austria aus – die das Unternehmen allem Anschein nach nicht stemmen konnte.

Um "Produktionsspitzen" abzudecken, orderte man also in großem Stil Masken aus China und mischte sie anschließend unter die heimische Ware, wie Hygiene Austria einmal mitteilte. Rund acht Millionen davon sollen als made in Austria in Umlauf gebracht worden sein. So lautet zumindest das offizielle Statement des Unternehmens.

Was bisher nicht bekannt war: Laut Ermittlern sollen allerdings mehr als 37 Millionen FFP2-Masken nach ihrer Fertigung in Xiamen in Südostchina über eine international operierende Speditionsfirma und Flugzeuge der Lufthansa-Gruppe zunächst nach Frankfurt geliefert worden sein. Die gleiche Firma habe sich dann "als Vertreterin" der Palmers Germany dort auch um die Zollabfertigung gekümmert.

Mit "künstlich niedrig gehaltenen chinesischen Ausgangsrechnungen" seien dann die Abgaben für den Zoll erheblich gedrückt worden, lautet der Vorwurf im Durchsuchungsbefehl. Die Ermittler gehen von einem 40 Prozent höheren Warenwert aus als angegeben.

Laut Akten sei in den vorgelegten Unterlagen ein Zollwert von rund neun Millionen Euro vermerkt worden, für den rund 564.700 Euro Zoll und rund zwei Millionen Einfuhrumsatzsteuer bezahlt worden seien. Insgesamt 46 Einfuhren zählen die Ermittler aus China nach Frankfurt, ehe die Masken im Anschluss in Österreich angekommen sein sollen.

Die Gebrüder Wieser und Jackson L.

Was die mutmaßliche Steuerhinterziehung anlangt, steht eine Person besonders im Fokus der Ermittler: nämlich Luca Wieser. Ihm wird vorgeworfen, die sogenannte Unterfakturierung als Vorstandsvorsitzender der Palmers Textil AG in Österreich veranlasst und die zollrechtliche Abwicklung durch die Speditionsfirma im Namen der Palmers Germany "in direkten Verhandlungen" vereinbart zu haben. "Dementsprechend erfolgte eine Rechnungsstellung gegenüber Palmers Germany, wenngleich die Zahlungen auf diese Rechnungsbeträge offenbar durch Angehörige der Firma Palmers AG in Österreich und vom dortigen Firmensitz aus, aber auf dem Briefkopf der Palmers Germany erfolgten", wird in den Akten dazu festgehalten.

Aber die Korruptionsjäger gehen davon aus, dass die Gebrüder Wieser in der Sache gemeinsam gehandelt haben könnten. Tino Wieser habe sich selbst als Verantwortlicher bei Hygiene Austria für den Einkauf von Masken aus China bezeichnet, heißt es in der Ermittlungsanordnung. Das decke sich auch mit Aussagen eines Zeugen der Firma Lenzing. Palmers habe über die Kontakte nach China verfügt, wie es heißt.

In Hongkong hat Palmers jedenfalls eine Niederlassung. Die Ermittler vermuten, dass der dortige Leiter Jackson L. in die Übersendung der mutmaßlich gefälschten Belege eingebunden gewesen ist und diese an das Speditionsunternehmen "zur Bewirkung der Verzollungsformalitäten" weitergegeben haben könnte.

Palmers weist alle Vorwürfe von sich

Und was sagen die Verdächtigten dazu? Palmers weist alle Vorwürfe "entschieden" zurück – auch für alle genannten Personen des Konzerns. "Es gab keine Hinterziehung von Zollabgaben und keine künstlich niedrig gehaltenen Ausgangsrechnungen aus China", heißt es in einer Stellungnahme. "Alle Lieferungen wurden korrekt verzollt – und zwar mit dem tatsächlichen Wert der Masken."

Für Transport und Verzollung sei eines der renommiertesten Luftfracht- und Speditionsunternehmen Europas beauftragt worden, heißt es weiter. "Alle Steuern und Abgaben wurden fristgerecht durch dieses Unternehmen veranschlagt und auch abgeführt. Alle Abgaben und Steuern wurden korrekt bezahlt. Alle relevanten Unterlagen, Originalrechnungen, behördlich zertifizierte Ausfuhrbescheinigungen und Bestätigungen wurden den Behörden vorgelegt."

Ähnlich argumentiert auch die Hygiene Austria. Dort sieht man den Vorwurf, dass die Masken einen 40 Prozent höheren Warenwert gehabt haben sollen, als "marktfremd" an. "Hier wird der Stückpreis für 10.000 Stück mit dem Stückpreis für 37.000.000 Stück gleichgesetzt", heißt in der Stellungnahme. "Es ist leicht nachvollziehbar, dass die Stückpreise bei derart unterschiedlichen Mengen stark abweichen. Alle Abgaben und Steuern wurden korrekt bezahlt."

Dass die Masken einen Zwischenstopp in Deutschland machten und nicht direkt nach Österreich verbracht wurden, argumentiert der Hersteller damit, dass der direkte Transport mit Personenflugzeugen von China nach Österreich damals "um das Vierfache teurer gewesen" wäre.

Die zuständige Europäische Staatsanwaltschaft sagt zu den laufenden Ermittlungen nichts, damit diese "und ihre Ergebnisse nicht gefährdet werden".

Einmal Bulgarien, einmal Liechtenstein

Möglicherweise könnten noch weitere Firmen in das Prozedere eingebunden gewesen sein. Dafür sollen die Ermittlungen nach der ersten Razzia bei Hygiene Austria Indizien geliefert haben. Angeführt werden eine bulgarische Firma und eine Stiftung in Liechtenstein. In letzterer sitzt laut der Wirtschaftsseite moneyhouse.ch zumindest ein Palmers-Aufsichtsrat im Management.

Beide Gesellschaften sollen schon im Oktober 2020 am Einkauf und an der Lieferung von FFP2-Masken aus China über Deutschland nach Österreich beteiligt gewesen sein – "mit dem Ziel einer Umsatzsteuerverkürzung durch angebliche innergemeinschaftliche Lieferung". Und zwar so, dass "die Masken aus China stammen, die weiterverkaufende Firma den Sitz in Bulgarien hat, die Masken in Deutschland gelagert wurden, der Rechnungsempfänger in Liechtenstein sitzt", ehe die Ware schließlich nach Österreich geliefert wurde.

Möglicherweise sind die Korruptionsermittler gerade drauf und dran, den mutmaßlichen Steuerirrgarten von Palmers und Hygiene Austria zu entwirren.

Grüne: "Letzten Funken Anstand über Bord geworfen"

Kritik kam prompt von David Stögmüller. "Das Konsortium rund um Hygiene Austria hat in seinem Geldrausch den letzten Funken Anstand über Bord geworfen und mit der Gesundheit tausender Österreicherinnen und Österreicher gepokert", poltert der grüne Abgeordnete im laufenden ÖVP-U-Ausschuss. "Statt qualitativ hochwertige Masken aus Österreich, wurden Billigmasken aus China verkauft. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wurden schwarz angestellt und ausgebeutet. Abgerundet wird das ganze noch durch mutmaßliche Steuerhinterziehung." Nach außen habe sich Hygiene Austria als Vorzeigeunternehmen "made in Austria" inszeniert und sei dafür auch noch mit Betriebsbesuchen hochkarätiger ÖVP-Politikerinnen und – Politikern und "fetten Staatsaufträgen" belohnt worden.

Auch die FPÖ schlug in dieselbe Kerbe: "Bei Hygiene Austria ist offenbar überhaupt nix sauber. Etikettenschwindel, Freunderlwirtschaft, Steuerbetrug. Eventuell kommt sogar noch Geldwäsche als Vorwurf hinzu". sagte FPÖ-Fraktionsführer Christian Hafenecker. Er will herausfinden, "ob es auch noch Corona-Hilfszahlungen an diese Firma gab – das schauen wir uns gegenwärtig an". Das Sittenbild der ÖVP sei jedenfalls "desaströs." (Jan Michael Marchart, Fabian Schmid, 17.8.2022)