Manche junge Menschen gehen derzeit lieber auf Reisen, als für die Zukunft oder auf eine eigene Immobilie zu sparen.
Fotos: iStock; Illustration: Lukas Friesenbichler

Ein Haus mit einem Garten, in dem man eigene Tomaten anbaut und die Kinder nach der Schule Federball spielen können – jahrzehntelang lautete so oder so ähnlich der Lebenstraum vieler Österreicherinnen und Österreicher. Doch die Immobilien werden immer teurer, die Kredite sind schwerer zu bekommen und die Inflation frisst das Ersparte weg. Ohne Erbe, so scheint es, können sich viele ihr Eigenheimidyll nicht mehr leisten. Nicht einmal dann, wenn beide Vollzeit arbeiten.

Neue Träume?

Was macht das mit den Träumen und Werten der Jungen, wenn sich das Versprechen, durch Arbeit Vermögen aufzubauen, nicht einmal mehr für die Mittelschicht erfüllt?

Ist das überhaupt so? "Die Leute wollen nix mehr arbeiten", konstatierte Neos-Sozialsprecher Gerald Loacker jüngst in den sozialen Medien und verlinkte einen STANDARD-Artikel, in dem junge Menschen berichteten, warum sie ihre Arbeitsstunden reduziert haben. Er sprach von Leuten, "die aus Hedonismus Teilzeit arbeiten" – und wenn’s eng werde, "vom Staat die Hunderter überwiesen bekommen". Im STANDARD-Forum entwickelten sich dazu rege Diskussionen: Gehe es nicht eher darum, dass viele das Gefühl beschleiche, dass sie sich um ihr verdientes Geld ohnehin nichts mehr kaufen können? Genießen die Jungen lieber ihr Leben, anstatt viel zu arbeiten und zu sparen, etwa auf eine Immobilie?

Ein Videoanruf bei Judith und Arthur. Die Mathematikerin und der Mediziner, sie 33 und er 31, sind gerade in Alaska, wo sie mit ihrem Lkw am Fuße eines Flusses Halt gemacht haben. Sie haben den Wagen zu einem mobilen Zuhause umgebaut. Auf zwölf Quadratmetern haben sie alles, was sie zum Leben brauchen: eine Matratze, eine Dusche und einen Herd zum Kochen. Die beiden sind seit drei Monaten unterwegs, und bis zu zwei Jahre soll ihre Reise noch dauern. Dafür haben sich eine Auszeit von ihren Jobs in der Schweiz genommen. Sie haben "die Bremse" gezogen, wie sie es nennen. "Wenn man als Arzt im Schockraum 28-Jährige sieht, die vom Bus überfahren wurden, gibt einem das zu denken. Diese Menschen hatten auch Pläne, die sie nun nicht mehr umsetzen können", sagt Arthur. Lange Zeit hätten sie sich selbst gesagt, dass sie die Weltreise ja auch noch in der Pension machen können. "Aber niemand kann uns garantieren, dass wir überhaupt noch zu einer Pension kommen." Sie wollen sich ihre Träume jetzt erfüllen und nicht erst in 20 oder 30 Jahren – und das ist ihnen ihr Erspartes wert.

Arthur und Judith reisen mit einem LKW durch die Welt, aktuell haben sie in Alaska Halt gemacht.
Foto: privat

Krieg, Klimawandel, Pandemie – aber auch die Frage, wie es bei einem selbst weitergeht, führt bei vielen Jungen zur Verunsicherung. "Die Zukunftsperspektive schrumpft", sagt Jana Nikitin, Professorin für Psychologie des Alterns. "Es ist nicht unplausibel, auf das Hier und Jetzt zu fokussieren, wenn einem die Zukunft unsicher erscheint." Aus der Altersforschung wisse man: "Wer eine negative Sicht auf das Alter hat, wer glaubt, dass ihn dann nichts Positives mehr erwartet, der tendiert dazu, sich finanziell und gesundheitlich weniger darauf vorzubereiten." Die Menschen wollen also in der Gegenwart gut leben. Ganz nach dem Sprichwort: Lieber den Spatz in der Hand als eine Taube auf dem Dach.

Arthur und Judith haben eine private Altersvorsorge in der Schweiz, für den Notfall eine Reserve angespart und auch die Aussicht, nach der Reise wieder in ihre alten Jobs zurückkehren zu können. Die eigene Immobilie ist für sie auch nicht ganz vom Tisch. Extra darauf sparen wollen sie allerdings nicht. Lieber reduzieren sie ihre Ansprüche, wollen auch noch im Lkw wohnen, wenn sie wieder zu Hause sind. Für Arthur ist "das Zeitalter des Sparens sowieso vorbei". Das sei auch einer der größten Unterschiede zur Generation seiner Eltern: "Die haben sich mit ihrem Ersparten noch etwas aufbauen können."

Das "richtige Leben"

Arbeiten, sparen, sich etwas kaufen – gesellschaftlich wurde lange vermittelt, dass dies das "richtige Leben" sei, sagt die Soziologin Carina Altreiter von der Wirtschaftsuniversität Wien. "Doch das Versprechen, dass sich das auch ausgeht, kann die Gesellschaft aktuell immer weniger einhalten." Viele Menschen aus der Mittelschicht, die in den letzten Jahren aufgrund niedriger Zinsen Kredite fürs Eigenheim aufnehmen konnten, weil sie durch ein zusätzlich Erspartes oder ein kleines Erbe privilegiert waren, auch für sie wird das nun immer unerschwinglicher.

Ihnen gegenüber steht eine viel größere Gruppe, die kaum die laufenden Kosten decken kann. Altreiter: "Es geht um ganz existenzielle Fragen. Viele Menschen hatten in der Pandemie hohe Einkommensverluste und verstärkt durch die aktuelle Teuerung kommen sie gar nicht in die Verlegenheit, sich darüber Gedanken zu machen, ob sie fürs Eigenheim oder einen anderen Lebenstraum sparen können" – geschweige denn eine Auszeit nehmen oder ihre Arbeitszeit verkürzen. Im Vorjahr waren in Österreich 297.000 Menschen trotz Erwerbstätigkeit armutsgefährdet.

Arthur und Judith gehören nicht zu dieser Gruppe. Sie verdienen gut und wissen, dass sie privilegiert sind, weil sie sich ihre Auszeit leisten können. Es geht um eine Gruppe, die in der glücklichen Lage ist, sich entscheiden zu können: bis spät abends in der Firma sein oder Stunden reduzieren und genug Zeit haben für Freunde und Hobbys? Dass Zweiteres immer interessanter wird, merken auch Unternehmen. Firmenchefs berichten, dass immer weniger junge Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bereit seien, Vollzeit zu arbeiten. Sie bitten um Teilzeit oder um ein Jahr Auszeit, um durch die Welt reisen zu können.

Keine Sorge um die Pension

Nicht nur volkswirtschaftlich gesehen, auch was eine mögliche Altersarmut angeht, könnte die Entscheidung den Jungen einmal zum Verhängnis werden. Auch wenn niemand weiß, wie lange die heute 30-Jährigen arbeiten müssen und wie viel Pension sie einmal bekommen: Viele von ihnen scheinen sich kaum Sorgen darüber zu machen.

Auch für Samuel ist jetzt nicht die Zeit, um darüber nachzudenken. Der 32-jährige Lehrer ist gerade mit Rad und Zelt in Norwegen unterwegs. Im nächsten Schuljahr ist er beurlaubt und reist durch Südamerika. Von den 2000 Euro, die er in den letzten Jahren monatlich verdient hat, konnte er einen großen Teil ansparen. "Aus meinen ersparten 40.000 könnten im Laufe des nächsten Jahres 20.000 Euro werden." So weit hat er kalkuliert, doch viel weiter will er noch nicht denken. Die Pension sei "so weit weg und erscheint mir von allen meinen Prioritäten derzeit am unwichtigsten". Außerdem: Wie Arthur und Judith kommt auch er mit einem einfachen Lebensstil zurecht. Und er rechnet ebenfalls damit, dass er nach seiner Rückkehr wieder in seinen Beruf zurückkehren kann. Bis er eine neue Bleibe hat, könne er bei Familie und Freunden unterkommen.

Samuel ist Lehrer und nimmt sich das nächste Schuljahr frei, er radelt dann durch Südamerika. Aktuell ist er in Norwegen, an seine Pensionsvorsorge denkt er noch nicht.
Foto: privat

Den Traum vom eigenen Haus habe er schon ein bisschen, sagt der 32-Jährige. Er werde in den nächsten Jahren auch eine kleine Summe erben. "Aber selbst damit reicht es nicht aus, dass ich mir etwas kaufe – zumindest nicht in Wien", sagt er. Außerdem sei ihm aktuell Besitz mit zu viel Aufwand verbunden. Jetzt will er sein Leben genießen und es nicht für eine ungewisse Zukunft opfern.

Ein befreiender Gedanke

Dass der Traum vom Eigenheim in weite Ferne gerückt ist, kann auch befreiend sein. "Wir kaufen ein, worauf wir Lust haben, reisen, wohin wir wollen", sagt eine junge Frau, die lieber nicht namentlich genannt werden will. Sie und ihr Partner hätten 90.000 Euro gespart und ein relativ gutes Gehalt. Aber für eine Wohnung in der Stadt, die groß genug für eine Familie ist, müssten sie eine Summe aufbringen, "die wir in unserem Erwerbsleben nicht verdienen werden". Also denkt sich die 31-Jährige: "Entweder das Geld schmilzt durch die Inflation weg, oder wir fliegen nach Hawaii" – die Flüge seien schon gebucht. Keinen Kredit abzahlen zu müssen, habe für sie auch so einige Vorteile: Ein Jahr in Sardinien verbringen? Arbeitsstunden reduzieren, wenn Kinder da sind? "Es ist schön, dass wir uns das wahrscheinlich mal leisten können."

Ist jetzt also die Zeit für neue Werte? Der Philosoph Andreas Urs Sommer hält das für plausibel. Der Trend sei schon länger zu sehen, dazu kämen aktuelle Entwicklungen. "Das Unbehagen ist groß und entsprechend auch die Versuchung zu sagen: Sparbuch bringt nichts." Auch Sommer sieht das als Chance. Man gewinne Distanz zu überholten Wertvorstellungen. Sofern man keine existenziellen Ängste hat, genug verdient, um die Heizkosten zu bezahlen, sei das womöglich auch ein Freiheitsgewinn. (Lisa Breit, Bernadette Redl, 14.8.2022)