Anfang Juli gelangte ein jahrtausendealtes Goldobjekt bei Sotheby’s in London zur Versteigerung, das bis vor einiger Zeit in einer österreichischen Privatsammlung beheimatet gewesen war: eine kleine, knapp acht Zentimeter im Durchmesser große Goldscheibe mit vier gehämmerten buckelartigen Ornamenten, deren Entstehungszeit Experten in das Neolithikum und die frühe Kupferzeit datieren, genauer 4500 bis 4300 v. Chr.

1991 fand diese tönerne Vinča-Frau (5000-4500 v. Chr) zusammen mit etwa 30 anderen Figuren am Flohmarkt "Am Hof" einen Käufer. Sotheby’s verweist bei den Herkunftsangaben stattdessen auf eine Galerie.
Foto: Sotheby’s

Neben dem Wert als Edelmetall sollen solche amulettähnlichen Gebilde einst auch eine symbolische Bedeutung gehabt haben. Demnach wäre die stilisierte Darstellung einer Göttin von wichtigen politischen oder religiösen Führern als Brustschmuck getragen worden. Laut dem Auktionshaus seien bislang nur 13 Scheiben dieses ausschließlich in Mitteleuropa aufgefundenen Typs bekannt.

Rund 380.000 Euro Gewinn

Das Interesse der Bieter übertraf die Erwartungen beeindruckend. Statt der taxierten 20.000 bis 30.000 Pfund erteilte man den Zuschlag erst bei 327.600 Pfund, umgerechnet rund 381.000 Euro. Sehr zur Freude des österreichischen Verkäufers. Vor allem gemessen am stattlichen Gewinn im Abgleich zum einstigen Kaufpreis: Etwa 10.000 Schilling habe er in den 1990er-Jahren bezahlt, erinnert er sich im Gespräch.

Seinen Namen will er aus beruflichen Gründen übrigens nicht veröffentlicht wissen. Seine Sammlung sei einer privaten Passion geschuldet, die bereits in seiner Zeit als Teenager ihren Anfang nahm. Zuerst waren es Münzen, später wissenschaftlich interessante Artefakte. Beginnend mit der Menschheitsgeschichte bis ins Mittelalter hinein, grenzt der 55-Jährige den zeitlichen Schwerpunkt seiner Kollektion ein.

Die einst als Amulett verwendete Goldscheibe aus der frühen Kupferzeit erzielte bei der Auktion in London mit umgerechnet 381.000 Euro ein Vielfaches der Erwartungen.
Foto: Sotheby’s

Laut Sotheby’s befand sich die Goldscheibe zuvor in einer Sammlung in Norddeutschland und wechselte 1966 in den Bestand einer in Wiener Neustadt angesiedelten Richter Gallery, wo sie der jetzige Verkäufer am 30. August 1997 erwarb.

"Richter Gallery, Wiener Neustadt"

Letztere Provenienz scheint bei zwei weiteren Tonobjekten aus der Jungsteinzeit auf, die in derselben Auktion versteigert wurden: einer Frauenfigur aus der Vinča-Kultur (5000–4500 v. Chr., 1512 Pfund) sowie einer zoomorphen Gestalt mit gehörntem Kopf und markanter Nase aus der frühneolithischen Starčevo-Kultur (6000–5400 v._Chr., 4032 Pfund), die am 19. Dezember 1991 bei besagter Richter Gallery gekauft worden wären.

Exakt die gleiche Angabe findet sich bei Bonhams für eine 2016 in London für 13.750 Pfund (rd. 16.200 Euro) versteigerte Vinča-Frau: "bekleidet" mit einer in die Tonfigur geritzten Tunika mit Verzierungen. Sie war auch in der Sammlung des erwähnten Österreichers beheimatet, wie dieser auf Anfrage bestätigt.

Straßenhandel Am Hof

Diese Vinča-Figur wechselte im Dezember 2021 via Christie’s für 52.500 Pfund (rd. 61.700 Euro) den Besitzer. Sie kam ebenfalls aus Österreich und wurde in den 1970er-Jahren vom Sammler Dusan Jovanovic bei Erwin Richter "Am Hof" erworben.
Foto: Christie's

Das Interessante daran: Eine "Richter Gallery, Wiener Neustadt" hat, STANDARD-Recherchen zufolge, in dieser Form nie existiert, wie ein Blick in das Firmenbuch belegt. Dort findet sich jedoch der Eintrag zu einem Erwin Richter aus Wiener Neustadt, der bis 2008 – dem Wander- und Straßenhandel zugeordnet – ein Gewerbe als Marktfahrer angemeldet hatte. Eine Galerie oder ein Geschäftslokal habe er nie betrieben, bestätigt der 83-Jährige durchaus belustigt in einem Telefonat. Wie er zu dieser Aufwertung kam, ist ihm ein Rätsel. Sotheby’s verweist auf Angaben des Einbringers, die wohl nicht überprüft wurden.

Denn Richters Arbeitsrevier befand sich tatsächlich über Jahrzehnte auf dem Flohmarkt Am Hof in der Wiener Innenstadt, wo er mittlerweile nur noch selten anzutreffen ist. Hauptberuflich war er "Prof" am Wiener Neustädter Borg und zeitweise Trainer der heimischen Schwimmnationalmannschaft.

Nebenher handelte er mit Diversem aus Verlassenschaften und auch mit den hier erwähnten Objekten. Die Vinča-Figuren, erzählt er, habe er "von den Jugos bekommen, einer dürfte wohl ein ganzes Feld" besessen haben. In die Kategorie Schnäppchen fielen solche Objekte allerdings nicht. Dem STANDARD liegt der Beleg aus einem herkömmlichen Rechnungsblock vor, dem zufolge der jetzige Verkäufer für insgesamt 33 nicht näher beschriebenen Vinča-Statuetten 30.000 Schilling bezahlt habe. Eine stattliche Summe eigentlich, zumal für einen Studenten anno 1991. (Olga Kronsteiner, 13.8.2022)