Hinter der Ablehnung des eigenen Körpers steckt oft die Suche nach Anerkennung.

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Während manche in den Sommerferien morgens euphorisch die Badetasche packen, greifen andere verzweifelt zum Telefon. Oft läutet es dann bei Gabriele Haselberger. Seit 2013 ist sie Beraterin bei der Hotline für Essstörungen der Wiener Gesundheitsförderung und bemerkt einen Trend: "Ich höre immer häufiger von Jugendlichen, dass sie sich davor scheuen, sich zu zeigen. Vor dem Sommer rufen viele an und sagen, dass sie sich nicht ins Freibad trauen. Oft geht es um die Frage, wie sie ihr Äußeres verändern können."

Es seien vermehrt junge Frauen und Mädchen, die anrufen, aber Männer seien genauso betroffen. Burschen meldeten sich tendenziell später, weil Essstörungen und Unzufriedenheit mit dem eigenen Körper bei ihnen noch tabuisierter seien als bei Mädchen, berichtet Haselberger. Immer häufiger bleiben Kinder und Jugendliche aus Angst vor Bloßstellung auch von Schwimmkursen fern, zeigen Umfragen. Dabei kann jedes zehnte Kind in Österreich nicht schwimmen.

Die Suche nach Anerkennung

Gabriele Haselberger hört dann zu, hakt interessiert nach und bemerkt im Laufe des Gesprächs, dass es eigentlich um etwas ganz anderes als um den Körper geht: Anerkennung. Viele ihrer Anruferinnen und Anrufer hätten in der Schule Schwierigkeiten, stünden vor einem Schulwechsel, hätten Leistungsdruck und suchten die Anerkennung über das Aussehen: "Sie glauben, wenn sie abnehmen, werden sie beliebter und besser anerkannt."

Die Pubertät macht das besonders schwierig. Aufgrund der körperlichen Veränderungen werden viele unsicherer in ihrem Körper, nehmen sich anders wahr und vergleichen sich eher, erklärt die Expertin: "Und in solch unsicheren Phasen orientieren sich Jugendliche häufig im Außen: Wie muss ich aussehen, damit ich Anerkennung, Likes und viele Freundinnen bekomme?"

Die Antwort auf die Frage ist ernüchternd: Schlank, aber nicht zu schlank. Flacher Bauch, aber ein großer Po und runde Brüste bei Mädchen. Trainiert, aber nicht zu muskulös bei Burschen. Schönheitsideale sind unrealistisch, das körperliche Idealbild in vielen Köpfen verzerrt. "Wir hören immer wieder am Telefon, dass Jugendliche bestimmten Idealen entsprechen wollen", berichtet Haselberger. Dass sie mit diesen Gedanken ausgerechnet bei der Hotline für Essstörungen anrufen, mag absurd klingen. Der Grund ist nicht etwa, dass sie Angst haben, dass diese Gedanken in einer Essstörung resultieren könnten, das Problem ist ein anderes: "Sie glauben, dass sie eine Essstörung haben, weil sie zu viel essen und abnehmen müssen", erzählt die Beraterin und stellt klar: "Das stimmt einfach nicht."

Essstörungen würden immer noch damit assoziiert, dass es um Ernährung geht. Dabei seien es keine Ernährungsprobleme, sondern psychische Erkrankungen. Haselberger vermutet, dass Corona die Selbstzweifel und verzerrte Wahrnehmung von Jugendlichen verstärkt habe. Und zahlreiche Studien geben ihr recht: Die Zahl der Essstörungen ist während Corona gestiegen. Vor allem Mädchen und junge Frauen sind von Magersucht betroffen. Durch den Wegfall der persönlichen Kontakte während Lockdowns und Schulschließungen ist noch mehr Kommunikation über soziale Netzwerke gelaufen: "Die Bilder, die sie dort dann sehen, werden identitätsstiftend, weil andere Regulationsmechanismen weggefallen sind."

Der Körper als Identität

Haselberger will die sozialen Medien nicht verteufeln, sie hätten auch ihre positiven Aspekte. So finde man etwa immer mehr Postings mit Hashtags wie #BodyPositivity oder #BodyNeutrality auf Instagram oder Tiktok – also Bewegungen für mehr Selbstliebe und Gelassenheit dem eigenen Körper gegenüber –, aber der Großteil der Postings sei immer noch geprägt von unerreichbaren Schönheitsidealen: "Ich glaube, dass darüber viele definieren, wie Körper auszusehen haben." Das sei nur logisch. Der Körper sei auch identitätsstiftend, sollte aber nicht das Einzige bleiben, das einen ausmacht: "Jugendliche kämpfen im Moment besonders damit, den Selbstwert vom eigenen Körperbild zu entkoppeln."

Das beginne schon zu Hause, sagt Haselberger und appelliert an die Eltern. Eine Ablehnung des eigenen Körpers wird begünstigt, wenn so ein Verhalten vorgelebt wird, zeigen Studien. Wenn sich Mütter vorm Spiegel in den Bauch kneifen und Großeltern einem bei Gewichtszunahme in die Backen zwicken, prägt das oft ein Leben lang. Auch vermeintlich gut gemeinte Kommentare zum Körper haben einen ähnlichen Effekt. Werden Kinder und Jugendliche immer wieder für ihren schönen, flachen Bauch gelobt, knüpft sich das Selbstwertgefühl daran. "Es ist gefährlich, das Aussehen so in den Vordergrund zu stellen", warnt Haselberger. Stattdessen sollten Eltern und Verwandte sich mit Kommentaren über das Äußere zurückhalten, rät die Expertin. "Es geht darum, wirklich zuzuhören, die Welt der Jugendlichen kennenzulernen und den Selbstwert auf ihre Fähigkeiten und Fertigkeiten zu fokussieren." (Magdalena Pötsch, 13.8.2022)