Autor Wolf Lotter beschäftigt sich in seinem Gastkommentar mit der gerade laufenden Debatte über die Politökonomin Maja Göpel und ihre Arbeit.
Es heißt: Neid muss man sich verdienen, Mitleid gibt es gratis. So gesehen hat sich Maja Göpel eben große Verdienste erworben.
Am vergangenen Mittwoch veröffentlichte die Wochenzeitung Die Zeit eine Story mit dem Titel Maja Göpel und der gute Geist. Darin wird der Politökonomin vorgeworfen, sie habe verschwiegen, dass ihr 2020 erschienener Bestseller Unsere Welt neu denken (bisher verkauft: 270.000 Exemplare) mithilfe eines Ghostwriters, des Journalisten Marcus Jauer, verfasst wurde. Auf Twitter ging alsbald ein gehöriger Shitstorm los: "Unanständig", gar "verlogen" wäre Göpels Verhalten. Vorwiegend Berufsakademiker, die bisher öffentlich weniger auffällig geworden waren, führten das Wort. Es ist schwer zu glauben, dass es dabei um die Sache ging.
Nicht zu übersehen ist, dass ein Mitglied der Chefredaktion des Blattes, Stefan Willeke, selbst zur Feder griff. Einer seiner Kollegen im Führungsteam ist Bernd Ullrich, wie Göpel eine Leitfigur der ökologischen Transformation in Deutschland. In der Hamburger Redaktionslogik, wo Machtfragen wie beim Poolbillard – über Bande – geklärt werden, hat das schon was zu bedeuten. Die Geschichte selbst ist flott geschrieben, aber dünn. Göpel hat ihren Ghostwriter, bei Sachbüchern von Promis oft üblich, nicht verschwiegen, sondern nur nicht genannt, und das ist nicht ironisch gemeint. Jauer wollte das nicht. Vielleicht auch, weil er sich dem Freund-Feind-Denken in den von Lagermentalitäten durchzogenen Redaktionen nicht aussetzen mochte. Göpel hat Jauer nachweislich darum gebeten, seinen Namen mit ihren unter den Titel zu setzen. Erfolglos.
Weitere Nebenschauplätze
Es gibt noch weitere Nebenkriegsschauplätze. Göpel soll im gewerkschaftsnahen DIW (Deutsches Institut für Wirtschaft) in Berlin eine eigene Abteilung für sozialökonomische Transformation leiten. Dort freilich gibt es schon andere, die sich mit diesem Thema befassen. Gewiss ist es purer Zufall, dass in der Zeit-Story anonyme Stichwortgeber aus dem DIW auftauchen, die Göpel abraten, den Job anzunehmen.
Das eigentliche Vergehen ist banal: Göpel ist medial omnipräsent, polarisiert, das Publikum liebt und hasst sie dafür. Das ist gleichsam die wichtigste Währung der Aufmerksamkeitsökonomie. Nur Richard David Precht, der Fernsehphilosoph, beherrscht das Metier so gut wie sie. Natürlich geht es dabei auch um Geld, Einfluss, Macht. Um Anerkennung. "Vermutlich hat sie den Applaus der Öffentlichkeit als Qualitätsbeweis für ihre wissenschaftliche Arbeit missverstanden", sagt ein Uni-Professor dazu. Nun wird sie von der eitlen, gekränkten Forschergemeinde in die Schranken verwiesen. Recht geschieht ihr! Das steht zwischen denn Zeilen auf Twitter, Facebook, in den Nachrichten.
Ihr umstrittenes Buch wurde auch mit großkalibrigen Preisen ausgezeichnet, dem Erich-Fromm-Preis und dem Theodor-Heuss-Preis. Das wurmt, wie man in den sozialen Netzwerken nachlesen kann, ihre Gegner enorm, denn als Begründung wurde in beiden Fällen die verständliche Aufbereitung ihrer Themen angeführt.
Göpel sagt selbst, dass sie keine begnadete Schreiberin ist. Es ist smart, sich dann jemanden zu holen, der ihre Thesen gut aufschreiben kann. Das ist ein wichtiger Baustein erfolgreicher Wissensarbeit, die auch was und wen erreichen will. Für konservative Berufsbeamte auf und um Lehrstühle herum ist Verständlichkeit aber nah am Hochverrat.
Kränkung des Mittelmaßes
Wahr ist: Die Aufbereitung komplexer Sachverhalte macht Arbeit, die viele in der Community nicht leisten wollen oder können. Anders als etwa in Frankreich und dem angelsächsischen Raum, wo Forscher und Universitätslehrer breite Debatten auslösen, genügt die Öffentlichkeit des akademischen Flurfunks. Wer sonst auffällt, fällt bei den Kollegen durch. So gilt der Preis für den "öffentlichkeitswirksamsten" Soziologen in Deutschland als toxisch. Wer den kriegt, hat Publikum, und Publikum ist Populismus.
Für die Göpel-Eiferer ist also weniger wichtig, was sie sagt, sondern wo, wem und wie vielen. Das ist die Kränkung des Mittelmaßes. Nichts weiter. Göpel, deren Arbeit solide Kritik verdienen würde, ja, sie geradezu herausfordert, ist also nur ein symbolisches Opfer für eine Haltung weiter Teile des alten akademischen Establishments, sich vor ihrer Arbeit zu drücken – also der Wissensvermittlung denen gegenüber, die diese Arbeit bezahlen, den Bürgerinnen und Bürgern. Dass "Wissen existiert, wo etwas erklärt und verstanden wird", wie Philosoph Konrad Paul Liessmann schrieb, bedeutet natürlich auch, dass es so gut und so breit wie möglich vermittelt wird. Wer das nicht will, hat seine Gründe, und sie haben selten etwas mit Können zu tun, sondern mit dem, was auf der Visitenkarte steht.
So empörte sich der Politikwissenschafter Johannes Varwick erst kürzlich auf Twitter, dass ein Kritiker seiner Gesinnungsgenossin Ulrike Guerot es "noch nicht einmal zu einer ordentlichen Professur" gebracht habe. Das beweist einiges Talent, wenngleich auch nur für Hochmut.
Und so darf man schon fragen, wer da eigentlich unser Mitleid verdient. (Wolf Lotter, 13.8.2022)