Für die Studie wurden mehr als 3.500 politische Beiträge der reichweitenstärksten österreichischen Medien analysiert, auch des STANDARD.

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Unsere Realität beeinflusst unsere Medien. Doch unsere Medien beeinflussen auch unsere Realität. Eine Studie der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) nimmt diesen Grundsatz zum Anlass, österreichische Medien genauer unter die Lupe zu nehmen. In der politischen Berichterstattung kämen Frauen hierzulande viel seltener vor als Männer, heißt es in der von der Stadt Wien geförderten Arbeit. In Österreich sind Frauen demnach nur in 25 Prozent der politischen Beiträge vertreten. Mit einem Anteil von 50,8 Prozent (stand 2020) stellen Frauen aber die Mehrheit der österreichischen Bevölkerung dar. Die vielschichtigen Ursachen hinter der niedrigen Frauenquote werden in der Studie, die in dem Journal "Journalism and Mass Communication Quarterly" veröffentlicht wurde, analysiert.

"Wir wissen, dass Frauen unterrepräsentiert sind, aber man weiß eigentlich sehr wenig darüber, an welchen Faktoren im Journalismus das liegt", sagt Koautor Andreas Riedl dem STANDARD. "Ja, Frauen sind in der Politik unterrepräsentiert, aber es liegt auch am Journalismus selbst."

25 Prozent Frauen, 68 Prozent Männer

Riedl und seine Mitforschenden haben mehr als 3.500 politische Beiträge der reichweitenstärksten österreichischen Medien untersucht. Vertreten sind unter anderem DER STANDARD, "Die Presse", die "Kronen Zeitung", die "Kleine Zeitung", mehrere "ZiB"-Formate und Ö3-Journale. In einem zweiten Schritt wurden mehr als 100 Autorinnen und Autoren der ausgewählten Beiträge Fragebögen vorgelegt. Um in die Tiefe zu gehen, hat das Team zudem 24 Journalistinnen und Journalisten einzeln zu ihren Arbeitsprozessen interviewt.

Die Ergebnisse sind bezeichnend. Nur ein Viertel der analysierten politischen Beiträge enthielt den Standpunkt von mindestens einer Frau. Zum Vergleich: Bei 68 Prozent der Artikel taten Männer ihre Position kund. Als mögliche Gründe gelten laut der Studie das Selbstverständnis der Journalistinnen und Journalisten, Richtlinien in den Redaktionen sowie die eigene Genderidentität.

Auch Frauen berichten unausgeglichen

Der Einfluss der eigenen Genderidentität von Journalistinnen und Journalisten habe sich, so Riedl, bereits in anderen Ländern gezeigt. Die eigene Identität ist laut den Forschungsergebnissen der stärkste Faktor für eine Berichterstattung, die Frauen inkludiert. Journalisten würden nur halb so oft von mindestens einer Frau berichten wie Journalistinnen. Zentrale Akteurinnen sind Frauen in nur 24 Prozent der Beiträge von männlichen Autoren. Bei Frauen war das Ergebnis mit 38 Prozent allerdings auch nicht ausgeglichen. In Österreich ist der Journalismus als Berufsfeld relativ ausgewogen. Daher sagt Riedl: "Die Lösung liegt nicht gleich darin, den Frauenanteil zu erhöhen." Vielmehr müsse man sich die Geschlechterkomposition der Redaktionen anschauen und weiterforschen.

Riedl und sein Team konnten auch erkennen, dass diejenigen, die in der Studie angegeben haben, sich selbst als "Ermöglicher" (auf Englisch "access provider") zu verstehen, mehr Frauen inkludieren als der Rest. Das heißt, dass die Verfasserinnen und Verfasser, die Frauen in ihre Berichterstattung aufnehmen, auch oft diejenigen sind, die angeben, Menschen eine Stimme geben wollen. Andere würden sich selbst als "neutrale Beobachter" verstehen. "Es ist eine Tatsache, dass es in Geschäftsführungen, Aufsichtsräten, in politischen Funktionen immer noch eine männliche Dominanz gibt", zitiert die Studie eine interviewte Person. Die meisten Befragten verstehen sich als Beobachter. Allerdings wird diese neutrale Haltung in der Studie hinterfragt, da diese den Mangel an Frauen in der Berichterstattung nur auf äußere Umstände zurückführt und die Rolle der Medien nicht sieht.

Redaktionelle Richtlinien und Netzwerke

Die befragten Journalistinnen und Journalisten berichteten von Barrieren wie einem wahrgenommenen Mangel an Selbstbewusstsein von Frauen. Zudem bestehe der Eindruck, dass sich Frauen nicht kurzfristig von Care-Tätigkeiten lösen könnten. Dabei sieht Riedl einen Lösungsansatz in der Erreichbarkeit von weiblichen Akteurinnen. "Wir sehen, dass auf Netzwerke zurückgegriffen wird. Ein niederschwelliger Handlungsbedarf wäre, dass man die Zugangsbarrieren abbaut", sagt der Co-Autor der Studie. Dies gelinge mittels Expertinnendatenbanken und weiteren Maßnahmen, mit der die Erreichbarkeit von weiblichen Perspektiven schnell, einfach und im journalistischen Alltag auch unter Zeitdruck sichergestellt wird.

Weniger ausschlaggebend für die Repräsentation von Frauen seien redaktionsweite Richtlinien für eine ausgeglichenere Berichterstattung. "Wir sagen nicht, dass diese Guidelines nutzlos sind. Doch der reine Umstand, dass die Journalistinnen und Journalisten angeben, dass ihre Redaktion so eine Gender-Richtlinie hat, hat nicht pauschal einen positiven Einfluss", sagt Riedl. Er betont, dass man sich genau anschauen müsse, wie gut solche Richtlinien eingebaut und gelebt werden. Sobald man annehme, dass eine Guideline das Problem der Repräsentation alleine löse, sei diese nicht mehr als ein Feigenblatt. (Isadora Wallnöfer, 14.8.2022)