Mit Fetten, Aromen und günstigen Zusatzstoffen angereicherte Zuckerbomben werfen weit höhere Gewinne ab als Obst und Gemüse.

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Wien – Österreichs Zucker hat viele Feinde. Sie fressen sich in Form robuster Rüsselkäfer durch die Rübenfelder. Mit dem Einsatz umstrittener Insektizide versuchen die Bauern, ihrer Herr zu werden. Weiterer Unbill für die süße Ernte droht aus Übersee, wo Zuckerrohr der Rübe zum Rivalen wurde. Und auch Regierungen sehen angesichts der weißen Kristalle rot. Gilt Zucker neben Fett doch als Sinnbild für ungesunde Ernährung und als Last für jedes Gesundheitssystem.

Seinem Erfolg tut das wenig Abbruch. Als natürlicher Geschmacksverstärker und Konservierungsstoff ist Zucker Liebling der Lebensmittelproduzenten. Geradezu zuckersüchtig seien Industrie und Handel, klagen Ernährungsexperten. Denn mit Fetten, Aromen und günstigen Zusatzstoffen angereicherte Zuckerbomben werfen weit höhere Gewinne ab als Obst und Gemüse.

Folglich ist der Gesundheit wenig Zuträgliches für die Werbebranche ein gefundenes Fressen. In sozialen Medien bringen beliebte Influencer Junkfood, Süßes und Softdrinks an den Eltern vorbei gezielt unter Kinder und Jugendliche.

Rund 900 Millionen Euro im Jahr lässt sich die Lebensmittelindustrie ihr Marketing für Süßigkeiten jährlich allein in Deutschland kosten, zitiert die Konsumentenschutzorganisation Foodwatch Daten des deutschen Statistischen Bundesamts.

Einfluss auf Rezepturen

Haben Lebensmittelproduzenten daher Mitschuld an falschen Ernährungsgewohnheiten? Wie stark gehören sie im Kampf gegen die globale Adipositas-Epidemie in die Pflicht genommen? An Ideen, Einfluss auf ihre Rezepturen zu nehmen, fehlt es in Europa nicht. Der Stein der Weisen wurde dabei bisher nicht gefunden. Vor allem an höheren Preisen für fett- und zuckerreiches Essen scheiden sich die Geister.

Dänemark etwa wollte dick machenden Lebensmitteln einst mit einer Fettsteuer zu Leibe rücken. Das Experiment scheiterte. Scharenweise strömten die Dänen ins Ausland, um sich dort mit günstigerer Butter und billigeren Ölen einzudecken.

Nach nur einem Jahr schaffte die Regierung die Steuer wieder ab und begrub ihre Pläne, auch Zuckerbomben zu verteuern. Denn die Dänen ernährten sich nicht anders als zuvor. Geringverdiener hatten das finanzielle Nachsehen. Der Verwaltungsaufwand war hoch, die Steuereinnahmen blieben bescheiden.

Großbritannien übt sich seit 2018 in einer Steuer auf stark gezuckerte Getränke. Hersteller hätten seither den Zuckergehalt ihrer Produkte erheblich reduziert, loben Befürworter der Teuerung. Für Kritiker ging diese ins Leere: Die Industrie ersetze Zucker teils durch nicht weniger umstrittenen künstlichen Süßstoff. Belege dafür, dass die Briten an Gewicht verlieren, fehlen.

Steuern auf Zucker oder Fett haben in keinem Land dazu geführt, dass sich die Bevölkerung in Summe ausgewogener ernährt, ist sich Katharina Koßdorff, Chefin des Verbands der österreichischen Lebensmittelindustrie, sicher. Stattdessen wichen Konsumenten auf alternative Produkte mit keineswegs niedrigerem Energiegehalt aus, griffen zu billigeren Marken und kauften vermehrt bei Diskontern.

Freiwilliger Verzicht

"Heavy User" von Softdrinks, die täglich gut zwei Liter davon in sich hineinkippen, seien vor allem junge Männer. "Mit Steuern lässt sich bei ihnen wenig erreichen", ist Koßdorff überzeugt. Der Hebel liege vielmehr darin, über Bildung und Sozialisierung Lebensstile zu ändern.

Schrittweise heruntergeschraubt werde der Zuckergehalt ohnehin bereits seit Jahren, betont Koßdorff. Parallel zu ihren traditionellen Rezepturen bieten immer mehr Produzenten kalorienärmere Varianten an.

In Österreich hat die Handelskette Spar seit 2017 bei ihren Eigenmarken auf 2345 Tonnen Zucker verzichtet, rechnet Konzernsprecherin Nicole Berkmann vor. Safthersteller Rauch spricht von tausenden Tonnen Zucker, die man seit dem Jahr 2000 Zug um Zug eingespart habe.

Wobei Konsumenten sensibel auf Änderungen reagieren, sagt Rauch-Chef Daniel Wüstner. "Alle sagen, sie wollen keinen Zucker. Schmeckt es aber nicht mehr, kauft es keiner."

Wettstreit der Ampeln

Harte Debatten über Sinn und Unsinn staatlicher Lenkungsversuche lösen auch Nährwertkennzeichnungen ab, die auf der Vorderseite der Lebensmittelverpackung prangen sollen. Die EU-Kommission will im Herbst ein europaweit einheitliches Ampelmodell vorlegen.

Noch herrscht ein Wettstreit der Systeme, ausgefochten primär unter Franzosen und Italienern. In Österreich wehren sich Industrie wie Handel vehement gegen Stopptafeln für Fettes und Süßes. Ihr Tenor: Sie seien irreführend, diskriminierend und sagten nichts über den tatsächlichen Wert von Lebensmitteln aus. (Verena Kainrath, 14.8.2022)