Die Obrigkeit – statisch dargestellt im Großen Festspielhaus.

Gingl/APA

Nun ist es also schon eine Weile her, dass Künstlerin Shirin Neshat in Salzburg als Opernregisseurin debütierte. Bei Verdis "Aida" gelangen ihr seinerzeit – mit Anna Netrebko als Aida – da und dort markante Bilder. Abseits von eindringlichen Momenten, die auf das existenzielle Grenzthema Exil und Vertreibung eingingen, blieb das filmische Element eher sporadisch eingesetzt. Neshat brachte das, was sie künstlerisch ausmacht, offenbar etwas schüchtern ein. Es wirkte alles ein bisschen zu sehr der gestischen Opernkonvention verpflichtet, die womöglich nur Dirigenten Riccardo Muti gefiel.

Bei der Konvention ist es allerdings bei der freitägigen, überarbeiteten Regieversion großteils geblieben. Nach wie vor singt man gerne an der Rampe, setzt gestisch das um, was ein Minimum an Gestaltung darstellt. Die Dreiecksbeziehung zwischen Amneris, Aida und Radamès ist immerhin momentweise genauer gezeichnet. Da gibt es quasi genaue Albtraumszenen, in die der siegreiche Feldherr alles andere als triumphal eingebunden ist.

Gegen den Kriegsrausch

Aida sieht die Szene: Radamès muss im Ritual seine Hände in Blut waschen und weitermorden. Hier nimmt Neshat der Kriegseuphorie Gott sei Dank ihre bedenkliche Aura, führt rund um den "Triumphmarsch" das Drama des religiös befeuerten Gemetzels ins Treffen und konzentriert sich somit auf die Geistlichkeit als Verursacher von Leid und Gewalt. Man darf wohl an die aktuelle politische Situation im Iran denken.

Stärker als bisher hat Neshat ihre Videofiguren und Szenen in die reale Bühne. Ausschnitte aus ihren früheren Videoarbeiten, etwa "Passage", in der eine stilisierte Trauerprozession gezeigt wird, findet auch Eingang in die Bühnenrealität – auch durch verschleierte Frauen. Zwischendurch wird – in Intermezzi – auch das Kollektiv mit seinen Emotionen individualisiert: Eindringliche Porträtfotos strahlen dann im Riesenformat schwarz-weiß ins Publikum aus, während ein sanftes gebetsartiges Flüstern vom Band zu vernehmen ist.

Suizid oder Aufbruch

Zum Schluss hin sieht man Ausschnitte aus der Videoarbeit "Rappture", sieht also ein Boot mit Frauen in See stechen, während Aida und Radamès ihrem Ende entgegensingen. Ein starkes Bild, das offenlässt, ob es sich um Suizid oder den Aufbruch der Frauen in die Freiheit handelt.

Dennoch hätte man sich eine stärkere Verzahnung von Video und Szene gewünscht. Neshats – die inhaltlichen Stereotype der Oper subtil kommentierenden – filmische Interventionen bleiben von den Hauptfiguren oft getrennt. Wie ein Stück im Stück wirkt das mitunter.

Es ist dann immerhin das Vokale, welches hier auch das Dramatische dieser Oper szenisch belebt. Ève-Maud Hubeaux ist eine phänomenale Amneris, sie vereint Durchschlagskraft, Ausdauer und heftigen Gefühlsausdruck. In Elena Stikhina hat sie eine scheinbar unterwürfige Aida als Konkurrentin, der Stikhina vokal Dramatik, große Leichtigkeit und Virtuosität verleiht. Edel auch Piotr Beczala als Radamès. Diese Mischung aus sattem Timbre und Kraft entschädigt für die doch sehr oft statuarische Figurengestaltung.

Unter ihren Möglichkeiten

Als Antikriegsinszenierung und als Version, die den quasi europäischen Blickwinkel verlässt, war das ein essenzieller Beitrag zur Weitung des ästhetischen Angebots der Festspiele. Die handwerkliche Umsetzung der Intentionen bleibt jedoch unter ihren Möglichkeiten. Manches Bild wird man jedoch nicht vergessen, das ist die Stärke dieser Arbeit.

Dirigent Alain Altinoglu animiert die Wiener Philharmoniker zu intensivem Spiel. Wie man es aus der Staatsoper kennt, dreht der sympathische Maestro an Höhepunkten gerne voll auf, was dann ein bisschen zu groben, deftigen Momenten führt, denen Ausgewogenheit fehlt. Aber in Summe eine Interpretation, die Verdis Ideen mit vitaler Routine erweckte und gewissermaßen der Bühne jene Energie schenkte, die bei dieser Dreierbeziehung bisweilen fehlte, da selbige mitunter an der Rampe zu Arienabend gefror.

In den Applaus mischten sich dann doch einige Buhs für die Regie der aus dem Iran stammenden, in New York lebenden Filmemacherin und Künstlerin. Das Vokale wurde bejubelt, damit auch Erwin Schrott als Ramfis, Luca Salsi als Amonasro und die ausgezeichnete Vereinigung Wiener Staatsopernchor. (Ljubiša Tošić, 13.8.2022)