Der Schriftsteller Salaman Rushdie wurde am Freitag bei einer Veranstaltung im Bundesstaat New York angegriffen und schwer verletzt.

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Jetzt hat es also doch noch jemand getan. Dieser Gedanke war am Freitagabend unabweisbar, als Nachrichten von einem Angriff auf Salman Rushdie die Runde machten. Der Schriftsteller wurde durch seinen Roman "Die satanischen Verse" 1989 zu einer Hassfigur für muslimische Fundamentalisten. Der iranische Revolutionsführer Khomeini hatte in einer Fatwa zu Rushdies Tötung aufgerufen.

Rushdie war am Freitag in Chautauqua im Bundesstaat New York eingeladen, über die Vereinigten Staaten als Ort des Exils für Schriftsteller zu sprechen, als er von einem einzelnen Mann mit einem Messer attackiert wurde. Inzwischen sind Details über den Grad seiner Verletzungen bekannt geworden, und man weiß jedenfalls so viel, dass man klar sagen kann: Salman Rushdie (75) sollte nach dem Willen des 24 Jahre Jahre alten Hadi M. am Freitag sterben.

Vorwurf der Blasphemie

Das Attentat ist ein schrecklicher Epilog zu einer Affäre, die 1988 in Indien begann, also im Salman Rushdies Herkunftsland. Der Roman "Die satanischen Verse" war zuerst in England erschienen, man kannte den Autor zu diesem Zeitpunkt vor allem wegen seines zweiten Romans "Mitternachtskinder", der als Höhepunkt der postmodernen Literatur gilt.

In die literaturkritische Rezeption mischte sich bald ein anderer Ton. Muslime in England und in Indien warfen Rushdie Blasphemie vor, vor allem wegen eines zentralen Kapitels in dem vielschichtigen und komplexen Roman: Eine der beiden Hauptfiguren, der Schauspieler Gibril Farishta, träumt darin von den Zeiten, in denen ein Mann namens Mahound in einer Stadt namens Jahilia (steht für Mekka) Offenbarungen empfängt, die unter anderem dazu führen, dass die lokale Religion unterdrückt wird. Mahound setzt seine "Geschäftsordnung" durch, schrieb Rushdie, und er lässt seine alternative Geschichte der Entstehung des Korans und des Islams in einem Bordell enden, in dem die Prostituierten die Namen der Frauen von Mahound annahmen, also eine erotische Gegengemeinde bilden zu der, aus der heraus eine Weltreligion entstand.

Die Passagen haben für ein geübtes Lesepublikum alle Anzeichen eines Pastiches, also einer kritischen, satirischen Überschreibung geläufiger Inhalte. Aber sie sind natürlich anstößig für Menschen, die Texte nur beim Wort nehmen wollen.

Angriffe auf Übersetzer

Noch 1988 verbot Indien den Import von Rushdies Buch, weitere Länder folgten. Bei Demonstrationen in seiner Heimatstadt Bombay wurden muslimische Protestierer getötet. 1989 griff der iranische Revolutionsführer Khomeini die Angelegenheit auf, und erließ eine Fatwa gegen Rushdie, die zu dessen Tötung aufrief.

Rushdie war dadurch gezwungen, für längere Zeit die Öffentlichkeit zu meiden und sich unter Personenschutz zu begeben. An seiner Stelle wurden in einigen Ländern seine Übersetzer angegriffen. 1991 wurde Hitoshi Igarashi in Japan erstochen. 2012 beschrieb Rushdie diese Zeit in dem autobiographischen Buch Joseph Anton, das er nach dem Pseudonym benannte, das er damals für sich wählte (die Vornamen zweier seiner literarischen Helden, Joseph Conrad und Anton Tschechow).

In den vergangenen Jahren war Rushdie zunehmend in das öffentliche Leben zurückgekehrt, auch wenn es in Kreisen der Islamischen Republik Iran immer wieder Erhöhungen des Kopfgelds auf ihn gegeben hatte. Ungeachtet vieler diplomatischer Bemühungen war davon auszugehen, dass die unmittelbare Gefahr vermutlich gesunken, aber nie vollständig verschwunden war. Nun hat sich gezeigt, dass das Kapitel alles anders als abgeschlossen war.

Staatspreis in Österreich

Es war übrigens der STANDARD, der 1994 dem damaligen Bundeskulturminister Scholten von Rushdie ausrichten ließ, dass er persönlich nach Wien kommen würde, um den Staatspreis in Empfang zu nehmen – damals noch aus dem "Untergrund" heraus. Dass Rushdie den Preis zugesprochen bekommen hatte, wurde zuvor von der "Kleinen Zeitung" aufgedeckt, es war nicht veröffentlicht worden.

Noch 2012 hat Rushdie sich über die desillusionierenden Erfahrungen mit der internationalen Politik geäußert, vor allem mit Deutschland, dessen Außenminister einmal sagte, "wegen eines Einzelnen" könnte nicht ein ganzes Land seine Außenpolitik ändern.

Österreich hat sich damals mit dem Umgang mit dem Staatspreis anfangs auch nicht gerade durch geopolitischen Mut hervorgetan (die 1992 beschlossene Auszeichnung sollte zuerst geheim bleiben), dann aber doch 1994 mit einer Überraschungszeremonie ein starkes Zeichen gesetzt. (Bert Rebhandl, 13.8.2022)