Er konnte es nicht glauben – wie es niemand im ehemaligen Jugoslawien glauben konnte: Als der Bosnier Siradj Duhan im Jahr 1989 auf einer Konferenz für Vertreter der Militärindustrie im serbischen Valjevo hörte, dass es in Jugoslawien bald zu einer "Weißwäsche" – also zu ethnischen Säuberungen – kommen würde, warnte ihn ein wohlmeinender Offizier, er solle seine kritische Meinung über den damaligen Präsidenten Slobodan Milošević nie wieder in Serbien äußern. Er solle sofort nach Bosnien zurückreisen und sich ein Gewehr besorgen. "Sie werden sehen, was in kurzer Zeit passieren wird", sagte der Mann.

1990 verließ Duhan Jugoslawien und zog nach Österreich. Er dachte, er könne sein Land hinter sich lassen. Doch als 1992 der Krieg gegen das nunmehr unabhängige Bosnien-Herzegowina begann, veränderte ihn das "völlig". Er lebte fortan nach dem Motto "Hilf, so viel du kannst".

Für Bosnien einsetzen

1996 – also nach dem Ende des Bosnien-Kriegs – war Duhan mit einem Kollegen unterwegs in Bosnien, als er in eine Polizeikontrolle geriet, der Streifenwagen hatte kyrillische Kennzeichen. Weil Duhan "den falschen Namen zum falschen Zeitpunkt" hatte – in Bosnien-Herzegowina beurteilen Nationalisten ihre Mitmenschen danach, ob sie orthodox-serbische, katholisch-kroatische oder muslimisch-bosniakische Namen haben –, landete Duhan in Einzelhaft in Sokolac im Landesteil Republika Srpska.

Siradj Duhan setzt sich für die Anerkennung der Bosnierinnen und Bosnier in Österreich als Volksgruppe ein.
Foto: Duhan

Dort wurde er geschlagen und gefoltert, obwohl er sich nichts hatte zu Schulden kommen lassen: Nach seinem Aufenthalt im Gefängnis kam er zu dem Schluss, "dass die beste Rache für alles, was Serbien und Kroatien gegen Bosnien-Herzegowina getan haben, darin besteht, sich für die Entwicklung Bosniens einzusetzen", meint der kleine, sanfte Mann mit dem starken Willen.

Einsatz für die Anerkennung der Volksgruppe

Duhan arbeitet heute in Österreich als Ziviltechniker für Maschinenbau, er ist aber auch Präsident der Gesellschaft Bosnischer Akademiker in Österreich. Und er setzt sich dafür ein, dass die bosnische Volksgruppe in Österreich anerkannt wird.

Bereits 1993 stieß er im STANDARD auf einen Artikel, in dem von der Anerkennung der Roma als sechste autochthone Volksgruppe in Österreich berichtet wurde. Er wandte sich ans Bundeskanzleramt mit der Frage, ob auch die Bosnier und Bosnierinnen in Österreich anerkannt werden könnten. "Man riet mir, mit meinem Anliegen in 20 bis 30 Jahren wiederzukommen – also erst, wenn die nächste Generation von österreichischen Bosniern und Bosnierinnen hier aufgewachsen ist", erzählt er.

Busek und Fischer

Duhan wartete und suchte Mitstreiter. 2019 schrieb er wieder einen Brief ans Bundeskanzleramt – und erfuhr, dass es keinen Leitfaden für eine Anerkennung gibt, sondern dass man einfach ausreichend Unterstützer dafür finden muss. Also begannen Duhan und seine Freunde mit der Öffentlichkeitsarbeit, vor allem die Auslandsbosnier und Auslandsbosnierinnen wurden über soziale Medien angeschrieben. "Durch den Rückhalt aus der Community wussten wir, dass wir auf dem richtigen Weg sind."

Danach wandten sich Duhan und seine Mitstreiterinnen an die Politik, Unterstützung bekamen sie vor allem von dem kürzlich verstorbenen Erhard Busek (ÖVP), aber auch vom früheren Hohen Repräsentanten der Internationalen Gemeinschaft, Wolfgang Petritsch (SPÖ), vom Neos-Abgeordneten Helmut Brandstätter sowie von Altbundespräsident Heinz Fischer (jahrelang SPÖ). Auch die österreichischen Grünen wollen sich für die Anerkennung der Bosnier und Bosnierinnen starkmachen.

Studie über die bosnische Community

"Zurzeit arbeiten wir an einer breitangelegten Studie über die bosnische Community in Österreich, und wir erhoffen uns, dass wir dieses Jahr noch das offizielle Gesuch um die Anerkennung der autochthonen bosnischen Volksgruppe in Österreich einreichen können", erzählt Duhan dem STANDARD.

Zu den in Österreich anerkannten Volksgruppen gehören bisher Slowenen, Kroaten, Tschechen, Slowaken, Ungarn und Roma. Die Anerkennung dieser Gruppen in Österreich ist zum Teil ein Erbe der österreichisch-ungarischen Monarchie, denn damals lebten Angehörige der verschiedensten Völker- und Sprachgruppen in einem Staat zusammen.

Bosnien-Herzegowina wurde von Österreich-Ungarn im Jahr 1878 eingenommen und 1908 annektiert. Die Bezeichnung Bosnier und Bosnierin sowie Herzegowiner und Herzegowinerin umfasst alle Leute, unabhängig von ihrer Religion und Volksgruppenzugehörigkeit.

Bürger zweiter Klasse

Im heutigen Bosnien-Herzegowina, wo die Bürger und Bürgerinnen aufgrund der Nachkriegsverfassung fast ausschließlich nur als Mitglieder von Volksgruppen gesehen werden, was viele von ihnen diskriminiert, stellen die Bosnier und Herzegowiner nicht einmal eine offizielle Gruppe dar. Zu den konstitutiven Völkern werden nur jene gezählt, die sich ethnisch-religiös definieren (Bosniaken, Serben, Kroaten). Minderheiten wie Juden, Roma und Nichtnationalisten (also Menschen, die sich nicht ethnisch definieren wollen) sind zu Bürgern zweiter Klasse degradiert.

Der inklusiv konnotierte Begriff der "Bosnier" könnte durch die Anerkennung der Volksgruppe in Österreich auch in Bosnien-Herzegowina gestärkt werden. Duhan meint dazu: "Mir ist aufgefallen, dass die Bosnier und Bosnierinnen in allem gefährdet sind, was einen Menschen zum Menschen macht." Er meint damit Werte wie Hilfsbereitschaft, Wertschätzung und die Möglichkeit, in Frieden nebeneinander leben. "Viele dieser Attribute sind durch die Aggression gegen das Land und seine Bevölkerung und das System der Apartheid gefährdet", kritisiert Duhan die ethnisch definierte Nachkriegsordnung, die die Menschen auseinanderdividiert.

Widerstand gegen Ethno-Kleriker

Die Anerkennung der Bosnier und Bosnierinnen sieht er in diesem politischen Kontext auch als "eine Art des Widerstands gegen die Korruption, die Kriminellen und die Ethno-Kleriker". Er hofft, dass die Bestätigung der Gruppe in Österreich auch Einfluss auf die Stärkung der bosnischen Nation in Bosnien-Herzegowina selbst haben wird,– nämlich "den Zusammenschluss wohlwollender Menschen, egal welcher religiöser Zugehörigkeit".

Der Wiener Politikwissenschafter Vedran Džihić vom Österreichischen Institut für Internationale Politiker (OIIP) meint, dass Menschen aus Bosnien und Herzegowina oder jene mit bosnischer Abstammung längst ein fixer Teil des österreichischen Gesellschaftsbildes seien. "Die Justizministerin Alma Zadić, die selbst aus Bosnien stammt, ist nur öffentliches Aushängeschild all jener Bürger in Österreich, die stolz auf ihre bosnisch-österreichische Identität sind. Das Bemühen um die Anerkennung der bosnischen Volksgruppe ist wohl ein Ausrufezeichen für den Wunsch vieler Menschen mit bosnischer Herkunft nach Anerkennung und Sichtbarkeit in Österreich."

Integraler Staatspatriotismus

Besonders lobenswert sei der Versuch, sich mit dem inklusiven Begriff "Bosnierinnen" bzw. "Bosnier" gegen die dominanten und ausschließlich ethnischen Kategorien der Bosniaken, Serben und Kroaten zu positionieren, meint Džihić zum STANDARD. Mit der Anerkennung würde damit auch die Möglichkeit zur Überwindung der teilweise weiterhin vorhandenen ethnischen Gräben innerhalb der Diaspora aus Bosnien und Herzegowina geschaffen werden.

Und es gibt solche bosnischen Familien, die das praktizieren. Duhan selbst etwa kommt aus einer Familie mit einer stark antifaschistischen Tradition. Sein Vater Nurija und sein Onkel Zejnil Duhandžić wurden beide in Konzentrationslagern während des Zweiten Weltkriegs als Gegner der Deutschen Wehrmacht eingesperrt und festgehalten.

Zusammenlaben in Bosnien: sichtbar gemacht anhand von Weihnachtsschmuck.
Foto: Wölfl

Onkel nach Mauthausen deportiert

Sein Vater war Mitglied der Partisanenbewegung und wurde bereits mit 17 Jahren während Gefechten auf dem Berg Igman in Zentralbosnien gefasst, als er in eine Falle der Gestapo tappte. Er wurde den faschistischen Ustascha, die im kroatischen NDH-Staat regierten, überstellt und von den Ustascha ins Todeslager Jasenovac deportiert. Sein Onkel Zejnil wurde deshalb verhaftet, weil sein Vater den Partisanen angehörte. Zejnil Duhandžić wurde später ins KZ Mauthausen nach Österreich deportiert.

Siradj Duhans Vater wurde dennoch die Veteranenpension im ehemaligen Jugoslawien verwehrt, obwohl ihm ein Verdienstorden vom damaligen Präsidenten Jugoslawiens, Josip Broz Tito, überreicht wurde. Um eine Pension zu bekommen, wandte er sich an den Bürgermeister von Sarajevo, den jüdischen Bosnier Emerik Blum. Dieser habe mit einem Anruf das Problem gelöst, erzählt Duhan.

Europäische Lebensart

Heute dürfen sich bosnische Juden nicht einmal als Kandidaten für das Staatspräsidium bewerben. Sie gehören in der Nachkriegsverfassung zu den diskriminierten Bürgern zweiter Klasse. Dies müsste aufgrund einiger Gerichtsurteile des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte seit vielen Jahren geändert werden.

Doch weil die Nichtnationalisten eine starke Lobby weder im eigenen Land noch in der EU oder in der Internationalen Gemeinschaft haben, bleiben Bosnier und Bosnierinnen, die die jahrhundertealte Tradition des "Verstehens und Akzeptierens des Andersartigen als Bestätigung der eigenen Existenz", wie Duhan es beschreibt, hochhalten, benachteiligt. Die Anerkennung der Volksgruppe in Österreich wäre – so die Hoffnung vieler – eine symbolische Unterstützung für ihre zutiefst europäische Lebensart. (Adelheid Wölfl aus Sarajevo, 25.8.2022)