1989 hatte der iranischen Revolutionsführer Ruhollah Khomeini, dessen Porträt in Teheren immer noch omnipräsent ist, zur Tötung von Salman Rushdie aufgerufen.

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Ein 24-Jähriger mit libanesischen Wurzeln, aber in den USA geboren, beschließt dreiunddreißigeinhalb Jahre, nachdem ein greiser Ayatollah im Iran zur Tötung eines Schriftstellers aufgerufen hat, die Tat auszuführen: Zehn Jahre lang hatte sich der britisch-indische Schriftsteller Salman Rushdie ab 1989 versteckt, bevor er wieder den Schritt aus dem Untergrund in die Öffentlichkeit wagte. Das fiel ihm damals etwas leichter, nachdem der iranische Präsident Mohammed Khatami 1998 die Sache für die iranische Regierung für "beendet" erklärt hatte. Dass die Gefahr damit nicht aus der Welt war, das war Rushdie immer bewusst.

Eine Fatwa, ein islamisches Rechtsgutachten, ist nichts ewiges Gültiges, mit dem Tod des Erstellers ist sie eigentlich hinfällig. Aber das gegen den Autor der "Satanischen Verse" ausgesprochene "Todesurteil" durch den iranischen Revolutionsführer Ruhollah Khomeini, der ein paar Monate später starb, wurde gleichsam zum revolutionären Erbe. Man konnte Khomeinis Spruch höchstens "privatisieren", in diesem Fall einer Stiftung anvertrauen, aber man wurde und wird die Fatwa nicht mehr los. Mehr noch, sie muss vor jenen verteidigt werden, die die Auswüchse der Revolution in Frage stellen – und das sind nach dem Verständnis der Hardliner auch die Pragmatiker im eigenen Lande, also auch Leute wie Khatami.

Religiöser Furor

Über die Bildung des Täters Hadi M. ist wenig bekannt; dass er den Text Rushdies gelesen hat, ist eher nicht wahrscheinlich. Auch jener Extremist, der 1994 den ägyptischen Nobelpreisträger Naguib Mahfuz niederstach, kannte dessen Bücher nachgewiesenermaßen nicht. Die Attacken auf Schriftsteller in den 1990er Jahren waren mit Gewissheit von Khomeinis religiösem Furor inspiriert. Khomeini rief nicht etwa als schiitischer iranischer, sondern in seiner Selbstsicht als globaler islamischer Führer zum Mord an einem "blasphemischen" Autor auf.

Die Gelegenheit, sich als Verteidiger des Islam weltweit zu stilisieren, kam ihm 1989 nicht ungelegen. Dass er dem Ende des achtjährigen Kriegs mit dem irakischen Diktator Saddam Hussein zustimmen hatte müssen, war für ihn und die von ihm inspirierten islamischen Gruppen in vielen Ländern eine Niederlage. Khomeini wollte auch nicht-schiitische Muslime und Musliminnen außerhalb des Iran ansprechen – vor allem jene in Pakistan und Indien, wo die Proteste gegen Rushdies Roman begonnen hatten. Das ist ihm in gewisser Weise damals auch gelungen.

Ein politisches Manifest

Die Informationen, die bisher über Hadi M. bekannt sind, deuten jedoch auf einen genuin schiitischen und mit dem Iran eng verbundenen Kontext hin. Er soll Papiere gehabt haben, die auf den Namen "Hassan Mughniyah" ausgestellt waren. Stimmt das, so kommt das einem politischen Manifest gleich.

Imad Mughniyah war der Militär- und Sicherheitschef der schiitischen libanesischen Hisbollah, der 2008 in Damaskus, mutmaßlich von Israel, getötet wurde. Seinem Sohn Jihad widerfuhr 2015 das gleiche Schicksal. Hassan ist zudem der Vorname von Hisbollah-Chef Hassan Nasrallah. Es gibt auch Informationen, dass Hadi M. ein großer Verehrer des im Jänner 2020 von den USA in Bagdad getöteten iranischen Generals Ghassem Soleimani war, außerdem soll es Bezüge zum jetzigen geistlichen Oberhaupt des Iran, Ali Khamenei, geben. Dass Hadi M. beim Attentat auf Rushdie schwarz gekleidet war, könnte der zeitlichen Nähe der Tat zum schiitischen Trauertag Ashura geschuldet gewesen sein, an dem der Tötung von Imam Hussein, des Enkels des Propheten Mohammed, 680 in Kerbala gedacht wird.

Extremisten jeder islamischen Couleur und jeder geografischen Herkunft fluten nun ihre jeweiligen sozialen Netzwerke mit schwer erträglichem Lob für die Tat. Im Iran ist die übliche Spaltung zu sehen, aber jene Medien, die für die Richtung stehen, die jetzt am Regierungsruder ist, feiern die Gewalt. Ob jemand der vom Hadi M. verehrten Hisbollah oder der iranischen Führung in irgendeiner Weise mit der Tat zu tun hat, weiß man noch nicht. Aber sie wird auf sie zurückfallen – und sie könnten sich nicht einmal dann distanzieren, wenn ihnen der Mordversuch an Rushdie jetzt ungelegen käme. Denn über sie thront der Schatten Khomeinis. Sein Erbe können sie nicht abschütteln, sie wollen es auch nicht. (Gudrun Harrer, 14.8.2022)