Innsbruck würde in der Bodenpolitik gerne neue Wege beschreiten.

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Es könnte eine Sensation werden, die sich da in Innsbruck anbahnt: Die Stadt hat kürzlich per Beschluss im Gemeinderat den Wohnungsnotstand ausgerufen – als Vorstufe für das eigentlich geplante Vorhaben: die Anwendung des Bodenbeschaffungsgesetzes. Dieses stammt von 1974 – und wurde noch niemals zuvor angewandt. Per Antrag an das Land Tirol fordert die Stadt nun eine Verordnung, anhand der das Gesetz auf Innsbruck angewandt werden könnte.

Enteignungen möglich

Das Gesetz würde der Stadt ermöglichen, Bauland für sozialen Wohnbau zu mobilisieren und unter Umständen sogar Enteignungen (gegen Entschädigung) durchzuführen. Möglich wäre das laut Gesetz bei Grundstücken, die als Bauland gewidmet und größer als 2.000 Quadratmeter sind. Voraussetzung wäre zunächst aber eben die formale Feststellung eines "quantitativen Wohnungsbedarfs" oder eines "qualitativen Wohnungsfehlbestands".

Letzteres ist definiert mit einem Anteil von mindestens zehn Prozent an mangelhaft ausgestatteten Wohnungen "mit Wasserentnahmestelle oder Abort außerhalb derselben". Das ist in Innsbruck nicht der Fall: Nur 0,1 Prozent beziehungsweise 1,1 Prozent aller Wohnungen verfügten über keine Wasserentnahmestelle beziehungsweise kein WC in der Nutzungseinheit.

Quantitativer Bedarf

Anders ist das beim quantitativen Wohnungsbedarf, wo man eines der beiden Definitionskriterien erfüllt sieht: nämlich jenes, dass "in einer Gemeinde zwei Prozent der Bevölkerung als Wohnungssuchende gemeldet und von der Gemeinde anerkannt" sein müssen. Zu Jahresbeginn waren in Innsbruck genau 5.112 Wohnungssuchende registriert, das sind rund 3,78 Prozent der aktuell knapp 132.000 Hauptwohnsitze.

Das zweite Kriterium wäre hier gewesen, dass die Zahl der vorhandenen und der im Bau befindlichen Wohnungen die Zahl der Haushalte um nicht mehr als drei Prozent übersteigen dürfte. Doch in Innsbruck gibt es sogar einen Wohnungsüberhang über die Haushaltszahl von 21 Prozent.

Breite Zustimmung

Man stellte also den quantitativen Wohnungsbedarf fest, und der Innsbrucker SPÖ-Stadtparteivorsitzende Benjamin Plach, der die Pläne rund um das Bodenbeschaffungsgesetz vorantreibt, hofft auf die Unterstützung des Landes Tirol – "auch wenn sich die Begeisterung dort in Grenzen hält", wie er dem STANDARD sagt.

Doch man habe das Ganze eingehend juristisch prüfen lassen und auf dieser Grundlage dann im Juli im Gemeinderat mehrheitlich den Beschluss für den Wohnungsnotstand gefasst. SPÖ, Grüne, Für Innsbruck, Neos sowie die Listen ALI und Fritz stimmten zu, die FPÖ stimmte dagegen.

Thema im Wahlkampf

Nun ist die Landesregierung am Zug, die bekanntlich ÖVP-dominiert ist. Sie muss den Antrag prüfen und dann die Entscheidung treffen, ob sie eine Verordnung erlässt oder nicht. Die Innsbrucker ÖVP hatte sich bei der Abstimmung im Juli enthalten.

Plach rechnet vor der Landtagswahl am 25. September nicht mehr mit einer Entscheidung des Landes. Im Wahlkampf will er an dem Thema jedenfalls dranbleiben. Auch von der Landes-SPÖ erhielt er kürzlich Unterstützung: Parteichef Georg Dornauer forderte von der Landesregierung, dem Innsbrucker Ansinnen keine Steine in den Weg zu legen. Man erwarte keine Unterstützung, "aber wir erwarten, dass sie uns arbeiten lassen".

Jedoch: "Da das Bodenbeschaffungsgesetz bisher nicht angewendet wurde, fehlt es an Judikatur, insbesondere im Hinblick auf die Verfassungskonformität der Bestimmungen über die Zwangsmaßnahmen", heißt es in dem Antrag der Stadt Innsbruck an das Land Tirol. "Mangels Erfahrungswerten lässt sich nicht abschätzen, inwieweit es bei der Anwendung dieses Gesetzes zu Vollzugsschwierigkeiten kommen könnte."

"Spektakulär"

Der Raumplanungsexperte Arthur Kanonier von der TU Wien begrüßt das Vorhaben des Innsbrucker Gemeinderats dennoch beziehungsweise eben genau aus diesem Grund ausdrücklich. "Es wäre tatsächlich spektakulär, wenn Innsbruck das jetzt endlich einmal macht", sagt Kanonier zum STANDARD. Er ist schon lange dafür, dass man angesichts der raumordnungspolitischen Komplexität in Österreich sowie diversen verfassungsrechtlichen "Bedenklichkeiten" endlich einmal Fakten schafft – indem ausjudiziert wird, was der Enteignungstitel, den das Bodenbeschaffungsgesetz schon lange vorsieht, tatsächlich leisten könnte.

Das Gesetz wurde zwar 1974 unter einer SPÖ-Alleinregierung geschaffen, bisher aber jedenfalls nicht abgeschafft. Unter Schwarz-Blau II war es knapp dran, Kanonier hätte damals schon erwartet, dass es dem großangelegten Rechtsbereinigungsvorhaben des damaligen Justizministers Josef Moser zum Opfer fällt. Doch das Bodenbeschaffungsgesetz wurde nochmals begnadigt, es ist weiterhin in Kraft. (Martin Putschögl, 18.8.2022)