Die Post sucht tausend Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen, die ÖBB will 3000 neue Leute einstellen – jährlich. Ein Generationswechsel steht bevor: Von 42.000 Mitarbeitern geht in den nächsten Jahren ein Viertel in Pension. Pflegeeinrichtungen, Hotellerie und Gastronomie sind ebenso auf der Suche wie Steuerberater, Baufirmen, Handel, Reinigungsdienstleister, Gewerbe und Gesundheitsbranche. Sie alle grasen den "ausgetrockneten" Arbeitsmarkt ab, wie Unternehmenschefs zu sagen pflegen.

Auch wenn die Zahl der offenen Stellen zuletzt etwas zurückgegangen ist und sich die Lage wegen des erwarteten Konjunkturrückgangs kurzfristig weiter entspannen könnte: Der Mitarbeitermangel bleibt virulent, weit mehr als 200.000 Stellen sind hierzulande zu besetzen – in Deutschland sind es einige Millionen.

Wenn sich der Wind dreht

So schnell wird sich daran wegen der demografischen Entwicklung nichts ändern. Der Wind am Arbeitsmarkt hat sich gedreht – weil die Wirtschaft brummt und neue Stellen schafft, weil jene, die suchen, nicht immer die gefragten Qualifikationen mitbringen, weil Beschäftigte in andere Branchen abgewandert sind – mit attraktiveren Arbeitszeiten oder Gehältern. Die Liste ließe sich fortsetzen.

Nicht alle konnten sich zuletzt ins Homeoffice zurückziehen. Auch diese Helden und Heldinnen der Pandemie haben wachsende Ansprüche.
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Es sind nun die Unternehmen, die um Arbeitskräfte werben. Lange war es umgekehrt. "Arbeitskraft war ausreichend verfügbar", sagt der Ökonom Philipp Kolo, Partner und Associate Director beim Berater Boston Consulting (BCG) in München. BCG hat sich nun speziell den Facharbeiterbereich angesehen – jene zwangsweise physisch vor Ort arbeitenden Menschen, die während der Pandemie nicht ins Homeoffice flüchten konnten. Österreicher und Österreicherinnen wurden nicht befragt, die Ergebnisse dürften übertragbar sein.

Sie sind – zumindest für Unternehmen – ernüchternd: Viele sind am Absprung. 37 Prozent der "Deskless"-Arbeitenden in Deutschland, Australien, Frankreich, Indien, Japan, Großbritannien und den USA haben vor, den Arbeitgeber in den kommenden sechs Monaten zu verlassen – definitiv. Andere wollen sich nicht länger als ein halbes Jahr binden oder überlegen noch. Das gaben 1.000 je Land befragte Teilnehmende der Studie "Why Deskless Workers Are Leaving" zu Protokoll.

Wertigkeit verschoben

Dabei ist der Mangel jetzt schon an allen Ecken und Enden zu spüren – hierzulande ebenso wie anderswo: Kaum ein Gastronom, der nicht zusätzliche Ruhetage eingeführt hat, kaum ein Unternehmenschef, der nicht die Flaute beklagt. Kein Zweifel: In den letzten zwei bis drei Jahren hat sich die Wertigkeit von Arbeit verschoben. So manche Beschäftigte haben in Phasen von Kurzarbeit den Schluss gezogen, dass weniger Arbeit trotz weniger Geld keine schlechte Option ist.

Mit statistischen Zahlen lässt sich das kaum unterfüttern. Die Teilzeitquote ist hierzulande 2021 noch gestiegen. Zehn Jahre davor gab es kaum Veränderung. Über den Zuwachs 2021 lässt sich nur spekulieren – die Daten sind aufgrund einer Erhebungsumstellung nicht vergleichbar. Dass Menschen weniger oder auch anders arbeiten wollen, geht aber aus vielen Befragungen hervor.

BCG wollte herauszufinden, was die Menschen an ihren Jobs stört – und wohin die Reise im Idealfall gehen sollte. Um sich dann die Frage zu stellen: Was müssen die Arbeitgeber bieten, um attraktiv zu sein?

Mehr Gehalt am Konto, auch das wünschen sich viele Befragte.
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Die Frage sei für Unternehmen strategisch geworden, sagt Berater Kolo. Denn engagierte, gute ausgebildete Menschen seien in Zeiten von Digitalisierung und grüner Transformation besonders wichtig: "Die Transformation droht immer mehr von den fehlenden Mitarbeitern gebremst zu werden", sagt Kolo. War das zuletzt ein Problem in der IT, schlägt es auf immer mehr Bereiche durch. Dass es auch den Facharbeiterbereich betrifft, der in den meisten Ländern drei Viertel oder mehr der Erwerbsbevölkerung ausmache, sei neu.

Mehr Flexibilität, mehr Geld

Doch was wünschen sich die Befragten? Die Möglichkeit, von zu Hause aus zu arbeiten, wie es so viele Wissensarbeiter tun, fällt in diesem Bereich vielfach flach. Man wünscht sich aber auch mehr Flexibilität – und mehr Geld, wie Kolo sagt: "Die Frage nach dem Gehalt erreicht eine neue Dimension. Im unteren Einkommensbereich spielen einige Prozentpunkte durchaus eine Rolle." Mit anderen Worten: Das Gut Arbeit wird rarer, Preis und Wertigkeit steigen.

Finanzielle Anreize allein können die Sache aber offenbar nicht richten. Zufriedenheit im Job sei immerhin die zweitwichtigste Komponente, betont der Berater: "Ganz wichtig. Wie kann ich Danke sagen. 42 Prozent sagen, dass ihre Arbeit nicht wahrgenommen wird." Ein Punkt, den Kolo nennt, wird wohl noch nicht ausreichend gewürdigt. Die Welt stehe am Start einer Transformationswelle in Sachen Nachhaltigkeit: "Mindestens fünfzig Prozent der jüngeren Generation schließen einen Arbeitgeber aus, der keine Verantwortung für dieses Thema übernimmt." (Regina Bruckner, 16.8.2022)