Salman Rushdie, der Meister der islamischen "Parodia sacra" – und deren Held wider Willen.

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Die Stellungnahme eines seiner Söhne war immerhin ermutigend, auch wenn darin von "lebensverändernden Verletzungen" durch das Attentat von Freitag in New York die Rede ist: Salman Rushdie sei am Sonntag vom Beatmungsgerät genommen worden und habe ein paar Worte gesagt. Und er habe seinen "üblichen unerschütterlichen polemischen Sinn für Humor" nicht verloren, sagt Zafar Rushdie über seinen Vater, den berühmtesten Vertreter der "Parodia sacra" im Islam – der diese Rolle bestimmt nicht gesucht hatte, als er 1988 seinen Roman Die satanischen Verse veröffentlichte.

Das Buch des im damaligen Bombay geborenen Autors nimmt Episoden und Figuren – vor allem jene des Propheten Mohammed – aus der islamischen Geschichte und parodiert sie. Sein Titel bezieht sich auf eine angebliche Verkündigungsanekdote: Der Prophet des Islam hatte, weil er sich so sehr wünschte, die sturen mekkanischen Heiden auf seine Seite zu ziehen, auf Einflüsterungen des Satans gehört, der die Verehrung der Stadtgöttinnen (!) von Mekka weiter erlaubte.

Der iranische Revolutionsführer Ruhollah Khomeini sprang auf einen fahrenden Zug auf, als er am 14. Februar 1989 eine Fatwa, ein islamisches Rechtsgutachten, erließ, in der er zur Tötung Rushdies aufrief. Die Proteste gegen "blasphemische" Inhalte des Romans waren in Pakistan und Indien schon angelaufen.

Irrelevante Muftis und Fatwas

Viel wurde seitdem medial aus dieser Fatwa gemacht, das Wort wurde zum Synonym für "islamisches Todesurteil" oder zumindest "Gesetz". Beides trifft nicht zu. So ein Rechtsgutachten sieht ja überhaupt nur als verbindlich an, wer auch sonst der Lehre des Erstellers gehorcht. Es ist auch nichts ewig Beständiges, etwa über den Tod des betreffenden Muftis – das ist einer, der Fatwas erlässt – hinaus. Und es gibt jede Menge völlig irrelevanter Muftis und irrelevanter Fatwas.

Khomeinis Rechtsmeinung entwickelte jedoch ihr Eigenleben, wie ja auch die islamische Revolution im Iran 1979 inspirierend für viele politische islamische und radikale Gruppen war, die sonst mit einem schiitischen Ayatollah nichts anfangen konnten. Der wollte immer ein "islamischer", nicht nur ein schiitischer Führer sein. Die Rushdie-Fatwa ist sein einziger Erfolg in dieser Hinsicht. Muslime und Musliminnen jeder Ausrichtung erbosten sich über dessen Buch – was natürlich nicht heißt, dass ihm alle den Tod wünschen.

Aus dem Dunstkreis der Erben Khomeinis

Die Ermittler wollten am Tag nach dem Messerattentat in New York – bei einer Veranstaltung, bei der Rushdie über die USA als Exilland für Schriftsteller sprechen sollte – noch keine sichere Verbindung zur Fatwa Khomeinis konstatieren: Der als Hadi Matar identifizierte Täter dürfte aber nach dem, was über ihn bekannt wurde, zumindest aus dem Dunstkreis der Erben Khomeinis stammen.

Es ist der gleiche Albtraum, den Europa so oft während der Terrorjahre des "Islamischen Staats" erlebt hat: Ein Einwandererkind zweiter Generation, von Bekannten als verschlossen, isoliert und "sehr traurig" beschrieben, findet seinen Lebenszweck im Kampf, den manche in der Herkunftsregion seiner Familie gegen "den Westen" führen. Hadi Matar wurde in den USA geboren, seine Familie stammt aus dem Südlibanon, wo der Einfluss der – vom Iran 1982 im Kontext des Kriegs mit Israel gegründeten – schiitischen Hisbollah groß ist.

Seine schiitischen Helden

Matar (24) soll mit einem gefälschten Ausweis unterwegs gewesen sein: ausgestellt auf den Namen Hassan Mughniyah. Imad Mughniya war ein von Israel 2008 getöteter Hisbollah-Führer. Und Hassan ist der Vorname von Hisbollah-Chef Nasrallah. Ob die Straßennummer auf dem Ausweis, 313, wirklich eine Anspielung auf den Raketentypus ist – die Fateh-313 –, mit dem Teheran auf die Tötung von General Ghassem Soleimani im Jänner 2020 in Bagdad durch die USA reagierte: Vielleicht sollte man nicht überinterpretieren. Aber es wurde berichtet, dass Matar für Soleimani schwärmte und auch zu den Anhängern des Nachfolgers Khomeinis, des jetzigen geistlichen Führers Ali Khamenei, gehört. Die Behauptung, dass er direkte Beziehungen zu den iranischen Revolutionsgarden (IRGC) haben soll, ist einstweilen nicht verifiziert.

Khamenei hat sich – auf Anfragen – nie von der Fatwa Khomeinis distanziert, das wäre auch völlig undenkbar. Der gescheiterte Reformpräsident Mohammed Khatami (1997–2005) versuchte, die Sache für erledigt zu erklären, aber die Entscheidungsgewalt darüber liegt ganz bestimmt nicht bei einem Regierungschef. Die Hisbollah schien am Wochenende jede Verantwortung von sich zu weisen. Verurteilungen wird man natürlich nicht hören. Es läuft auch im offiziellen Iran auf das Wording hinaus, dass Rushdie und die, die ihn gefördert hätten, an seinem Schicksal schuld seien. (Gudrun Harrer, 15.8.2022)