Der neu entdeckte Antikörper macht Forscherinnen und Forschern Hoffnung auf einen universellen Impfstoff.

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Die Impfstoffentwicklung ist ein Kampf gegen die Zeit, der kaum zu gewinnen ist: Hersteller müssen Vakzine schneller entwickeln, als das Virus mutieren kann – und hinken dabei immer hinterher. So wurden etwa auch die an Omikron angepassten Impfstoffe, die aktuell geprüft und zum Teil schon zugelassen wurden, an die Omikron-Ursprungsvariante BA.1 und nicht an die aktuell zirkulierenden Subtypen BA.4 und BA.5 angepasst.

"Mit der Anpassung der Impfstoffe läuft man immer dem gerade relevanten Virusstamm nach", fasst Markus Zeitlinger, Leiter der Universitätsklinik für Klinische Pharmakologie der Med-Uni/AKH Wien, zusammen. Es sei denn, man könnte einen Universalimpfstoff entwickeln, der gegen alle bisherigen und künftigen Varianten des Coronavirus wirkt. Er müsste eine so breite Antikörperantwort hervorrufen, dass diese vor jeglichen Mutationen schützt. Was unter Fachleuten lange als Ziel in weiter Ferne galt, scheint nun etwas näher gerückt zu sein: Forschende der Harvard Medical School in Boston haben in Mäusen einen Antikörper identifiziert, der alle bisher bekannten Varianten des Coronavirus neutralisieren kann.

Antikörper SP1-77 besonders wirksam

Die untersuchten Mäuse bildeten zuerst nach einer Genmanipulation menschliche Immunzellen aus. Die Forschenden veränderten das Mäusegenom so, dass die Tiere besonders viele verschiedene menschliche B-Zellen ausbildeten. Das sind jene Zellen, die bei einer Corona-Infektion die Antikörper produzieren.

Danach wurde den Mäusen zweimal im Abstand von vier Wochen das Spike-Protein des ursprünglichen Wuhan-Stamms oder Nanopartikel mit nur dessen Bindungsstelle injiziert. Durch diesen Kontakt mit viralem Material produzierte das humanisierte Immunsystem der Mäuse neun verschiedene Stämme von Antikörpern gegen das Coronavirus.

Um die Wirksamkeit dieser Abwehrproteine gegen die verschiedenen Virusvarianten zu messen, führten die Wissenschafter und Wissenschafterinnen anschließend Neutralisationstests mit einem Antikörper jeder bisherigen Viruslinie durch. Einer dieser Antikörper, der sogenannte SP1-77, erwies sich als besonders wirksam, wie die Forschenden schreiben: "SP1-77 neutralisierte sehr potent alle bisher bekannten Sars-CoV-2-Varianten, darunter auch die kürzlich entstandenen Omikron-Subvarianten BA.1, BA.2, BA.3, BA.4/5 und BA.2.12.1."

Neuer Antikörper-Mechanismus

Diese hohe Wirksamkeit liegt daran, dass SP1-77 das Spike-Protein an einer Stelle bindet, die kaum von den Mutationen des Coronavirus betroffen ist. Die meisten anderen Antikörper docken an der Rezeptor-Bindungsstelle des Virus an, aber der Antikörper SP1-77 bindet an einer Bindungsstelle auf der gegenüberliegenden Seite, an der sogenannten ACE2-Bindungsstelle.

Und noch etwas ist bei dem neu entdeckten Antikörper erstaunlich: SP1-77 lässt zwar das Andocken des Virus an ebendiesen ACE2-Rezeptor auf der Zelloberfläche zu, blockiert aber die Fusion der äußeren Virusmembran mit der Membran der Zelle. Das ist aber ein für den Zelleintritt des Virus essenzieller Schritt. Das Coronavirus kann dadurch also an menschliche Zellen binden, gelangt aber nicht hinein und kann die Zelle dementsprechend nicht infizieren.

Der neue Antikörper SP1-77 setzt damit an einer Stelle an, die bisher von keinem Antikörper genutzt wurde, wie die Forschenden erklären: "Wenn sich diese breite und potente Wirkung gegen Sars-CoV-2-Varianten auch in vivo bestätigt, dann hat dieser Antikörper das Potenzial zur Therapie gegen aktuelle und neu auftretende Variants of Concern."

Corona-Impfung mittels Nasenspray

Bis der neu entdeckte Antikörper weiter erforscht und möglicherweise in Impfstoffen verabreicht werden kann, wird es allerdings noch dauern. Bereits weiter fortgeschritten ist die Forschung bei nasalen Impfstoffen – das heißt, dass bestehende Impfungen als Spray über die Nase und nicht wie bisher intramuskulär, also über den Muskel, verabreicht werden.

Nasensprays haben sich bisher als sehr vielversprechend erwiesen. Bei Hamstern konnte eine nasale Impfung eine Covid-19-Infektion sogar ganz abwehren, wie eine Studie von Forschenden der Freien Universität Berlin zeigt. In Indien wurde ein Nasenspray bereits in klinischen Studien getestet, der erste nasale Impfstoff soll dort bald verfügbar sein. Noch im August könnte er zugelassen werden, die klinischen Studien dazu würden gute Wirkungen zeigen.

Dorothee von Laer, Virologin von der Med-Uni Innsbruck, überrascht das nicht. Der Zugang sei durchaus sinnvoll: "Durch nasale Impfungen entsteht eine besonders gute Schleimhautimmunität im Nasen-Rachen-Raum. Genau dort brauchen wir die schützenden Antikörper, denn da tritt das Virus in den Körper ein", erklärt von Laer. Sars-CoV-2-Viren würden so direkt im Nasen-Rachen-Raum bekämpft und könnten sich gar nicht erst festsetzen. Dadurch sinkt das Risiko für eine Infektion, und auch die Übertragung und die Verbreitung des Virus werden unwahrscheinlicher. In den USA seien bereits Grippe-Impfstoffe zugelassen, die durch Nasensprays verabreicht werden. Das sei auch bei Corona ein hoffnungsvoller Zugang, sagt die Virologin.

Großbritannien genehmigte Omikron-Impfstoff

Was für die nahe Zukunft und den bevorstehenden Herbst Fachleuten zufolge für das österreichische Infektionsgeschehen am relevantesten sein wird, sind die an Omikron angepassten Impfstoffe. Großbritannien genehmigte bereits als erstes Land ein an Omikron angepasstes Vakzin. Der Impfstoff des US-Herstellers Moderna könne laut der britischen Gesundheitsbehörde MHRA als Booster für Erwachsene eingesetzt werden, weil sich in klinischen Studien eine "starke Immunantwort" gezeigt hätte. Es ist der erste sogenannte bivalente Corona-Impfstoff – das bedeutet, dass er gegen die Ursprungsvariante und gegen eine Omikron-Variante immunisiert –, der in Großbritannien und weltweit zugelassen wurde. Das Vakzin "Spikevax bivalent Original/Omicron" richtet sich sowohl gegen den ursprünglichen, erstmals 2020 aufgetretenen Coronavirus-Stamm, als auch gegen die Omikron-Variante BA.1. Auch für die Subtypen BA.4 und BA.5 der Omikron-Variante seien "gute" Ergebnisse erzielt worden, teilte die MHRA mit.

Der angepasste Moderna-Impfstoff wird derzeit auch von der EU-Arzneimittelbehörde EMA geprüft. Parallel befasst sich die EMA mit der Prüfung eines angepassten Vakzins von Biontech/Pfizer. Mit einer Zulassung sei laut Fachleuten wohl im Herbst zu rechnen. (Magdalena Pötsch, 17.8.2022)