Werner Kogler neigt zu einer abwägenden Argumentation – umso erstaunlicher war das klare Ja, das der grüne Vizekanzler am Montagabend auf die ORF-Frage äußerte, ob er Österreich mit der Waffe verteidigen würde. Der ehemals friedensbewegte Grünen-Chef vollzieht damit öffentlich nach, was deutsche Grüne vor mehr als zwei Jahrzehnten beim Krieg um den Kosovo hinter sich gebracht haben: die Abkehr vom Bekenntnis zur militärischen Gewaltlosigkeit.

Das ist nicht leicht für Grüne.

Der grüne Vizekanzler Werner Kogler beim ORF-Sommergespräch am Montag.
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Das ist auch nicht leicht in einer Gesellschaft, in der sich junge Männer in Scharen von der Wehrpflicht abwenden und sich junge Frauen nur ausnahmsweise für eine Karriere beim Heer entscheiden. Österreich notfalls unter Einsatz des eigenen Lebens zu verteidigen: Das ist ein Minderheitenprogramm. In den mehr als 30 Jahren seit dem Ende des Ost-West-Konflikts sind Generationen von Menschen herangewachsen, die sich mit Kriegsgefahren und sicherheitspolitischen Notwendigkeiten nicht mehr auseinandersetzen wollten – und auch nicht mussten.

Denn die Umfassende Landesverteidigung, die unter den Regierungen Kreisky und Sinowatz noch als zentrale Staatsaufgabe gesehen wurde, ist ja in diesen Jahren völlig vernachlässigt worden. Ihr Grundgedanke war, dass Österreichs Sicherheit eben nicht nur vom Bundesheer, sondern in gleichem Ausmaß auch von wirtschaftlichen, zivilen und ideellen Anstrengungen getragen wird. Wie es mit der wirtschaftlichen und zivilen Landesverteidigung steht, sieht man seit Beginn des Ukraine-Kriegs: Die notwendigen Anstrengungen, um die Bevölkerung auf die Folgen eines Wirtschaftskriegs mit Zusammenbruch etablierter Lieferketten vorzubereiten und entsprechende Notfallreserven zu bilden, sind einfach unterblieben – nationale Notfallpläne gibt es bis heute nicht.

Geistige Leere

Ähnlich sieht es im Bereich der geistigen Landesverteidigung aus: Diese sollte die Gesellschaft auf Resilienz im Krisenfall hintrimmen – und auf Wehrhaftigkeit im Fall, dass uns eine militärische Konfrontation doch erreichen sollte.

Das zuständige Unterrichtsministerium hat sich aber in den letzten Jahren auf "Vermittlung demokratischer Werthaltungen und Schaffung eines umfassenden Bewusstseins für demokratische Freiheiten" beschränkt. Die Idee, dass diese Freiheiten auch verteidigt werden müssen, ist dabei unter den Tisch gefallen. Immerhin hat sich der verantwortliche Minister Martin Polaschek (ÖVP) in der vorigen Woche dazu entschlossen, die geistige Landesverteidigung aus dem Dornröschenschlaf zu wecken – den Anstoß dazu musste allerdings Verteidigungsministerin Klaudia Tanner geben. Denn in Österreich wird Landesverteidigung – entgegen dem Verfassungsauftrag – nicht umfassend, sondern primär als Sache des Bundesheers gesehen. Mit diesem aber wollen eben viele Österreicherinnen und Österreicher möglichst wenig zu tun haben. Weil politische Bildung in Sachen geistiger Landesverteidigung so lange versagt hat, fühlen sie sich und ihr Land durch die Neutralität ausreichend geschützt.

Und wenn das doch nicht reichen sollte, hoffen sie insgeheim auf die sonst geschmähte Nato. Kogler hat nun erkannt und bekannt, dass das nicht ausreicht. (Conrad Seidl, 16.8.2022)