Palästinenserpräsident Mahmud Abbas besuchte am Dienstag den deutschen Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) in Berlin. Beim gemeinsamen Auftritt relativierte Abbas den Holocaust, Scholz reichte ihm direkt danach die Hand.

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Berlin – Nach einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Palästinenserpräsident Mahmoud Abbas hat sich Deutschlands Bundeskanzler Olaf Scholz empört über die dabei von seinem Gast erhobenen Holocaust-Vorwürfe gegen Israel gezeigt. "Gerade für uns Deutsche ist jegliche Relativierung des Holocaust unerträglich und inakzeptabel", sagte Scholz am Dienstag der "Bild"-Zeitung. Während der Pressekonferenz hatte sich Scholz nicht zu der Aussage von Abbas geäußert. Erst am Mittwochvormittag schrieb Scholz auf Twitter, er sei "zutiefst empört über die unsäglichen Aussagen des palästinensischen Präsidenten Mahmoud Abbas".

Der deutsche Kanzler hatte Abbas am Dienstagnachmittag in Berlin empfangen. Bei der anschließenden Pressekonferenz in der deutschen Hauptstadt wurde der Palästinenserpräsident nach einer möglichen Entschuldigung der Palästinenser für das Olympia-Attentat in München 1972 gefragt. Darauf antwortete er nicht, erhob aber stattdessen schwere Vorwürfe gegen Israel: Israel habe seit 1947 "50 Massaker, 50 Holocausts" an Palästinensern begangen, so Abbas. Nach den Aussagen Abbas' endete die Pressekonferenz, ohne dass Scholz Stellung bezog. Stattdessen reichte er Abbas die Hand.

Abbas hat der palästinensischen Agentur Wafa zufolge am Mittwoch versucht, die Aussagen zu relativieren. "Präsident Abbas bekräftigt, dass der Holocaust das abscheulichste Verbrechen der modernen menschlichen Geschichte ist", schrieb Wafa. Im selben Atemzug wog er jedoch erneut angebliche "Verbrechen und Massaker gegen das palästinensische Volk, die Israels Streitkräfte seit der Naqba begangen haben" mit dem Holocaust auf. Diese "Verbrechen" hätten bis zum heutigen Tag nicht aufgehört.

"Moralische Schande"

Israels Ministerpräsident Jair Lapid hat die Aussagen Abbas' mit deutlichen Worten zurückgewiesen. "Dass Mahmud Abbas Israel beschuldigt, '50 Holocausts' begangen zu haben, während er auf deutschem Boden steht, ist nicht nur eine moralische Schande, sondern eine ungeheuerliche Lüge", schrieb Lapid am Dienstagabend bei Twitter.

Kritik des Auschwitz-Komitees

Das Internationale Auschwitz-Komitee kritisierte Abbas' Aussage ebenso wie die zögerliche Reaktion der deutschen Seite scharf. Exekutiv-Vizepräsident Christoph Heubner erklärte, Abbas habe "die politische Bühne Berlins gezielt genutzt, um die deutsche Erinnerungskultur und die Beziehungen zum Staat Israel zu diffamieren. Mit seinem schändlichen und unangemessenen Holocaust-Vergleich hat Abbas erneut versucht, antiisraelische und antisemitische Aggressionen in Deutschland und Europa zu bedienen."

In Bezug auf das Verhalten von Scholz erklärte Heubner, es sei "erstaunlich und befremdlich, dass die deutsche Seite auf Abbas' Provokationen nicht vorbereitet war und seine Äußerungen zum Holocaust in der Pressekonferenz unwidersprochen geblieben sind".

Die Aussagen Abbas' sind in der Aufzeichnung der Pressekonferenz etwa ab Minute 22 nachzusehen.
phoenix

Kritik der Opposition

Die Union kritisierte Scholz wegen seines Umgangs mit dem Holocaust-Vorwurf. "Ein unfassbarer Vorgang im Kanzleramt", schrieb CDU-Chef Friedrich Merz auf Twitter. Der Kanzler hätte dem Palästinenserpräsidenten "klar und deutlich widersprechen und ihn bitten müssen, das Haus zu verlassen!", argumentierte er.

Die stellvertretende CDU-Bundesvorsitzende Karin Prien schrieb mit Blick auf Scholz auf Twitter: "Zu wenig, zu spät." Für jüdische Menschen sei das Schweigen des Bundeskanzlers ein unerträgliches Versagen. Die nachträglichen Rechtfertigungsversuche machen es nicht besser, schrieb Prien.

Der CDU-Politiker Armin Laschet nannte den Auftritt Abbas' "die schlimmste Entgleisung, die je im Kanzleramt zu hören war". Der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, sagte dem Redaktionsnetzwerk Deutschland, Abbas erweise "den berechtigten palästinensischen Anliegen" keinen Dienst. "Durch seine Holocaust-Relativierung hat Präsident Abbas jegliche Sensibilität gegenüber uns deutschen Gastgebern vermissen lassen", kritisierte Klein. "Das gilt gerade auch im Hinblick auf die gestellte Frage zum Olympiaattentat, das von PLO-Terroristen verübt wurde."

Der FDP-Fraktionsvize Alexander Graf Lambsdorff erklärte hingegen, eine breitere Öffentlichkeit erfahre endlich, "wie die Palästinenser und Abbas – Israels angebliche 'Partner' – drauf sind. Das ist wichtiger als Kritik am Bundeskanzler, dessen Empörung klar sichtbar war."

Terroranschlag auf israelische Olympiateilnehmer

Am 5. September 1972 war ein palästinensisches Terrorkommando in das Münchner Olympiagelände eingedrungen und hatte dort Mitglieder der israelischen Mannschaft als Geiseln genommen. Bei der Geiselnahme und einer missratenen Befreiungsaktion starben elf israelische Sportler und ein deutscher Polizist. Abbas war zu dem Zeitpunkt Finanzchef der PLO.

Der Palästinenserpräsident war schon in der Vergangenheit immer wieder durch antisemitische und geschichtsfälschende Aussagen aufgefallen. So leugnete er die Existenz der Gaskammern in den deutschen KZs und dass im Holocaust sechs Millionen Juden ermordet wurden. Die zionistische Bewegung habe sich mit den Nazis gegen die Juden verschworen, um die Massenvernichtung auszuweiten. (red, APA, 17.8.2022)