Sieg oder Niederlage? Die Polin Iga Swiatek weint hier aus Freude über ihren Sieg bei den French Open 2022.
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Wir vergießen sie, wenn wir glücklich oder traurig sind, gemeinsam oder allein, in unseren schönsten Stunden und in unseren schwierigsten: Tränen. Sie willentlich herbeizuführen gilt als hohe Kunst in der Schauspielerei, doch in der Regel sind sie unkontrollierbarer Ausdruck unserer intensivsten Gefühle. In der stoischen Philosophie galten Tränen deshalb als unangebracht und dem Glück hinderlich, auch die Freudentränen.

Dabei sind Tränen nicht immer auf Emotionen zurückzuführen: Es gibt auch sogenannte Reflextränen, die etwa beim Schneiden von Zwiebeln oder bei Kälte auftreten. Und ein gewisser Tränenfluss muss immer vorhanden sein, um das Auge feucht zu halten und zu schützen. Und auch Krokodilstränen sind, wie es schon die Redensart suggeriert, kein Ausdruck von echter Emotion, sondern ein von bestimmten Krokodilen beim Verschlingen des Opfers aus den Augen abgesondertes Sekret.

Auslöser identifiziert

Was aber können Auslöser für emotionale Tränen sein? Forschende der Universität Ulm und der Universität Sussex haben nicht weniger als fünf Gruppen von Tränendrüsendrückern identifiziert und im Fachjournal "Motivation and Emotion" veröffentlicht.

In insgesamt drei Einzelstudien wurden Menschen mit einem Durchschnittsalter von 30,3 Jahren befragt, davon 64 Prozent Frauen. Die größte der drei Studien bestand aus einer Onlinebefragung von 720 Personen, immerhin 91 Personen führten ein elektronisches Tagebuch, in dem die Menschen festhielten, was sie wann zum Weinen brachte.

Fünf Gruppen

Dabei ließen sich die Auslöser für emotionale Tränen verlässlich in die Kategorien Einsamkeit, Machtlosigkeit, Überforderung, Harmonie und – einigermaßen überraschend – Medienkonsum einordnen.

Hier ist es die sich abzeichnende Niederlage gegen Daniil Medwedew bei den US Open 2021, die Novak Djokovic zu Tränen rührt.
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In die letzte Kategorie fiel immerhin jede vierte Beobachtung. Dabei seien sowohl Freudentränen als auch solche der Traurigkeit aufgetreten – stellvertretend für eine in den Medien gezeigte Figur oder reale Person.

Zusammenhang mit Grundbedürfnissen

Die Forschenden mutmaßen, dass Tränen immer dann fließen, wenn unsere psychologischen Grundbedürfnisse verletzt oder in besonderem Maß befriedigt werden.

"Ähnlich wie bei biologischen Grundbedürfnissen, wie Schlaf oder Essen, geht man davon aus, dass die Frustration oder die Befriedigung dieser psychologischen Faktoren unser subjektives Wohlbefinden beeinflussen", erklärt Michael Barthelmäs, der Erstautor der Studie. Bei diesen Bedürfnissen handle es sich etwa um Nähe, Autonomie oder Kompetenz. Einsamkeit beispielsweise ordneten die Forschenden in diesem Rahmen dem Bedürfnis der Nähe zu, während Tränen angesichts von Krankheit mit dem Gefühl der Machtlosigkeit verbunden seien, was als Verlust der Autonomie interpretiert werden könne.

In den Befragungen zeigten sich auch Altersunterschiede: Jüngere Personen weinten demnach häufiger aus Überforderung als alte Personen.

Lücke geschlossen

Mit der Studie sei eine Lücke in der Erforschung von emotionalen Tränen geschlossen worden, betont das Forschungsteam.

"Bislang weiß man relativ wenig darüber, welche Rolle emotionale Tränen bei psychischen Erkrankungen spielen. Außerdem fehlen systematische Erkenntnisse darüber, wie Tränen soziale Interaktionen regulieren. Das heißt, welchen Einfluss Tränen zum Beispiel darauf haben, ob ein Mensch einen anderen unterstützt", sagt Johannes Keller, Leiter der Abteilung für Sozialpsychologie an der Universität Ulm.

Die Ergebnisse der Gruppen aus Ulm und Sussex sollen den Boden für künftige Forschungen bereiten und helfen, diese Fragen zu klären. (Reinhard Kleindl, 18.8.2022)