Die Lösung wäre aus Sicht der Arbeiterkammer eine verstärkte Haftung für Auftraggeber.

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Der Fall Hygiene Austria sei ein "Paradebeispiel" dafür, wie Unternehmen das Gesetz gegen Sozialbetrug untergraben können, sagte Ludwig Dvorak, Jurist bei der Arbeiterkammer (AK), am Mittwoch bei einem Gespräch mit Journalistinnen und Journalisten. Denn für eine halbe Million Euro an ausstehenden Löhnen und Abgaben aus der Maskenproduktion müsse voraussichtlich nicht das skandalumwitterte Unternehmen aufkommen, sondern die Allgemeinheit.

Grund dafür ist die spezielle Konstruktion, mit der die Hygiene Austria nach Ausbruch der Pandemie ihre Maskenproduktion hochfuhr: Das Unternehmen beschäftigte laut Arbeiterkammer im März 2021 nur elf Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter selbst. Indirekt waren aber rund 200 weitere Arbeitskräfte in der Maskenproduktion tätig, die bei sogenannten Arbeitskräfteüberlassern angestellt waren. Die Hygiene Austria beschäftigte die Mitarbeiter also nicht direkt, sondern bezahlte externe Dienstleister für die "Überlassung" von Personal.

Lücke im Gesetz

Das Problem: Mittlerweile sind vier dieser Subunternehmen in Konkurs. Ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bekommen daher keine Löhne mehr von ihnen. Und auch die Hygiene Austria muss voraussichtlich nicht zahlen. Die Arbeiterkammer führt im Namen von Mitarbeitern zwar mehrere Verfahren gegen das Unternehmen, weil in bestimmten Fällen die Auftraggeber für die Gehälter haften. Das gilt aber – wie im aktuellen Fall – dann nicht, wenn die Arbeitskräfteüberlasser insolvent sind. Die Hygiene Austria argumentiert zudem damit, dass sie die Gehälter ja schon indirekt über die Subfirmen vorgestreckt habe.

Die gute Nachricht: Alle betroffenen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer werden ihr Geld bekommen. Die schlechte: Die ausstehenden Löhne bezahlt nun voraussichtlich der Insolvenzentgeltfonds, der aus Beiträgen aller österreichischen Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber gespeist wird. Für entgangene Steuern und Sozialversicherungsbeiträge wird die Allgemeinheit aufkommen müssen – und nicht jene Unternehmen, die von der Konstruktion profitierten.

"Kratergroße Schlaglöcher"

Für die AK ist der Fall Hygiene Austria nur ein Beispiel von vielen. Die Haftung der Auftraggeber für Löhne weise in der Praxis "kratergroße Schlaglöcher" auf. Zu diesem Schluss kommt ein Bericht der Forschungs- und Beratungsstelle Arbeitswelt (Forba), den die Kammer in Auftrag gegeben hat. Die gesetzlichen Bestimmungen seien kompliziert und die rechtliche Durchsetzung sehr aufwendig. Zum Teil scheitere die Möglichkeit, den Auftraggeber zu belangen, weil die Haftung nur in bestimmten Fällen anwendbar ist. Das gelte nicht nur im Bereich der Arbeitskräfteüberlassung, sondern auch bei Subunternehmerketten, wie sie vor allem in der Baubranche üblich sind.

Die Lösung wäre aus Sicht der Arbeiterkammer einfach. "Die Haftung des Hauptauftraggebers", sagt AK-Jurist Walter Gagawczuk. Denn dann würden Auftraggeber schon aus Gründen des Selbstschutzes nur Aufträge an seriöse und zahlungskräftige Unternehmen vergeben. Gleichzeitig soll die Regierung laut Gagawczuk aber auch die Kontrollen durch die Finanzpolizei und die Strafen verschärfen.

Keine Änderung geplant

Das Wirtschaftsministerium, das mittlerweile auch für Arbeit zuständig ist, verweist auf den bestehenden Insolvenzentgeltfonds, der dafür Sorge trägt, dass Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zeitnah und in einem einfachen Verfahren zu ihren offenen Ansprüchen kommen. So müssen sie im Fall der Insolvenz ihres Arbeitgebers nicht vor Gericht um ihr Gehalt kämpfen.

Das ändert allerdings nichts daran, dass die Kosten letztlich beim Fonds hängenbleiben. Bestünde eine Auftraggeberhaftung, könnte er sich das Geld laut Arbeiterkammer beim betroffenen Unternehmen zurückholen. Insofern gebe es daran auch ein "gesamtwirtschaftliches Interesse". Gesetzliche Änderungen sind laut dem Wirtschaftsministerium derzeit aber nicht geplant, heißt es auf Anfrage des STANDARD.

Zahlreiche Verfahren

Der Vorwurf des Sozialbetrugs ist nur einer von mehreren, aufgrund derer derzeit Verfahren gegen die Hygiene Austria geführt werden. Statt Masken aus Österreich sollen zum Teil solche aus China verkauft worden sein. Wie der STANDARD berichtete, steht nun auch mutmaßliche Abgabenhinterziehung im Raum. Für alle Beteiligten gilt die Unschuldsvermutung. (Jakob Pflügl, 18.8.2022)