Mittel- bis langfristig habe er ein ganz schlechtes Gefühl, was die Personalnot in Spitälern anlangt, sagt ein Wiener Spitalsarzt.

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Ans Aufhören hat Cornelia Palmetzhofer noch nie gedacht. Ihren Job in der Pflege macht sie nach 30 Jahren in der Branche noch immer gern. Aber sie merke, wie sich die Situation – auch in ihrem Umfeld – zuspitze. "Für viele ist die Grenze nach mehr als zwei Jahren Pandemie erreicht", sagt Palmetzhofer, die als Pflegedirektorin am Universitätsklinikum Tulln und am Landesklinikum Klosterneuburg mehrere Hundert Pflegebedienstete koordiniert. Diese würden teilweise keine Perspektive mehr sehen, und mittlerweile sei es auch schwer, ihnen eine Aussicht zu vermitteln. Zu oft dachte man in dieser Pandemie schon, dass es nur ein "letztes Durchtauchen" sein würde, sagt sie. Obwohl die Zahl der Covid-Patienten teilweise schon weit höher war, ist das Personal mitunter am Limit.

Bis zu 18 Prozent der Betten gesperrt

Seite Ende Juli sank die Zahl der Covid-Patientinnen auf Normalstationen, sie liegt nun etwas über 1.200, auf Österreichs Intensivstationen müssen knapp 70 Menschen wegen Covid behandelt werden. Zum Vergleich: Im März lagen auf den Normalstationen bis zu 3.000 Covid-Patienten, und im November 2021 lagen mehr als 600 Personen mit Covid auf Intensivstationen.

Es ist aber nicht nur die Belastung durch Covid-Patienten, die Krankenhäusern zusetzt. Wie in anderen Branchen fehlt es auch im Gesundheitsbereich an Personal. "Es ist ein wirkliches Problem", sagte die ärztliche Leiterin Alexandra Kofler von der Klinik Innsbruck vor kurzem zum ORF Tirol. Zwischen 13 und 18 Prozent der Betten waren dort wegen Personalmangels gesperrt. In den Spitälern der Oberösterreichischen Gesundheitsholding sind aktuell etwa 15 Prozent wegen Personalmangels gesperrt, in Vorarlberg zehn Prozent, im Uniklinikum Salzburg acht Prozent, gefolgt von sieben Prozent in der Steiermark sowie fünf Prozent im Burgenland und Kärnten. Die Kliniken in Niederösterreich verzeichnen nur drei Prozent wegen Personalmangels gesperrte Betten, wie ein STANDARD-Rundruf ergab.

Urlaub, Krankenstände, Karenz, Fachkräftemangel

Nach mehr als zwei Jahren ist das Personal erschöpft, teilweise ausgebrannt. Manche Trägerorganisationen benennen eine angespannte Personalsituation als Ursache und sagen hinter vorgehaltener Hand, dass es einen derartigen Personalmangel vor der Pandemie nicht gab. Andere sagen, dass es nicht primär wegen unbesetzter Stellen zu den Sperren kommt.

Die Oberösterreichische Gesundheitsholding erklärt die 15 Prozent Sperren so: "Dieser Wert ist seit Jahren im Sommer etwa gleich", er diene dazu, den Mitarbeiterinnen Urlaubsabbau zu ermöglichen. "Diese Situation ergibt sich momentan wegen der Urlaubszeit, der Krankenstände, Karenzierungen und wegen des Fachkräftemangels", schreiben die Vorarlberger Kliniken. Der Wiener Gesundheitsverbund teilte dem STANDARD auch nach mehrmaliger Nachfrage keine Zahlen mit, die Anzahl der gesperrten Betten sei immer nur eine Momentaufnahme, hieß es dort.

Kein Durchschnaufen mehr

"Normalerweise ist der Sommer die Zeit, in der man ein bisschen durchschnaufen kann", sagt ein Wiener Spitalsarzt, der anonym bleiben will. Daher seien jeden Sommer Stationen gesperrt, damit das Personal auf Urlaub gehen kann. Heuer aber müssten zusätzlich Stationen wegen Personalausfällen geschlossen werden oder weil Pflegepositionen schlichtweg nicht mehr besetzt werden können. Auch wenn aktuell weniger Covid-Patienten ins Krankenhaus oder gar auf die Intensivstationen müssen, so haben die vergangenen zwei Jahre doch als Brandbeschleuniger für den Personalmangel gewirkt. "Mittel- bis längerfristig habe ich da ein ganz schlechtes Gefühl, das ich bis vor wenigen Monaten nicht hatte", sagt der Spitalsarzt. Worauf das hinausläuft? Im Extremfall müssen zu Mittag Angehörige kommen, um Patienten zu füttern, wie es bereits in anderen europäischen Ländern Realität ist, meint der Mediziner. Aber dass die Qualität der Pflege generell abnehme, sei sicher.

"In Wirklichkeit geht es nicht"

Elisabeth Potzmann schätzt das Ausmaß der Bettensperren als hoch ein. Die Präsidentin des Österreichischen Gesundheits- und Krankenpflegeverbands sagt, sie habe in den vergangenen Monaten bei Bundesländern und Trägern eine Tendenz zum Schönfärben bemerkt. Von ihren Kolleginnen höre sie gleichzeitig, wie belastend die Situation aktuell ist. "Wenn man das schönredet, ist niemandem geholfen", sagt Potzmann. Es sei spürbar, dass die Versorgung mancherorts schon mangelhaft ist. Daher könne sie es auch nicht mehr hören, wenn gesagt werde, es gehe sich eh aus: "In Wirklichkeit geht es nicht." Zunächst fällt die Zeit für Gespräche und Information von Patientinnen weg, dann wird einmal der Blutdruck oder Blutzucker nicht gemessen, und schließlich müssen Patientinnen auf vielleicht wichtige Untersuchungen länger warten, schildert Potzmann.

"Es erwischt das Personal"

Die angespannte Personalsituation kann auch Eva Potura bestätigen. Die Anästhesistin und Intensivmedizinerin ist Gründerin des Vereins Second Victim. Als derartiges "zweites Opfer" bezeichnet man Menschen, die durch einen schweren Zwischenfall in ihrer Arbeit im Gesundheitsbereich selbst traumatisiert sind. "Die vergangenen zwei Jahre waren extrem herausfordernd. Dienstpläne halten nicht, jeden Tag gibt es Änderungen", sagt die Intensivmedizinerin. Auf ihrer Station sind seit der Dominanz der Omikron-Mutation vergleichsweise wenige Fälle. "Aber es erwischt die ganze Zeit Personal", sagt Potura. Dass sie und ihre Kolleginnen zu Beginn der Pandemie als Heldinnen gefeiert wurden, stößt ihr heute sauer auf, wie sie sagt. Es gehe nicht darum, heldenhaft zu sein, vielmehr sollte man auch einmal "Schwäche" zeigen können oder sagen, wenn es nicht mehr geht, hier müsse ein Kulturwandel her.

Auch Pflegedirektorin Palmetzhofer war in den vergangenen zwei Jahren mit Fällen konfrontiert, in denen es nicht mehr geht. Einige, teilweise sehr junge Mitarbeiter leiden an Long Covid oder Post Covid und kämpfen damit, dass sie trotz ihres jungen Alters und bis dahin guter Gesundheit einfach nicht arbeiten können. Und auch die Covid-infizierten Mitarbeiterinnen verschärfen die Personalsituation. "Die Mitarbeiter, die positiv sind, sind auch wirklich krank, die wenigsten sind nach ein paar Tagen wieder einsatzbereit." Im Durchschnitt zehn bis 14 Tage sind die Personen nicht einsatzfähig.

Palmetzhofer sieht nur wenige Leute, die den Pflegeberuf ganz an den Nagel hängen, aber in den vergangenen zwei Jahren hat sie die Erfahrung gemacht, dass sich Mitarbeiter oftmals Jobs mit Dienstplansicherheit suchen: in Ordinationen oder Primärversorgungseinrichtungen, wo es keine Wochenend- oder Nachtdienste gibt und die Extrembelastung durch andauerndes Einspringen wegfällt. Palmetzhofer und ihre Kolleginnen hoffen, dass sich die Covid-Situation im Herbst nicht wieder zuspitzt. Gleichzeitig betont sie, dass die Zusammenarbeit mit anderen Kliniken in den vergangenen zwei Jahren gut funktioniert hat. "Jeder hat den anderen unterstützt, und das werden wir im Herbst wieder machen, wenn es erforderlich ist", sagt sie. Dieses Miteinander war für sie einer der positiven Effekte der Pandemie. (Levin Wotke, 18.8.2022)