Tina konnte nach der Abschiebung ihrer Familie wieder zurück nach Österreich. Seit Dezember 2021 lebt sie mit einem Schülervisum in Wien.

Foto: Robert Newald

Jetzt ist es endgültig fix: Die Abschiebung der damals zwölfjährigen Tina war rechtswidrig. Bereits im März fällte das Bundesverwaltungsgericht ein entsprechendes Urteil. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl bekämpfte dieses und legte Revision ein. Der Verwaltungsgerichtshof hat den Einspruch nun zurückgewiesen, wie der Anwalt des georgischen Mädchens, Wilfried Embacher, via Twitter, mitteilte.

Frage: Wie begründet der Gerichtshof seine Entscheidung?

Antwort: Laut Höchstgericht war die Abschiebung am 28. Jänner 2021 "unverhältnismäßig". Es begründete dies etwa mit Tinas Geburt und ihrem langen Aufenthalt in Österreich sowie ihrer "hervorragenden (auch schulischen) Integration". Da auch die Trennung der Familie nicht zulässig gewesen sei, gestand der Gerichtshof zu, dass auch die Abschiebung der Mutter sowie von Tinas heute sechsjähriger Schwester rechtswidrig war.

Frage: Was bedeutet das für Tina?

Antwort: Tina lebt bereits seit Dezember 2021 wieder in Österreich bei einer Gastfamilie. Nach ihrer Abschiebung war sie mit einem Touristenvisum nach Wien zurückgekehrt, wo sie ein Schülervisum erhielt. Damit kann sie seither wieder ihre Schule besuchen. Für sie ändere sich durch das Urteil also nichts, sagt Anwalt Embacher.

Frage: Welche Folgen hat das für die Familie?

Antwort: Mutter und Schwester müssten nun problemlos einreisen dürfen und sogar einen Aufenthaltstitel bekommen – da die Entscheidung quasi den Status quo vor der Abschiebung wiederherstelle, erklärte Embacher in der ZiB 2. Dass sie damals keinen aufrechten Aufenthaltstitel hatten, sei irrelevant. Denn: "Es geht nicht mehr um Asyl, sondern um die Frage des Bleiberechts." Wenn Tina nicht abgeschoben werden durfte, dann gelte das auch für Mutter und Schwester.

Diesen Befund teilt Fremdenrechtsexperte Peter Marhold im STANDARD-Gespräch. Demnach sei ein Aufenthalt aus "berücksichtigungswürdigen Gründen" zu gewähren.

Frage: Welche Auswirkungen hatte der Fall bereits?

Antwort: Als Reaktion auf die Abschiebung Tinas hat der grüne Vizekanzler Werner Kogler Anfang vergangenen Jahres eine Kommission eingesetzt, die sich mit Kinderrechten und Kindeswohl bei Entscheidungen zum Asyl- und Bleiberecht befasst. Die Leitung dieser Kindeswohlkommission übernahm Irmgard Griss, frühere Präsidentin des Obersten Gerichtshofs. Griss erklärte am Mittwoch auf "Ö1", die Entscheidung des Gerichtshofs habe die Kinderrechte gestärkt.

Frage: Was ist die Position des Bundesamts, wieso hat es das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts überhaupt angefochten?

Antwort: Die Behörde stützte sich in der Revision unter anderem auf die Meinung des Juristen Walter Obwexer. Dieser sah die Gefahr, dass auf Basis derartiger Urteile durch rechtswidriges Verhalten ein Bleiberecht erzwungen werden könne. Das hat den Hintergrund, dass Tinas Mutter laut Behörde wiederholt vergeblich Asyl beantragte und Abschiebeversuche vereitelte, was den Aufenthalt im Land verlängerte.

Frage: Stimmt das? Und was bedeutet das Urteil für andere Fälle?

Antwort: Anwalt Embacher sieht auf Basis des Urteils keine Möglichkeit, sich ein Bleiberecht zu ersitzen. Für das Gericht sei nicht die Dauer des Aufenthalts allein maßgeblich gewesen, sondern ebenso andere Faktoren wie das soziale Umfeld.

In der ZiB 2 räumte Embacher ein, dass die Entscheidung zwar keine grundsätzliche Vorgabe für die künftige Rechtsprechung sei, aber sehr wohl eine Linie vorgebe. Diese Linie besteht für Griss darin, dass das Kindeswohl immer stärker zu berücksichten sei als ein etwaiges Fehlverhalten der Eltern.

Frage: Warum hat der Fall eigentlich so aufgeregt?

Antwort: Tina wurde 2008 in Österreich geboren und hat fast ausschließlich hier gelebt. Mit Mutter und Schwester wurde sie schließlich mitten in der Nacht von der Polizei abgeholt und außer Landes gebracht. Mitschülerinnen und Freunde aus dem Gymnasium im ersten Bezirk protestierten mit Sitzblockaden dagegen. Von NGOs und Teilen der Politik gab es Unterstützung, innerhalb der türkis-grünen Koalition sorgte der Fall für Verstimmung.

Frage: Wie reagiert der damals politisch zuständige Karl Nehammer?

Antwort: Der damalige Innenminister und nunmehrige Bundeskanzler (ÖVP) wollte sich nicht äußern.