Die Vorwürfe beziehen sich ausschließlich auf die Niederlassung in den USA.

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Nintendo verbinden wohl die meisten Menschen mit "Super Mario" und familienfreundlichen Konsolen. Das erste Halbjahr 2022 schob Nintendo of America allerdings mehrfach ins ungewünschte Rampenlicht, wo man den japanischen Konzern wohl am wenigsten erwartet hätte. Vorwürfe der sexuellen Belästigung und der generellen Herabwürdigung von Frauen am Arbeitsplatz scheinen über Jahre im US-Hauptquartier an der Tagesordnung gewesen zu sein. Ein neuer Bericht schlüsselt die Vorkommnisse nun umfangreich auf.

Besonders sensibel

Sie solle sich "öfter einmal mit männlichen Kollegen" zeigen, wird eine ehemalige Mitarbeiterin von Nintendo of America in dem von "Kotaku" veröffentlichten Bericht zitiert. Die teils anonymen, teils mit Namen genannten Quellen des Berichts formulieren massive Anschuldigungen gegen Kollegen und die Arbeitsbedingungen vor Ort. Sexuelle Belästigungen seien an der Tagesordnung gewesen, sagen viele, und man hätte es schnell abschütteln müssen, um im Büro nicht als "besonders sensibel" zu gelten. Betroffen waren vor allem Teilzeitkräfte und Leiharbeiterinnen, die sich für bessere Verträge und eine möglicherweise bessere Bezahlung besonders viel Mühe geben mussten.

Eine für die Qualitätssicherung der Spiele engagierte Testerin erzählt von einem Video-Chat mit Kollegen, in dem ein Mitarbeiter seine Anziehung zu einem offensichtlich minderjährigen Charakter aus dem Spiel "Genjin Impact" vor allen formulierte und zudem erzählte, mit welchem Pokémon er gerne Sex haben würde. Im Gespräch mit der für sie verantwortlichen Personal-Verleihfirma Aerotek – von der sich Nintendo of America kürzlich trennte – hieß es lediglich, die Mitarbeiterin solle "weniger offen sprechen". Die Beschwerde wurde im Büro publik, weshalb sie zusätzlich dafür von Kollegen zur Rede gestellt wurde.

Ein Abteilungsleiter soll während der Arbeitszeit regelmäßig auf temporär im Büro arbeitende Frauen zugegangen und sie angeflirtet haben. Die Mitarbeiterinnen gaben sich schon gegenseitig Tipps, doch möglichst konzentriert auf ihren Bildschirm zu schauen, wenn er auftauchte, um möglichen Gesprächen auszuweichen. Ihn zu ignorieren konnte jedoch Folgen haben, wie eine Frau in dem Bericht erzählt. "Wenn du freundlich zu ihm warst, dann hattest du bessere Chancen im Job und warst weniger gefährdet, gefeuert zu werden."

Viele Frauen gaben dem Druck nach und sicherten sich durch das Ertragen von erzwungenen Flirts "Möglichkeiten und Zugang". Um etwa auf Firmenfeiern eingeladen zu werden, mussten Leiharbeiterinnen von einem Angestellten – firmenintern auch Red Badge genannt – eingeladen werden. Diese Red Badges nutzten diese Macht und bedienten sich der Kolleginnen wie an einem "Dating-Pool", wie mehrere Frauen im Bericht erzählen. Wer Flirts nicht erwiderte, vergab jede Chance auf eine längere Karriere bei Nintendo of America. Reagierte man nicht positiv auf die Annäherungsversuche männlicher Kollegen, musste man sich Sprüche wie "Du tust doch nur so, als wärst du schwer zu erobern" gefallen lassen.

In den letzten Jahren wurden zahlreiche Nintendo-Entertainment-Welten für Familien gebaut. Das eigentliche Bild, für das Nintendo stehen will.
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Ermittlungen laufen

Die Vorwürfe gehen bis ins Jahr 2011 zurück, wo erste "Stalker-Kollegen" von Nintendo-Mitarbeiterinnen gemeldet wurden. Derzeit ermittelt die Bundesbehörde für Mitarbeiterschutz US National Labor Relations Board gegen Nintendo of America. Noch gibt es keine offizielle Anzeige, aber ein Verstoß gegen den US-Arbeitnehmerschutz scheint möglich. Nintendo selbst hat zu den neuen Anschuldigungen noch keine Stellungnahme abgegeben. (red, 17.8.2022)