Mehr als drei Millionen Kisten voller Orangen im Wert von fast 40 Millionen Euro droht nach Auffassung südafrikanischer Zitrusfarmer die Vernichtung. Der Grund: Die EU hat ihre Importbestimmungen für die Vitamin-C-haltigen Früchte verschärft.

Die Mitte vergangenen Monats beschlossene Maßnahme tritt heute, Donnerstag, in Kraft und soll angeblich die Verbreitung eines lediglich in Afrika beheimateten Schädlings, der Falschen Codling-Motte (Thaumatotibia leucotreta), stoppen. Die Anordnung schreibt vor, dass die Orangen mehr als drei Wochen lang auf Temperaturen um den Gefrierpunkt abgekühlt werden müssen, um die Motten abzutöten.

Ein Mottenbefall macht neue Maßnahmen erforderlich. Ob sie angemessen sind, darüber scheiden sich die Geister.
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Südafrikas Verband der Zitrusfarmer bezweifelt, dass diese Maßnahme überhaupt nötig ist: Sie sei "willkürlich, unwissenschaftlich und ungerechtfertigt", so der Präsident des Verbandes, Justin Chatwick, auf Anfrage des STANDARD. Bei der Bestimmung handele es sich vielmehr um einen "politischen Schritt", mit dem vor allem spanische Orangenanbauer vor der südafrikanischen Konkurrenz geschützt werden sollen, meint Chatwick. "Die Spanier haben enormen Druck aufgebaut." Die Anordnung werde die Preise für Orangen in Europa in die Höhe treiben, fährt der Chef des südafrikanischen Verbands fort: Außerdem würden womöglich mehr als drei Millionen Früchte vernichtet, die sich derzeit bereits auf dem Weg vom Kap der Guten Hoffnung nach Europa befänden.

Problem überschaubar?

Nach Angaben Chatwicks war das Mottenproblem in den vergangenen Jahren durchaus überschaubar. Während 2019 gerade einmal 19 Fälle noch lebender Schädlinge an den nach Europa verschifften Orangen registriert wurden, seien es im vergangenen Jahr nur noch acht gewesen. Südafrikas Zitrusfarmer hätten von sich aus strikte Maßnahmen ergriffen, um das Problem in den Griff zu bekommen. Ob die an warme Temperaturen gewöhnte Motte in Europa überhaupt überleben kann, wird überhaupt bezweifelt: Das Insekt stirbt bei Temperaturen um den Gefrierpunkt.

Chatwick verweist noch auf eine weitere zweifelhafte Folge der EU-Bestimmung. Die Früchte organischer und ohne chemische Mittel behandelter Orangenbäume würden die von der EU angeordnete Niedrigtemperaturbehandlung nicht unbeschadet überstehen, so der Verbandschef. Ausgerechnet "gesunde" Orangen würden so vom Export nach Europa ausgeschlossen.

Für Südafrikas Zitrusfarmer hätte ein Ausschluss vom europäischen Absatzmarkt katastrophale Konsequenzen. Das Land liefert bereits seit 120 Jahren Orangen in den Nachbarkontinent: Ihr Absatz ist derzeit bei 800.000 Tonnen pro Jahr angelangt, der Wert der nach Europa exportierten südafrikanischen Zitrusfrüchte beläuft sich auf mehr als eine Milliarde Euro im Jahr. Die Branche beschäftigt insgesamt 140.000 Menschen am Kap der Guten Hoffnung.

Der Anbau von Zitrusfrüchten in Europa – vor allem in Spanien und Italien – geht derzeit durch eine schwere Krise. Wetterquerelen, die nicht zuletzt auf die Klimaerhitzung zurückgeführt werden, haben zu einer deutlichen Verminderung der Ernten beigetragen.
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Branchenkennern zufolge geht der Anbau von Zitrusfrüchten in Europa – vor allem in Spanien und Italien – derzeit durch eine schwere Krise. Wetterquerelen, die nicht zuletzt auf die Klimaerhitzung zurückgeführt werden, hätten zu einer deutlichen Verminderung der Ernten beigetragen, heißt es: Hinzu kämen steigende Produktionskosten und der Mangel an Arbeitskräften. Spanische und italienische Zitrusfarmer beschweren sich über mangelnde Unterstützung ihrer Regierungen und die "Überflutung" des Marktes mit außereuropäischen Früchten.

Der Konflikt zwischen Südafrika und der Europäischen Union wird nun auch die Welthandelsorganisation (WTO) in Genf beschäftigen. Sie wird entscheiden müssen, ob es sich bei der EU-Maßnahme um einen berechtigten Schritt zur Schädlingsbekämpfung oder um eine handelsfeindliche Bestimmung handelt. Derartige Entscheidungsfindungen können bei der WTO allerdings Jahre dauern. (Johannes Dieterich aus Johannesburg, 18.8.2022)