"Bist du bereit?", war bei der Präsentation des Startrainers zwischen Jorge Jesus (links) und Fener-Präsident Ali Koç zu lesen.

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Europacup live: Molde vs. WAC, Vaduz vs. Rapid, Austria vs. Fenerbahce, Do. ab 19 Uhr

Gut möglich, dass Ali Koç bei seiner gediegenen Bildung alles über Bill Shankly weiß. Das berühmte Bonmont des legendären Managers des FC Liverpool, wonach der Fußball nicht bloß eine Frage von Leben und Tod, sondern sehr viel ernster sei, hat der Präsident des Fenerbahçe Spor Kulübü in jedem Fall verinnerlicht. Dementsprechend unter Druck stehen Spieler und Trainer des Großklubs aus dem asiatischen Istanbuler Stadtteil Kadiköy beim heutigen Gastspiel im Wiener Stadtteil Favoriten.

Nicht dass in den Augen von Präsident Koç irgendein Spiel auf die leichte Schulter genommen werden könnte. Aber beim türkischen Vizemeister brennt der europäische Hut, nachdem der Traum von der Champions League schon in der zweiten Qualifikationsrunde gegen Dynamo Kiew begraben wurde. Der Trostpreis namens Gruppenphase der Europa League ist Pflicht für eine Mannschaft, in die noch einmal zig Millionen investiert wurden, um Ali Koç den Traum von der Nummer eins im Land und vom Stammplatz am Tisch der europäischen Großklubs in der fünften Saison seiner Präsidentschaft zu erfüllen.

Die Voraussetzungen glaubt der Unternehmer Koç, dessen Familie zu den reichsten den Landes zählt, zuvorderst mit der Verpflichtung eines Trainerstars geschaffen zu haben. Der 68-jährige Portugiese Jorge Jesus hatte bei Benfica Lissabon eine Ära mit drei Meistertiteln geprägt und mit Flamengo Rio die Copa Libertadores, die südamerikanische Champions League, gewonnen. Ende des vergangenen Jahres musste er bei Benfica nach Differenzen mit einigen Spielern allerdings frühzeitig gehen.

Im Kaufrausch

Koç, der wie seine Familie Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan reserviert gegenübersteht, besorgte Jesus gleich fünf Brasilianer: Luan Peres, Lincoln, João Pedro, Gustavo Henrique und Willian Arão. Dazu kamen der ehemalige Dortmund-Jungstar Emre Mor, der Uruguayer Diego Rossi, der norwegische Teamstürmer Joshua King und der nach seinem EM-Disput mit Marko Arnautovic auch in Österreich bekannte Nordmazedonier Ezgjan Alioski. Dass der Verein schon davor hochverschuldet war, spielt beim Hintergrund des Präsidenten keine Rolle. Angeblich soll Koç bisher schon 200 Millionen in die Gelb-Blauen von Fener investiert haben. Der Kader des 19-fachen Meisters, dessen bisher letzter einschlägiger Titel schon acht Jahre zurückliegt, imponiert wie das jüngste Ergebnis in der Süper Lig. 6:0 siegte Fenerbahçe am vergangenen Montag bei Kasımpaşa im Recep Tayyip Erdoğan Stadı zu Istanbul. Während die Defensive um den ungarischen Ex-Rapidler Attila Szalai wie beim Heim-3:3 zum Ligaauftakt gegen Aufsteiger Umraniyespor bewiesen, nicht das Gelbe vom Ei ist, läuft es in der Offensive also ausgezeichnet. Zu gut, als dass Coach Jesus seinen Freund Cristiano Ronaldo – wohl ohnehin vergeblich – beknien müsste, in die Türkei zu wechseln.

Für das Ego und die Börse von Präsident Koç ist kaum ein Name zu groß. Allerdings sitzt beim Chef noch die Enttäuschung über den Fehlgriff Mesut Özil tief. Der deutsche Weltmeister sollte Fener an die Spitze bringen, im März wurde er wegen mangelnder Einstellung suspendiert. Dass Özil im Juni dazu noch beim Erdoğan-Klub Istanbul Başakşehir anheuerte, tat sein Übriges.

Im Viola-Park, wie die Generali-Arena im Europacup heißen muss, darf sich Fenerbahçe nicht der gleichen Unterstützung erfreuen wie daheim im rund 50.000 Menschen fassenden Şükrü-Saracoğlu-Stadion. 1400 Karten gingen an den Gast aus der Türkei, dazu dürften nicht wenige in Österreich lebende Anhänger kommen, auch wenn Fener hier im Hinblick auf die Beliebtheit nicht ganz an Galatasaray oder Besiktas Istanbul herankommt.

Spiel der Karriere

Für die Austria sind die Duelle finanziell wichtiger als für die Türken, auch wenn sich der diesbezügliche Unterschied zwischen der zweiten und dritten Europacup-Klasse in Grenzen hält. 3,63 Millionen Euro Startgeld gibt es in der Gruppenphase der Europa League, 2,94 Millionen in der Gruppenphase der Conference League, die der Verlierer des Duells schmückt. Die Siegprämien pro Spiel liegen bei 630.000 bzw. 500.000 Euro. Austrias Coach Manfred Schmid schätzt deshalb den möglichen Gewinn an Erfahrung höher ein. "Für viele meiner Spieler ist es das größte internationale Spiel ihrer bisherigen Karriere." (Sigi Lützow, 18.8.2022)

Technische Daten und mögliche Aufstellungen:
(Europa-League, Play-off, Hinspiel)

FK Austria Wien – Fenerbahçe Istanbul (Wien, Viola Park, Donnerstag, 21.00 Uhr/live ORF 1, SR Siebert/GER). Rückspiel am 25. August.

Austria: Früchtl – Ranftl, Mühl, Galvao, Martins – Braunöder, Holland – Huskovic, Fischer, Jukic – Tabakovic

Es fehlen: Raguz (Reha), Baltaxa, El Sheiwi (im Aufbautraining)

Fenerbahce: Bayindir – Osayi-Samuel, Gustavo Henrique, Szalai, Kadioglu – Mor, Zajc, Arao, Lincoln – Valencia, King

Es fehlen: Joao Pedro (rekonvaleszent), Aziz, Sangare (beide verletzt)

Der Aufsteiger steht in der Gruppenphase der Europa League, der Verlierer in der Gruppenphase der Conference League.