Ein Schelm, der Böses dabei denkt. Der ÖVP geht es schlecht, und was passiert? Schon hat Österreich ein "Asylproblem". Schon klar, die Kanzlerpartei hat es gerade nicht einfach. Sie kämpft mit Korruptionsvorwürfen und sinkenden Vertrauenswerten, laut einer STANDARD-Umfrage hat Partei- und Regierungschef Karl Nehammer mittlerweile sogar den Kanzlerbonus verspielt und schlägt sich mit (angeblich gar nicht vorhandenen) Obmann-Debatten herum. Also geht Türkis in die Asyl-Offensive: Härte gegenüber Schleppern! Social-Media-Kampagne in "Urlaubsländern" (gemeint sind etwa Ägypten, Tunesien, Marokko), dass die Menschen dort unter gar keinen Umständen eine Chance auf Asyl in Österreich haben; "die Erzählung umdrehen", dass Europa ein Fluchtziel sein könnte.

Es gibt de facto kaum mehr eine Möglichkeit, legal in ein EU-Land einzureisen, mit der Absicht, hier zu leben und zu arbeiten.
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Dazu Alarmismus in Zahlen: Die Zahl der Asylanträge ist höher als 2015! Hätte es noch eines Beweises bedurft, dass die ÖVP unter Karl Nehammer nicht bereit ist, anders zu agieren als unter Sebastian Kurz, dann hat ihn Innenminister Gerhard Karner am Dienstag geliefert. Wenn sonst nichts mehr hilft: Härte gegenüber "Ausländern" zieht immer beim Wahlvolk. So oder so ähnlich lautet wohl die Überlegung angesichts dräuender Landtagswahlen und drohender ÖVP-Verluste. Das Kurz-Rezept "Nach rechts rücken und gegen die FPÖ dicht-machen" hat wieder Saison.

Ausländer-Abwehrmodus

Denn sieht man genauer hin, ist der Asyl-Alarmismus übertrieben. Zunächst einmal hinkt der Vergleich mit 2015 insofern, als es damals, im Zuge der großen Fluchtbewegung nach Europa, vor allem darum ging, einen plötzlichen, großen Andrang an Menschen zu bewältigen, die zum Großteil übrigens in andere EU-Länder weiterreisen wollten. Wollte man sich in der ÖVP mit den Themen Flucht und Migration tatsächlich ernsthaft auseinandersetzen, müsste man Expertinnen wie etwa Judith Kohlenberger zuhören, die das Problem der steigenden Asylanträge sehr gut erklärt. Seit der großen "Flüchtlingskrise" von 2015 hat es Europa verabsäumt, legale Fluchtrouten zu schaffen. Menschen, die nach Europa kommen wollen – und sei es auch nur für eine gewisse Zeit, um hier zu arbeiten –, haben gar keine andere Wahl, als um Asyl anzusuchen. Das gibt ihnen wenigstens die Möglichkeit, dass ihr Antrag, wie auch immer, wie lange auch immer, zumindest bearbeitet wird. Es gibt de facto kaum mehr eine Möglichkeit, legal in ein EU-Land einzureisen, mit der Absicht, hier zu leben und zu arbeiten – und sei es auch nur für eine Zeitlang. Dadurch entsteht die, auch für den im Ausländer-Abwehrmodus verharrenden Staat, absurde Situation, dass migrationswillige Menschen das teuerste aller fremdenrechtlichen Verfahren in Anspruch nehmen. Das ist auch aus Steuerzahlerinnensicht suboptimal. Zumal demgegenüber ein eklatanter Arbeitskräftemangel im Inland steht. Was könnte man daraus lernen? Zum Beispiel, dass es bessere, flexiblere Instrumente für Arbeitsmigration braucht. Zum Beispiel auch, dass man sich auch in Brüssel stärker für ein lebbares und sinnvolles Migrationsrecht einsetzen muss.

Doch darum geht es der ÖVP nicht. Sondern nur noch darum, mögliche Verluste in Grenzen zu halten. Danach wird weitergewurstelt wie bisher. Und die Grünen? Sie mahnen, appellieren – und lassen im Sinne der Koalitionsräson ein riesiges Problem ungelöst. (Petra Stuiber, 17.8.2022)