Die faschistisch konnotierte "Fiamma Tricolore" ist nach wie vor das offizielle Wahl-Logo von Giorgia Meloni.

Foto: Imago / Italy Photo Press / Matteo Rossetti

Der Sommer ist den Italienerinnen und Italienern geradezu heilig. Vor allem in den Tagen und Wochen rund um "Ferragosto" (Mariä Himmelfahrt) steht das wirtschaftliche Leben de facto still. Die großen Industrieunternehmen fahren die Produktionsanlagen herunter, stoppen sie sogar. Zulieferbetriebe tun es ihnen gezwungenermaßen gleich. Das gesellschaftliche Leben spielt sich in dieser Zeit zumeist unter glühender Sonne auf den Stränden entlang der 9000 Kilometer langen Küstenlinie des Stiefelstaates ab. Businesskleidung wird gegen Bikini oder Bermudashorts getauscht, das Berufsleben macht Pause, nur ab und zu durch Videokonferenzen auf der Strandliege unterbrochen. Und auch die Politik geht in Stand-by.

Heuer aber ist alles anders. Erstmals findet ein "Wahlkampf unter Sonnenschirmen" statt und nicht in der nasskalten Jahreszeit. Der Grund dafür: ein Misstrauensvotum, bei dem Ministerpräsident Mario Draghi trotz sehr solider Regierungsarbeit gleich von mehreren Koalitionspartnern hintergangen und im Regen stehen gelassen wurde.

Statt Draghi den Auftrag zu geben, die Legislaturperiode bis zum regulären Wahltermin im März 2023 zumindest geschäftsführend zu Ende zu bringen, entschloss sich Staatspräsident Sergio Mattarella im Juli dazu, das Parlament mit sofortiger Wirkung aufzulösen. Vorgezogene Wahlen wurden somit für den 25. September angesetzt.

Rechtsruck erwartet

Auch wenn die italienische Politik notorisch volatil und instabil ist, scheint dieses Mal zumindest eines sicher zu sein: Beim Urnengang Ende September wird es einen deutlichen Rechtsruck geben – und erstmals in der Geschichte des Staates könnte dann eine Frau an der Spitze der Regierung stehen: die Postfaschistin Giorgia Meloni. Ihre Partei Fratelli d’Italia (Brüder Italiens) – der Name zitiert die erste Verszeile der italienischen Hymne – liegt seit Monaten in der Gunst der potenziellen Wählerinnen und Wähler vorn.

Die rechtsextreme Partei war nicht der breiten Koalitionsregierung beigetreten, die in der Folge der Corona-Krise gebildet wurde. Meloni konnte also daher konsequent und glaubwürdig Oppositionspolitik betreiben, während der vormalige Star der italienischen Rechten, Matteo Salvini von der Lega, zwischen den Verpflichtungen als Koalitionspartner und den zunehmend wütenden Forderungen seiner Parteibasis nach Widerstand gegen Draghis proeuropäischen Sparkurs aufgerieben wurde. Die Folge: massiver Wählerschwund bei Salvini, während Meloni in aller Ruhe das rechte Reservoir bedienen und ihre Zustimmungswerte innerhalb von vier Jahren auf rund 24 Prozent verfünffachen konnte.

Fünf Sterne im Sinkflug

Der große Verlierer dürfte der populistische Movimento Cinque Stelle (Fünf-Sterne-Bewegung) sein, der derzeit bei rund zehn Prozent liegt – nicht einmal ein Drittel dessen, was er bei der Wahl im März 2018 erreichen konnte.

Erstaunlich stabil hingegen hält sich der sozialdemokratische Partito Democratico, der 2018 knapp unter 20 Prozent der Stimmen erhielt und nun knapp über 20 Prozent rangiert. Der PD von Enrico Letta ist die einzige Partei in Schlagdistanz zu den Fratelli d’Italia, zwischen ihnen läuft das Duell um Platz eins.

Dies hat aber nur relative Bedeutung, denn den Fratelli – im Verbund mit der Lega und der liberalkonservativen Forza Italia des ehemaligen, vierfachen Ministerpräsidenten Silvio Berlusconi – scheint die Regierungsmehrheit im kommenden Parlament, das spätestens Mitte Oktober konstituiert werden muss, schon heute ziemlich sicher.

Streit um die Listenplätze

Eigentlich müsste sich Italiens Politik mit Hochdruck der Erreichung und Umsetzung der Kriterien für Förderung aus dem EU-Corona-Wiederaufbaufonds widmen, schließlich geht es um volkswirtschaftlich höchst relevante 200 Milliarden Euro. Aber dieses Thema scheint Italien derzeit ebenso aufgegeben zu haben wie den Kampf gegen den Klimawandel.

Während das Land unter einer beispiellosen Dürre leidet und massive Ernteausfälle drohen, konzentriert sich das politische Rom lieber auf den persönlichen Überlebenskampf: Wegen einer Verfassungsänderung wird das Parlament deutlich verkleinert. Die Zahl der Mandate in der Abgeordnetenkammer schrumpft von 630 auf 400, im Senat von 315 auf 200 – für hunderte Politikerinnen und Politiker wird es künftig keinen begehrten Sitz in einer der beiden Kammern geben.

Auf das Honorar von mindestens 14.000 Euro monatlich und eine entsprechend großzügige Pensionsregelung will kaum jemand verzichten. Daher ist der Streit um sichere Listenplätze diesmal besonders groß und wird erbittert auch in der Öffentlichkeit ausgetragen. Ob die Wählerinnen und Wähler solches Verhalten goutieren werden?

Aufregung um ein Logo

Für Schlagzeilen sorgt Rechts-Kandidatin Giorgia Meloni nicht nur mit ihren Umfragewerten, sondern vor allem mit ihrer politischen Haltung, die auch im Parteilogo deutlich wird: drei Flammen in den Nationalfarben Grün, Weiß und Rot erinnern unverblümt an das Erbe des faschistischen Diktators Benito Mussolini. Auch der Slogan "orgoglio italiano" (italienischer Stolz) erinnert an diesen historischen Kontext. Appelle aus anderen politischen Lagern, auf diese Symbolik zu verzichten, stießen auf taube Ohren. (Gianluca Wallisch, 18.8.2022)