Kundgebung zum Internationalen Hurentag in Berlin im Juni 2021. Am 2. Juni demonstrieren Sexarbeiter:innen jedes Jahr gegen die bestehenden rechtlichen und gesellschaftlichen Diskriminierungen.

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Legalisieren oder kriminalisieren? Das sind die konträren Positionen in den Debatten um Sexarbeit. Auch wenn kriminalisieren zwar nicht bedeutet, dass Sexarbeiter:innen selbst für das Anbieten sexueller Dienstleistungen bestraft werden, sondern der "Sexkauf" – so wie etwa in Schweden, Norwegen oder Frankreich –, kritisieren viele Feministinnen und Sexarbeiter:innen das sogenannte "nordische Modell". Sarah* ist 23 Jahre alt, Sexarbeiterin und sieht sich durch Proteste für ein Prostitutionsverbot, wie es sie etwa Ende Mai in Spanien gab, in ihrer beruflichen Existenz gefährdet. Es gibt kaum Sexarbeiter:innen, die selbst über ihre Tätigkeit reden, und wenn, sind es vorwiegend akademisch gebildete Sexarbeiterinnen, die sich vernetzen und ihren Beruf als Berufung erleben, so wie Sarah.

STANDARD: Warum sind Sie Sexarbeiterin geworden?

Sarah: Zum Schrecken meiner Eltern habe ich schon mit 14 verkündet, dass mich Sexarbeit interessieren würde. Der Gedanke ist jahrelang in mir gereift, und vor kurzem habe ich mich getraut, es neben meinen beiden laufenden Bachelorstudien und meiner Tätigkeit für einen Verlag umzusetzen. Und ich bereue es nicht – Sexarbeit ist nicht nur ein Beruf, sondern meine Berufung.

STANDARD: Was heißt vor kurzem?

Sarah: Bei mir war der Einstieg in die Prostitution sehr flüssig. Erst hat es damit begonnen, über Tinder Männer kennenzulernen, die mich zum Essen ausführten. Dann habe ich Sugardating versucht. Dabei geht es darum, dass man nicht nur erotische, sondern auch emotionale Dienstleitungen verkauft, also etwa so tut, als wäre man mit dem Klienten in einer Beziehung. Das hat mir aber nicht gefallen, weshalb ich mich vor einem halben Jahr als Nobelescort-Dame selbstständig gemacht habe.

STANDARD: Können Sie da nach relativ kurzer Zeit wirklich schon dieses positive Resümee ziehen?

Sarah: Intimität ist einfach etwas Wunderschönes und Spannendes. Es muss einem aber liegen, und es ist sicher kein Beruf, den jeder machen kann. Man muss auch einen anderen Zugang dazu haben, wie man Ästhetik wahrnimmt. Ich finde alle Körper – unabhängig von Alter, Geschlecht oder Gewicht – schön. Dieser wertschätzende Austausch bei der Sexarbeit ist wirklich sehr bereichernd.

STANDARD: Was bedeutet Nobelescort genau?

Sarah: Ich begleite die Klientel zu Geschäftsessen, zu Veranstaltungen, ins Hotelzimmer. Ich verkaufe also meine Zeit und nicht die Anzahl meiner sexuellen Dienstleistungen.

STANDARD: Ist Escort immer hochpreisig?

Sarah: Nein. Ich habe Kolleginnen, die verdienen teilweise nur 25 oder 40 Euro pro Stunde. Solche Dumpingpreise für sexuelle Dienstleistungen gehören gesetzlich verboten. Eine Untergrenze von 150 Euro pro Stunde für Geschlechtsverkehr wäre angebracht.

STANDARD: Woran machen sich diese enormen Preisunterschiede fest?

Sarah: Frauen verdienen mehr, wenn sie offenbar nicht aus dem Ausland kommen, jung sind und aussehen wie Models. Auch akademisch gebildete Frauen verdienen normalerweise mehr. Aber generell ist das Marketing wichtig, wenn man das nicht gut macht, kann man ebenso im niedrigpreisigen Segment verhaftet bleiben.

STANDARD: Beim Marketing braucht man aber auch die Möglichkeit, ein solches überhaupt finanzieren zu können und das Know-how zu haben.

Sarah: Auf jeden Fall ist das Startkapital sehr wichtig. Wenn ich das nicht gehabt hätte, hätte ich mein Konzept nicht sofort so umsetzen können – mit eigener Website und professionellen Fotos. Und wenn man auf diversen Plattformen inserieren will, muss man auch sehr viel Geld dafür bezahlen.

STANDARD: Sie sind im BSÖ (Berufsverband Sexarbeit Österreich) engagiert. Was machen Sie dort, und wie hoch ist der Anteil von Frauen mit Migrationsgeschichte? Sie stellen immerhin das Gros der Sexarbeiter:innen in Österreich.

Sarah: Im BSÖ tauschen wir uns aus und unterstützen uns gegenseitig. Wir klären rechtliche Fragen und organisieren politische Aktionen. Die Sprachbarriere ist für die Vernetzung von Sexarbeiterinnen, die nicht aus Österreich kommen, sicher ein Problem. Der Migrantinnenanteil liegt im BSÖ deshalb bei ungefähr 20 Prozent. Außerdem herrscht eine große Scham rund um Sexarbeit. Viele sagen es nicht ihren Familien oder Freund:innen und möchten sich auch gar nicht mit anderen in Verbindung setzen. Wir sind so divers und stehen an so verschiedenen Positionen im Leben, dass viele einfach für sich bleiben möchten. Die Diskriminierung, die Sexarbeitende im Alltag erfahren, wird sehr unterschätzt. Es dauerte lang, bis ich eine Steuerberaterin fand, weil ich viele Absagen aufgrund meines Berufes bekam. Sogar ein Impressumsservicedienstleister hat mich abgelehnt, obwohl Sexarbeiterinnen die Berufsgruppe sind, die derartige Privatsphärenservices aufgrund von Stalking und anderen Grenzüberschreitungen am dringendsten bräuchten. Ich bekomme regelmäßig Hassnachrichten von fremden Männern, meine Mitstudierenden sehen mich nicht mehr an, seitdem sich mein Job in der Uni rumgesprochen hat, und auch meine Eltern hadern mit meiner beruflichen Tätigkeit. Ich liebe die Sexarbeit an sich, aber die Verachtung, die damit verbunden ist, ist schrecklich.

STANDARD: Sie reden in allen Bereichen Ihres Lebens offen darüber?

Sarah: Darüber habe ich mir lange Gedanken gemacht, denn mir war klar, dass es dann kein Zurück gibt und ich mir damit andere berufliche Chancen verbaue. Aber Sexarbeit war eine Lebensentscheidung für mich, und ich bin mir sicher, dass ich mein Leben darauf ausrichten möchte – auch darauf, dass Sexarbeit endlich gesellschaftlich anerkannt wird. Ich habe mich sogar zur Sexualbegleiterin ausbilden lassen. In diesem Lehrgang lernt man, wie man als Sexarbeiterin am besten mit Alten und behinderten Menschen umgeht. Sexualbegleiter:innen und Sexualassistent:innen arbeiten vorwiegend in Pflegeheimen oder machen Hausbesuche bei Klienten.

STANDARD: Welche gesetzlichen Regelungen zur Sexarbeit würden Sie ändern?

Sarah: Dass eine HIV-Infektion eine lebenslanges Verbot bedeutet, so wie es derzeit gesetzlich verankert ist. Dieses Berufsverbot sollte aufgehoben werden, sobald das Virus nicht mehr im Blut nachweisbar ist – dann ist man auch nicht mehr ansteckend. Ich finde es auch nicht richtig, dass viele Sexarbeiter:innen in ihren Annoncen angeben, dass sie auf ein Kondom verzichten – das sollte verboten sein. Ich würde sogar noch weiter gehen und es kriminalisieren, dass die Kundschaft nach Serviceleistungen ohne Kondom fragen darf – für mich ist das Anstiftung zu gesundheitsgefährdendem Verhalten. Man würde meinen, die Gesellschaft sei aufgeklärter, was Geschlechtskrankheiten betrifft, aber meine Kolleginnen und ich bekommen täglich Anfragen nach Sex ohne Kondom. Weiters sind die Prostitutionsgesetze in allen Bundesländern unterschiedlich und intransparent, weshalb sich viele Sexarbeiterinnen bei der bundesländerübergreifenden Arbeit strafbar machen, ohne es überhaupt zu wissen. Selbst die Politiker:innen kennen sich teilweise bzgl. der Gesetzeslage in ihren Bundesländern nicht aus – als BSÖ sind wir ständig mit ihnen in Kontakt, um diese Unverständlichkeiten zu entschlüsseln.

STANDARD: Die zentrale Debatte rund um Sexarbeit ist seit vielen Jahren: Liberalisierung versus Kriminalisierung von Sexarbeit bzw. vom Kauf sexueller Dienstleistungen.

Sarah: Es macht mir Angst, dass sich das nordische Modell weiter durchsetzen könnte. Beim nordischen Modell werden Freier bestraft, wenn sie sexuelle Dienstleistungen kaufen, die Anbieterinnen aber nicht, doch unter diesem Deckmantel der "asymmetrischen Kriminalisierung" werden Sexarbeitende in lebensgefährliche Situationen gebracht.

STANDARD: Inwiefern?

Sarah: Sexarbeiter:innen dürfen keine Wohnungs- und Arbeitsräume für ihre Tätigkeit mieten und auch nicht mit Kolleginnen gemeinsam arbeiten. Das heißt, ihnen werden sichere Arbeitsbedingungen genommen – und dann tun die Staaten mit einer solchen Regelung auch noch so, als wäre das zum Schutz der Frauen! Prostitution wird man niemals verbieten können, aber man kann dafür sorgen, dass Sexarbeiter:innen sichere Arbeitsbedingungen haben. (Beate Hausbichler, 18.8.2022)