Iris Berben kam 1969 nach München: "Wir waren laut, und wir wollten gesehen werden."

Foto: Amazon Prime, Constanin

Moderator im violetten Overall: Thomas Gottschalk.

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Gastronom Kay Wörsching, er führt Kays Bistro.

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Schauspielerin Iris Berben erzählt in "Schickeria" über Demos, Drogen und Partys.

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"Wir sind damals nicht nach München gekommen, um leise zu sein, wir waren laut, und wir wollten gesehen werden", sagt Schauspielerin Iris Berben. Für eine Filmrolle ist sie 1968 von Hamburg nach München gezogen, sie wusste nicht, wo die Reise hinging, hatte Lust auf etwas Neues, Fremdes, Anderes. Und dann ist sie geblieben. In der vierteiligen Amazon-Prime-Doku "Schickeria – Als München noch sexy war" – zu sehen ab Freitag – erinnert sich Berben an ihre Anfänge in München und an eine Stadt, die damals "heimliche Hauptstadt" war und in der sich eine freigeistige kreative Szene ihren Platz suchte und fand.

Neben Berben – sie präsentiert die ersten je 45-minütigen Folgen – erzählt in Folge drei und vier Thomas Gottschalk über die Veränderung einer Stadt zwischen wilder und lustvoller Aufbruchsstimmung und bayerischer Spießigkeit. Regisseur Janek Romero lässt in seiner Dokureihe neben Promis wie Berben, Gottschalk oder Uschi Glas auch Clubbetreiber, die bunten Nachtvögel von damals und Türsteher zu Wort kommen, die dafür gesorgt haben, dass die Stadt "the place to be" war.

Dafür mischt er Archivaufnahmen von Konzerten und aus Clubs mit Ausschnitten aus Nachrichten und Interviews mit wichtigen Akteuren und Zeitzeugen wie Kay Wörsching (er betrieb das legendäre Kays Bistro), Eckart Witzigmann (er kochte im Promischuppen Trantris), Bordellbetreiber Walter Staudinger, Komponist Harold Faltermeyer, "Punk-Prinzessin" Gloria von Thurn und Taxis und natürlich dem gefürchteten Klatschreporter Michael Graeter.

Kokain war da, LSD war da

"Wir wollten anders sein, wollten die Fesseln von Kirche, Kindern, Küche brechen. Die Zeit war reif für was Neues, München war eine gute Bühne, und die bespielen wir jetzt einfach", erzählt Berben über München der späten 60er-Jahre. "München war eine große Spielwiese."

Es ging ab in den Clubs, im Domicile, im Blow up, im Citta, im Blauen Engel, später dann im P1. Disco, Tanzen, Livemusik, all das freilich mit nicht nur weichen Drogen. Drogen wurden als Bewusstseinserweiterung gesehen. "Ich hab sicher auch ab und zu mal einen Joint geraucht, aber für mich stand immer so der Leitspruch: Ich hab keine Zeit für weiche Drogen. Kokain war da, und LSD war da", erzählt Berben. Es ging natürlich auch um politische Themen, Miniröcke wurden zum Symbol eines neuen Selbstbewusstseins, die Frauen forderten in Demos ihr "Recht auf Beine", protestierten gegen BHs und für Abtreibung. Berben: "Je mehr wir angegriffen wurden, desto provokanter waren wir."

Es wundert nicht, dass diese spezielle Stimmung Musikerinnen und Musiker anzog, in den Musicland-Studios von Giorgio Moroder nahmen etwa die Rolling Stones, Elton John, Donna Summer, Deep Purple oder Queen ihre Platten auf. Für Freddie Mercury wurde München für einige Jahre auch Heimat, Szenen seiner Geburtstagsparty im Münchner Travestie-Club Old Mrs. Henderson sind im Musikvideo zu "Living on My Own" zu sehen.

"Geld kauft Kaviar, aber keine Fantasie"

Die Doku spannt den Bogen zwischen der Aufbruchsstimmung rund um die Olympiabewerbung Münchens 1965, den Schock nach dem Attentat auf die israelische Mannschaft bei den Olympischen Spielen 1972 und dem Terroranschlag beim Oktoberfest 1980 bis hin zu jener Zeit, als die kreative, lustvolle, exzentrische Schickeria von der Bussi-Bussi-Schickeria abgelöst wurde, München immer teurer, sauberer und schnöseliger wurde und schließlich Geld, Pelzmäntel und protzige Autos den Ton angaben. Oder wie es Thomas Gottschalk ausdrückt: "Geld kauft Kaviar, aber keine Fantasie."

Ihren medialen Niederschlag fand diese neue, pelzummantelte und champagnerschlürfende Schickimicki-Gesellschaft in Helmut Dietls TV-Serie "Kir Royal", Gesellschaftsjournalist Michael Graeter war darin Vorbild für Klatschreporter Baby Schimmerlos, gespielt von Franz Xaver Kroetz. Und für die Rebellischen, die Künstler und die Freigeister wurde München immer weniger "the place to be". (Astrid Ebenführer, 18.8.2022)