Aus Kubas Hauptstadt Havanna wurde erstmals über mysteriöse körperliche Beschwerden berichtet, die durch eine unbekannte Waffe ausgelöst werden sollen. Eine Angeklagte in Wien will im Besitz der Technologie für die Auslösung des Havanna-Syndroms sein.

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Wien – Im Herbst 2016 klagten Diplomaten in Havanna erstmals über plötzlich aufgetretene unspezifische Symptome wie Kopfschmerzen, Schwindel und Schlaflosigkeit – bald darauf wurde das Syndrom nach der kubanischen Hauptstadt benannt. Mittlerweile hat Botschaftspersonal der Vereinigten Staaten in mehreren Ländern, darunter auch Österreich, über die gesundheitlichen Probleme geklagt, deren Ursache bisher ungeklärt ist. Manche spekulieren damit, dass es sich um Angriffe mit einer neuartigen Waffe handelt. Das stimmt. Zumindest wenn man Frau H. glaubt, die vor Richterin Claudia Bandion-Ortner Platz nimmt und im Besitz der Technologie sein will, die das Havanna-Syndrom auslöst.

Die 34-jährige Ungarin ist allerdings nicht etwa wegen Körperverletzung oder nachrichtendienstlicher Tätigkeit angeklagt – sondern wegen schwerer Sachbeschädigung, da sie am 11. August 2015 in Wien-Ottakring zwölf geparkte Autos beschädigt haben soll. Die unbescholtene Angeklagte, die mittlerweile in einem anderen Bundesland in der Gastronomie tätig ist, bekennt sich dazu auch schuldig.

Unklarer Familienstand

"Warum haben Sie das gemacht?", interessiert Bandion-Ortner. "Ich war verheiratet, und mein Mann ist nicht nach Hause gekommen", erklärt H., die sich bezüglich ihres Familienstandes nicht ganz sicher ist. Zunächst sagt sie, sie sei ledig, dann aber wieder, sie habe ihren finnischen Partner geehelicht.

Vor sieben Jahren sei er jedenfalls verschwunden. Da er mit Waffentechnologien zu tun hatte, seien Agenten des israelischen Geheimdienstes Mossad und der US-amerikanischen Central Intelligence Agency bei ihr erschienen und hatten sie nach dem Verbleib des Gatten befragt. Und nach dessen Forschungsergebnissen – schließlich sollte man mit diesen die geheimnisvolle Waffe bauen können.

Wenig polizeiliche Unterstützung

Sie habe sich bedrängt gefühlt, sei in ihr Heimatland gefahren und habe die Vorgänge der dortigen Polizei gemeldet. Die Reaktion der ungarischen Beamten: "Wenn die amerikanische Polizei etwas will, bekommt sie das auch." Die Richterin verfolgt die atemberaubenden Enthüllungen freundlich lächelnd und nimmt dann davon Abstand, das Heeresabwehramt oder die innenministerielle Direktion für Staatsschutz und Nachrichtendienst zu alarmieren. Stattdessen stellt sie eine konkrete Frage zum Motiv: "Und warum haben Sie dann gegen die Autos getreten und geschlagen?"

"Ich war nervös, da ich bei der ganzen Polizei angerufen habe", offenbart H. daraufhin. Sie war nach Wien zurückgekehrt und wollte die Unterstützung der heimischen Behörden bei der Suche nach ihrem Mann. Die kam nicht. Dafür gab es ein zweites Problem: "Mein Chef wollte mit mir, verzeihen Sie, ficken", verrät die Angeklagte. Ihr sei alles zu viel geworden, bedauert sie.

Ein Zeuge schildert, wie er aus dem vierten Stock beobachtete, dass eine wütende und fluchende Person die belebte Straße entlangging und die Fahrzeuge beschädigte. "Haben Sie vielleicht gehört, warum Sie geflucht hat? Wir haben gehört, dass Männer schuld seien", will Bandion-Ortner wissen. Der Zeuge, der damals auch die Polizei verständigte, bedauert – er sei zu weit entfernt gewesen.

Angeklagte hat Waffentechnologie

"Und wo ist Ihr Mann jetzt?", erkundigt sich die Richterin noch einmal bei der Angeklagten. "Wahrscheinlich in Argentinien oder Brasilien", sagt die eigentlich völlig luzid wirkende H. dazu. "Mit der Waffentechnologie?" – "Ich habe die Technologie!", verrät die Angeklagte überraschenderweise. "Dann ist es ja gut", ist Bandion-Ortner zufrieden. Angesichts der Tatsache, dass H. geständig ist, die Tat schon Jahre zurückliegt und davor und nachher nichts mehr passiert ist, tendiert die Richterin dazu, die Angelegenheit diversionell zu erledigen. Sie bittet die Sitzungsvertreterin der Staatsanwaltschaft, im Nebenzimmer mit der zuständigen Referentin zu telefonieren, ob diese damit einverstanden wäre.

Ist sie, das Verfahren gegen H. wird daher vorläufig eingestellt, die Angeklagte muss 150 Euro Verfahrenskosten tragen. "Pro Monat?", reagiert die im ersten Moment erschreckt. "Nein, einmal", beruhigt die Richterin sie. "Es kann aber sein, dass die Autobesitzer den Schaden zivilrechtlich einklagen", gibt sie zu bedenken, dem Strafverfahren hätten sich aber keine Geschädigten angeschlossen.

H. ist erleichtert, dass sie um eine Vorstrafe herumkommt und die Sache für sie nun erledigt ist. Bevor sie den Saal verlässt, hat Bandion-Ortner noch einen wertvollen Ratschlag für den weiteren Lebensweg: "Wenn Sie sich über die Männer ärgern, lassen Sie das bitte nicht an den Autos aus!" (Michael Möseneder, 18.8.2022)