Die Hälfte der Haushalte in Deutschland heizt mit Gas.

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Berlin – Die deutsche Regierung will für einen befristeten Zeitraum bis 2024 einen niedrigeren Mehrwertsteuersatz auf Erdgas verlangen. Die Steuer solle von bisher 19 auf sieben Prozent verringert werden, gab Kanzler Olaf Scholz (SPD) am Donnerstag bekannt. Er hat angesichts der steigenden Energiepreise auch ein neues Entlastungspaket in den kommenden Wochen angekündigt. Die SPÖ reagierte auf die Steuersenkung mit der Forderung nach weiteren teuerungsdämpfenden Maßnahmen in Österreich.

Mit dem Schritt würden die Gaskunden insgesamt deutlich stärker entlastet als sie durch die staatliche Gasumlage belastet würden, sagte Scholz. Er erwarte von den Unternehmen, dass sie die Steuersenkung eins zu eins an die Verbraucher weitergäben: "Dies ist ein weiterer Schritt zur Entlastung."

Steuerverzicht nicht möglich

Hintergrund ist die Gasumlage, mit der Importeure ab Oktober wegen des Ukraine-Kriegs erhöhte Beschaffungskosten an die Verbraucher weitergeben können. Zahlen müssen dann alle Gasnutzer, ob Privatleute oder Unternehmen – und zwar zunächst etwa 2,4 Cent pro Kilowattstunde. Auf die Umlage fällt zudem Mehrwertsteuer an.

Die Bundesregierung wollte das eigentlich verhindern und so dafür sorgen, dass der Staat nicht mitverdient. Nach europäischem Recht ist es aber nicht vorgesehen, auf die Mehrwertsteuer zu verzichten. Der rechtliche Rahmen lasse keine Ausnahme zu, schrieb EU-Wirtschaftskommissar Paolo Gentiloni in einem Brief an Finanzminister Christian Lindner. Die Bundesregierung habe allerdings die Möglichkeit, die geltende Mehrwertsteuer auf den EU-Mindestsatz von fünf Prozent zu senken.

Bis Ende 2024

Diesen Schritt wählt die Ampel-Koalition aus Sozialdemokraten, Grünen und Liberalen (FDP) nun nicht. Stattdessen will sie den ermäßigten Steuersatz von sieben Prozent nutzen. In Deutschland gilt in der Regel ein Mehrwertsteuersatz von 19 Prozent. Auf ausgewählte Waren fallen aber sieben Prozent an. Die jetzt verkündete Steuererleichterung soll für den Zeitraum der Gasumlage gelten, also bis Ende März 2024.

Etwa die Hälfte aller Haushalte in Deutschland heizt mit Gas. Beispielrechnungen zufolge bedeutet die Umlage für einen Einpersonenhaushalt mit einem Jahresverbrauch von 5000 Kilowattstunden schon ohne Mehrwertsteuer jährliche Zusatzkosten von rund 121 Euro. Für einen Familienhaushalt mit einem Jahresverbrauch von 20.000 Kilowattstunden liegen die Mehrkosten ohne Mehrwertsteuer bei rund 484 Euro im Jahr.

"You'll never walk alone"

"Die Bürger werden verglichen mit den ursprünglichen Plänen der Bundesregierung entlastet", analysierte Jörg Krämer, Chefvolkswirt der Commerzbank. "Der Gaspreis wird in Zukunft knapp ein Cent niedriger liegen als bei der bisherigen Mehrwertsteuer und einer unbesteuerten Gaszulage. Dadurch wird die Inflation schätzungsweise um knapp 0,3 Prozentpunkte niedriger ausfallen." Für Oktober und November erwarte man nicht mehr eine Inflation deutlich über neun Prozent, sondern um neun Prozent. "Es ist gut, dass der Staat nicht an der Gasumlage verdienen will. Allerdings hätte er größere Anreize zum Gassparen geschaffen, wenn er die Bürger nicht über den Gaspreis, sondern über direkte Zahlungen entlastet hätte."

Scholz hat angesichts der steigenden Energiepreise auch ein neues Entlastungspaket in den kommenden Wochen angekündigt. Damit solle der große Druck, der auf vielen Bürgern und Unternehmen laste, abgemildert werden, sagte der SPD-Politiker am Donnerstag in Berlin. "Wie das Paket genau aussieht, besprechen wir vertrauensvoll in der Regierung. Die Gerechtigkeitsfrage ist entscheidend, damit das Land in dieser Krise zusammenhält." Scholz wiederholte den Spruch: "You'll never walk alone."

SPÖ will Maßnahmen

Die SPÖ nahm die Senkung der Mehrwertsteuer auf Gas in Deutschland zum Anlass, weitere Schritte gegen die Inflation von der österreichischen Bundesregierung zu fordern. "Ganz Europa handelt, nur Österreich sieht zu", kritisierte SPÖ-Vizeklubchef Jörg Leichtfried in einer Aussendung. In zahlreichen EU-Staaten gebe es Maßnahmen wie Gewinnabschöpfungen oder Preisdeckel, hierzulande würden die Menschen aber mit Ankündigungen von Einmalzahlungen abgespeist, so Leichtfried. (APA, 18.8.2022)