Im vergangenen Jahr sind über 72.000 Menschen aus der katholischen Kirche ausgetreten.

Illustration: Fatih Aydogdu

Neun mal 18 Meter misst ein Hallenfußballplatz in Wettringen, einer Gemeinde in Nordrhein-Westfalen. Eigentlich nichts Besonderes, trotzdem erregt er Aufmerksamkeit. Denn wo heute Jubelschreie an der Gewölbedecke widerhallen, waren es vor noch nicht allzu langer Zeit die Gebete von Gläubigen.

Der Fußballplatz befindet sich nämlich in der ehemaligen Kirche des St. Josefshauses Wettringen. Vor gut zwei Jahren hat ein Pächter die Kirche übernommen, Kunstrasen ausgerollt, zwei Tore unter einen Fangnetzkäfig gestellt und zur "Soccer-Kirche" erkoren. Der Website zufolge stand der Bau zuvor neun Jahre lang leer. Nun spielen Kinder und Erwachsene Fußball, aber auch Volleyball oder Badminton; im Sommer finden Kunstausstellungen statt.

In Deutschland und auch den Niederlanden ist die Umnutzung von Kirchen schon länger Thema, weiß Anna Minta, Architekturhistorikerin an der Katholischen Privatuniversität Linz. Das beweisen neben der Soccer-Kirche auch Restaurants wie das Don Camillo in Hessen, das einst ein Gebetshaus war.

Extremere Beispiele finden sich im englischen Nottingham, wo eine Cocktailbar anstatt einer Kirche zu finden ist. Aber auch in Dublin mit The Church, in der Iren keine Messen, sondern Partys feiern.

Kirchenaustritte und fehlende Priester

Möglich machen das teure Erhaltungskosten der häufig in die Jahre gekommenen Bauten und schlecht besuchte Gottesdienste. Tatsachen, mit denen auch österreichische Diözesen konfrontiert sind. Allein im vergangenen Jahr sind über 72.000 Menschen aus der katholischen Kirche ausgetreten. 2020 waren es knapp 59.000.

Den Diözesen gehen aber nicht nur die Gläubigen, sondern auch die Priester ab. Die aktuelle Kirchenstatistik zeigt "leicht sinkende" Zahlen. Minta zufolge bestehe vielerorts die Notwendigkeit, Gottesdienste verschiedener Pfarrgemeinden zusammenzulegen. Trotzdem geben die Diözesen nur wenige Kirchen an andere Glaubensrichtungen weiter oder "profanieren", sprich entweihen, sie.

Weitergabe von Kirchen

Harald Gnilsen ist Baudirektor der Erzdiözese Wien. Im letzten Jahrzehnt seien in Wien und im östlichen Niederösterreich maximal zehn Kirchen übergeben worden, profaniert weit weniger; eine dafür aber erst kürzlich. Das neue Nutzungskonzept der Augustinerkirche in Klosterneuburg beinhaltet Gastronomie, Gewerbe, Wohnen, Arbeiten, Kunst, Kultur und Freiräume. Klingt zeitgemäß.

Daher drängt sich die Frage auf, ob derartige Umnutzungen die Zukunft von Gebetshäusern sein könnten? Immerhin nehmen Kirchen in Österreich große Flächen – meist in Bestlagen – ein.

Gnilsen winkt ab: "Das glaube ich nicht, dafür bin ich zu sehr Christ." Außerdem habe es Profanierungen in der Geschichte immer gegeben. Aktuell seien die Kirchen zu groß, aber nichtsdestoweniger Oasen. "Man geht rein und kommt zu sich", sagt er.

Entweiht werde eine Kirche laut Anna Minta durch einen Brief des zuständigen Bischofs, in dem er die Profanierung ausspricht. Reliquien und heilige Objekte werden während einer Abschiedsmesse entfernt.

Nutzung von entweihten Kirchen

Einen konkreten Leitfaden rund um die Profanierungen gibt es bei der Österreichischen Bischofskonferenz, dem obersten Organ der römisch-katholischen Kirche in Österreich, laut Katholischer Presseagentur aber nicht. Dem Vernehmen nach orientiere man sich in den Diözesen an den deutschen Ausführungen oder an einem Dokument des päpstlichen Kulturrates von 2018.

Dieses empfiehlt, die Umnutzung "gemeinsam mit der Kirchengemeinde zu planen". Ein Verkauf sollte zudem nur als letzte Lösung in Betracht gezogen werden. Die Leitlinien seien aber nach Aussagen des Kulturrates Fabrizio Capanni nicht bindend; die Letztverantwortung liege beim jeweiligen Bischof.

Weitergegeben werden katholische Kirchen im Übrigen am liebsten an christliche Gemeinden, weiß Minta. Dafür muss die Kirche auch nicht entweiht werden. Anders wäre das bei Konzerthäusern, Museen oder Bibliotheken. Dabei stelle sich allerdings auch die Frage eines Umbaus.

Viele Kirchen stehen unter Denkmalschutz, und das bedeutet, dass nur hinzugefügt werden darf, was wieder rückgebaut werden kann. Das gelte auch für Restaurants. Wobei sich die Architekturhistorikerin das prinzipiell gut vorstellen könnte. Immerhin sind Restaurants Orte des Zusammenkommens.

"Radikale Umnutzungen, die der christlichen Soziallehre widersprechen, wie ein Kasino oder ein Bordell, sind da schon schwieriger." Da sei die Kirche dann in der Zwickmühle. Denn nach dem Verkauf kann sie nicht mehr bestimmen, was geschieht. Daher ringe sie derzeit um Konzepte, ein Nutzungsmitspracherecht zu erwirken.

"Kirchen sind ein Zeitdokument"

"Die Kirchenlandschaft wird sich stark verändern, viele Gotteshäuser werden abgegeben werden", ist Architekturhistorikerin Minta überzeugt. Wichtig sei, zu hinterfragen, ob eine Kirche als Ort des Glaubens oder als kunsthistorisches Dokument gesehen werde. Denn: "Alle Kirchen sind ein Zeitdokument."

Während gotische, barocke und historistische Bauten allein schon aufgrund des Denkmalschutzes erhalten bleiben, seien die "Betonschuppen", die ab 1945 gebaut wurden, gefährdet. Damals habe die Kirche versucht, sich mit neuen Materialien und Raumkonzepten in der neuen Zeit zu positionieren.

Auch Initiativen könnten Kirchenräume attraktiver gestalten, so Minta. Sie würden schon jetzt Platz für zeitgenössische Kunst und weltliche Podiumsdiskussionen bieten. Dann müsste man auch nicht mit der Kirche ums Kreuz fahren und den Bau profanieren. (Julia Beirer, 21.08.2022)