Schon wieder diese Seniorenlobby. Regelmäßig pfeifen die Interessenvertreter auf das Gesetz, das den Umfang der jährlichen Pensionserhöhung präzise festschreibt. Bei den Regierungen der vergangenen Jahre kamen sie mit dem Ruf nach mehr stets durch.

Die Rekordinflation bietet dieses Jahr besonders zugkräftige Argumente – und dennoch sind die zehn Prozent Plus für alle, wie sie die sozialdemokratischen Pensionisten fordern, überzogen.

Die Seniorenlobby kam in den vergangenen Jahren mit dem Ruf nach mehr stets durch.
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Bei all der Aufregung über verdoppelte bis verdreifachte Energiekosten fällt meist die Gegenrechnung unter den Tisch. Fakt ist, dass den Pensionistinnen und Pensionisten die Teuerung von Gesetzes wegen per se vollends abgegolten wird. Allerdings – und das ist der Haken – erfolgt der Ausgleich verzögert, weil der maßgebliche Bemessungszeitraum die Vergangenheit widerspiegelt. So kommt es, dass die Inflation aktuell mit 9,3 Prozent weit über den 5,8 Prozent liegt, die das Gesetz vorgibt. Das bringt all jene in die Bredouille, denen in Ermangelung an Einkommen und Erspartem finanzielle Reserven zur Überbrückung fehlen.

Doch dass die Notleidenden dabei sich selbst überlassen würden, wie das Pensionistenvertreter suggerieren, stimmt nicht. Die meisten von der Regierung beschlossenen Einmalzahlungen kommen auch Menschen im Ruhestand zugute. Für Mindestpensionisten mit 1.030 Euro im Monat dürften die Entlastungen die Inflation heuer im Schnitt mehr als abgelten. Auch fürs nächste Jahr ist – angefangen bei der Strompreisbremse – mit Unterstützung zu rechnen.

Wieder gibt es ein Aber. Die versprochenen Hilfen sind bei weitem noch nicht alle angekommen, Durchschnittsrechnungen lassen sich nicht einfach auf jeden einzelnen Menschen umlegen: Je nach Lebenssituation werden manche besser aussteigen, manche viel schlechter. Generell wird die Teuerung für einen Ruheständler mit Minipension, der in einer schlecht isolierten Mietwohnung mit Gasheizung lebt, de facto höher sein, als der allgemeine Wert ausweist.

Mindestpensionen brauchen extra was drauf

All das spricht dafür, zuallererst die Ausgleichszulage vulgo Mindestpension kräftig anzuheben – das Niveau lag bereits vor der Inflationskrise zu niedrig, weil deutlich unter der Armutsgefährdungsschwelle. Auch darüber gibt es noch viele Pensionistinnen und Pensionisten, bei denen es finanziell eng wird. Sie brauchen ebenso extra etwas drauf.

Besser situierten Senioren wird hingegen das zuzumuten sein, was wohl auch der Masse der Erwerbstätigen blüht: Sie werden einen Teil der Teuerung erst einmal selbst verdauen müssen, indem sie Ausgaben einschränken oder auf Erspartes zurückgreifen. Das ist unangenehm, zumal die allermeisten Pensionen nicht in den Himmel schießen. Doch der Staat hat noch andere Aufgaben, für die er 2,5 Milliarden Euro pro Jahr – die Mehrkosten für eine zehnprozentige Pensionserhöhung – gut brauchen kann: von Investitionen in die Bildung über den Ausbau der Pflege bis zur von allen Parteien gewünschten Wiederbelebung des Bundesheers.

Der Staat muss sich in der Inflationskrise darauf konzentrieren, Notlagen zu verhindern. Jedermann vor Abstrichen zu schützen würde die öffentliche Hand überfordern. Werden Pensionistinnen und Pensionisten dabei auch noch bevorzugt, wäre das scharfe Munition für eine Konfrontation, die hierzulande bisher erfolgreich verhindert wurde: einen Generationenkonflikt. (Gerald John, 18.8.2022)