Asylverfahren in Drittstaaten sollen verhindern, dass sich Menschen auf gefährliche Fluchtrouten aufmachen, heißt es offiziell.

Es gab Zeiten, da hätte man als Bewunderer der dänischen Politik vielleicht so manche vermutet – aber sicher nicht die ÖVP. Über Jahrzehnte hatten sozialdemokratische Regierungen das Land geprägt. Sie waren es, die in Dänemark den "nordischen Wohlfahrtsstaat" etablierten, der ausgehend von Schweden zur politischen Trademark aller skandinavischen Länder wurde. Roten Kanzlern von Berlin bis Wien diente er fortan als Wunsch-Blaupause. Konservative Parteien konnten und wollten mit dem Modell dagegen nur wenig anfangen.

Heute ist vieles anders. Denn nach einer Episode mit mehrheitlich rechtskonservativen Regierungen stellen seit 2019 zwar wieder die Sozialdemokraten die Ministerpräsidentin – zum politischen Vorbild erklärte den Kurs von Regierungschefin Mette Frederiksen aber: die österreichische Volkspartei. Viele in der heimischen Sozialdemokratie dagegen fremdeln mit ihren dänischen Genossinnen und Genossen.

Grund dafür ist – bei Roten wie Türkisen – der restriktive Kurs bei den Themen Asyl und Migration, den Frederiksens Alleinregierung geflissentlich verfolgt. Damit hat sie Parteilinke in Europas Sozialdemokratie verschreckt; aber auch den Höhenflug der dänischen Rechtspopulisten gestoppt, indem sie ihnen mit ihren eigenen Kernthemen das Wasser abgrub.

Umsiedelungen bei "nicht westlichem" Hintergrund

Und so schielt nicht nur die ÖVP – die schon unter Ex-Kanzler Sebastian Kurz mit harten Ansagen zu Migration eine ähnliche Strategie verfolgte und damit die FPÖ ausbremste – auf Dänemark; sondern etwa auch Burgenlands Landeshauptmann Hans Peter Doskozil (SPÖ). Der Polizist und ehemalige Verteidigungsminister hegt offenkundige Sympathien für das Modell der dänischen Sozialdemokratie, die damit auch zur Rettung des über die Jahre scheibchenweise zurückgefahrenen Wohlfahrtsstaats ausruft. Nur wer gut integriert ist, fleißig arbeitet und so seinen Beitrag für die Allgemeinheit leistet, kann zum traditionellen nordischen Zusammenhalt beitragen, so das Credo. In der dänischen Bevölkerung stößt es über Parteigrenzen hinweg auf viel Zustimmung.

Das Instrumentarium der Sozialdemokraten für ihre strikte Migrations- und Integrationspolitik ist dabei durchaus vielfältig. So führte Frederiksen eine Quotenregelung für Wohngebiete ein. Das Ziel: Innerhalb von zehn Jahren sollen in jedem Stadtviertel nur noch maximal 30 Prozent der Bewohnerinnen und Bewohner über einen "nicht westlichen" Migrationshintergrund verfügen. Dazu zählt eigentlich jeder außer einer mit Wurzeln in der EU, mittel- und nordeuropäischen Ländern oder etwa den USA und Australien.

Um die Quote zu erreichen, gibt es auch Umsiedelungen im sozialen Wohnbau. Und potenziell betroffen sind davon nicht wenige Menschen. Von den 5,8 Millionen Einwohnerinnen und Einwohnern Dänemarks sind 14,5 Prozent Personen mit Migrationsbiografie oder deren Nachfahren, 9,2 Prozent solche mit "nicht westlichem" Hintergrund.

Asylverfahren in Ruanda

Besonders Interesse der ÖVP hat aber eine andere dänische Idee geweckt, die wenig später auch Großbritannien aufgriff: Asylverfahren will man in weit entfernte Drittstaaten auslagern. Kopenhagen hat dazu eine grundsätzliche Einigung mit Ruanda erzielt. Auch Asylwerberinnen und Asylwerber auf dänischem Boden sollen ins zentralafrikanische Land gebracht werden – und selbst bei positivem Asylbescheid dort verbleiben.

Planmäßig soll das System bereits in rund einem Jahr implementiert werden. Dass Dänemark spätestens im Frühjahr, vermutlich aber noch heuer wählt, könnte die Pläne der Sozialdemokraten eher beschleunigen – am Donnerstag kündigte das dänische Außenministerium an, ein Büro in Ruanda zu eröffnen. Die dänischen Ruanda-Pläne sollen Menschen möglichst abschrecken, überhaupt Asylanträge in Dänemark zu stellen. Offizielle Begründung für das Konzept: Kämen Asylwerber erst gar nicht mehr nach Europa, würde man Schlepperei praktisch austrocknen – und damit angesichts der gefährlichen Fluchtrouten Leben retten.

Karner auf Besuch in Kopenhagen

Hier setzt auch Österreichs Innenminister Gerhard Karner (ÖVP) an, der die dänische Idee ebenso für Österreich und die EU erwägen möchte. Migration und Schlepperei gehören seit Beginn seiner Amtszeit zu seinen Lieblingsthemen – vom "kriminellen Schlepperunwesen" etwa ist in besonders vielen seiner Pressekonferenzen die Rede. Aktuell warnt er vor "dramatischen Asylantragszahlen" in Österreich. So sind die Asylanträge im ersten Halbjahr 2022 im Vergleich zum Vorjahreszeitraum von knapp 10.900 auf mehr als 31.000 gestiegen. Das entspricht einem Anstieg von 186 Prozent binnen eines Jahres.

Nicht bei allen Menschen, die in Österreich einen Asylantrag gestellt haben, findet das Asylverfahren aber in Österreich statt. Dementsprechend schlagen auch bei weitem nicht alle in der heimischen Grundversorgung auf. Viele einmal in Österreich registrierte Menschen ziehen offenbar in andere EU-Länder weiter. Laut Einschätzungen der NGO Asylkoordination dürfte das sogar die Mehrheit sein.

Die Themen Asyl und Migration waren jedenfalls Hintergrund eines Besuchs Karners in der dänischen Hauptstadt Kopenhagen von Mittwoch auf Donnerstag, den der STANDARD gemeinsam mit drei weiteren Medien begleitete. Auf dem Programm stand unter anderem ein Treffen Karners mit dem neuen dänischen Minister für Einwanderung und Integration, Kaare Dybvad Bek.

Mit EU-Recht unvereinbar

Asylverfahren in Drittstaaten will Karner jedenfalls auch in der EU diskutiert wissen. Das heiße nicht, dass man die dänischen Pläne selbst "eins zu eins umsetzen" solle, sagt er. Man solle sich aber "anschauen, ob man Verfahren in sicheren Drittstaaten im europäischen Recht verankern kann".

Aktuell wäre die Auslagerung von Asylverfahren an Drittstaaten nämlich nicht mit EU-Recht vereinbar, wie auch Karner einräumt. Dänemark hat hier eine Sonderstellung, weil es sich für seine Zustimmung zum Maastricht-Abkommen ausgehandelt hat, außerhalb der gemeinsamen EU-Flüchtlingspolitik stehen zu können. Großbritannien konnte seine eigenen Ruanda-Pläne indessen erst seit dem Brexit verfolgen.

Ob die Implementierung eines ähnlichen Systems in Österreich und der EU somit überhaupt realistisch sei? Es gehe jedenfalls um das Anstoßen einer Diskussion, heißt es aus dem Innenministerium. Man müsse Forderungen mitunter vielleicht härter stellen, um in der Debatte über Denkbares voranzukommen.

Bis zu 5.400 Euro Prämie für freiwillige Rückkehr

Auf seiner Reise besuchten der Innenminister mit seiner Ressort-Delegation auch die "Danish Return Agency", die dänische Rückkehrbehörde, angesiedelt rund 20 Kilometer nördlich der Hauptstadt. Die neue Einrichtung gibt es erst seit 2020. Gegründet wurde sie, um alle Agenden rund um "Rückführung in die Heimatländer" in der Hand einer Behörde zu vereinen. Verantwortlich ist sie nicht nur für Asylwerber, sondern für alle ausländischen Staatsbürgerinnen, die sich nicht (mehr) legal in Dänemark aufhalten.

Sie soll durch regelmäßige verpflichtende Gespräche auch gezielt freiwillige Rückkehr in Herkunftsländer fördern. Dafür gibt es vom dänischen Staat bis zu 5.400 Euro Prämie für Rückkehrwillige. Und die Behörde mit fast 300 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in ganz Dänemark soll die Polizei entlasten. "Die soll sich darum kümmern, Diebe und Mörder ins Gefängnis zu bringen", sagt der Leiter der Behörde Claes Nilas. "Wir kümmern uns um die Rückführung von Menschen."

Ab einem negativen Asylbescheid habe es früher Wochen oder gar Monate dauern können, bis der Rückführungsprozess eingeleitet wurde. Inzwischen passiere das noch am selben Tag, an dem der Bescheid ausgestellt werde, erzählt man hier stolz. Und: Allein der Ruf, der der Behörde inzwischen vorauseile – nämlich über viele lästige Beamte zu verfügen, die Asylwerber laufend zu neuen Befragungen einlüden – schrecke immer mehr Menschen davon ab, überhaupt nach Dänemark zu kommen. (Martin Tschiderer aus Kopenhagen, 18.8.2022)