"Ich habe mich davon abgehalten, sofort in den humoristischen Reflex zu kippen, obwohl das sonst mein Modus Vivendi ist": Lisa Eckhart.

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Es ließe sich wohl gefahrlos behaupten, dass es für Lisa Eckhart nicht schlecht läuft. Die österreichische Kabarettistin und Autorin, mit ihrem näselnd-arroganten Bühnen-Alter-Ego weithin bekannt und immer für shitstormtaugliche Provokationen gut, hat in Deutschland fest Fuß gefasst (derzeitiger Lebensmittelpunkt: Leipzig), füllt deutsche Hallen und gelegentlich auch österreichische Spielstätten wie das Freilufttheater im Wiener Schwarzenbergpark, wo unser Gespräch vor einem ihrer Auftritte stattfindet.

Vor einem Jahr hat Eckhart einen Sohn zur Welt gebracht. Zwei Jahre nach dem Debüt Omama ist nun ihr zweiter Roman mit dem knalligen Titel Boum erschienen, ein überdrehtes und immer wieder sehr komisches Gattungshybrid, in dem sie Elemente von Krimi, Horror, Erotik-, Liebes- und Abenteuerroman mit satirischer Verve durcheinanderwürfelt.

Burleske Figuren

Boum ist bevölkert von einem burlesken Figurenpersonal: der in Paris weilenden Jungösterreicherin Aloisia ("La petite Autrichienne"); Romain, ihrem Latin Lover; dem titelgebenden Terrorexperten Monsieur Boum; einem Kommissar, der praktisch das ganze Buch hindurch seinen "Schweif" in Mädchenmünder versenkt; einem Serienkiller; dem Bettlerkönig Clopin und der Veuve Clicquot, einer durchtriebenen "Mösentrödlerin", die dafür sorgt, dass bei Clopins Bestand an jungen Frauen Zucht und Ordnung herrscht, wenn sie sich der Unzucht hingeben.

Somit steht, oh, là, là, Eckharts neues Opus ganz im Zeichen einer erotisch aufgeladenen Französität, welche der Autorin nicht fremd ist. Sie hat fünf Jahre in Frankreich studiert, eine Zeitspanne also, in der man manches mitbekommen sollte. "Da ich nur beschränkt gesellig bin, war’s bei mir wenig", befindet Eckhart. "Aber doch einiges, zumindest so viel, dass bei mir im Lauf des Schreibens die Sehnsucht ins Unerträgliche gesteigert wurde."

Nicht sofort ins Lächerliche

Wie sieht Eckhart eigentlich das Verhältnis ihrer beiden künstlerischen Leben, als Kabarettistin und Autorin, zueinander? "Ich liebe sehr, sehr knappe Outfits auf der Bühne. Das heißt, das hat ein Ablaufdatum zu jenem Zeitpunkt, da ich mich nicht mehr knusprig genug fühle. Und dann werde ich mich definitiv an den Schreibtisch setzen und nur mehr Romane schreiben." Auch von der Art und Weise, wie sie nicht gelesen werden möchte, hat Eckhart eine präzise Vorstellung. "Es wäre mir ein Graus, im Regal ‚Humor‘ zu stehen mit meinen Büchern", meint sie mit durchaus selbstkritischem Blick auf ihren ersten Roman.

Von manchen Kritikern wurde ihr vorgehalten, dass sie sich in Omama zu wenig auf die Anforderungen der Romangattung eingelassen und stattdessen die kabarettistische Arbeitsweise, Pointe auf Pointe zu häufen, auf Buchlänge übertragen habe.

Eine Kritik, die Eckhart nicht auf die leichte Schulter nahm: "Ich wollte bei meinem zweiten Roman Passagen schreiben, die nicht sofort ins Lächerliche ziehen, was die Protagonistin fühlt und tut. Ich habe mich davon abgehalten, sofort in den humoristischen Reflex zu kippen und das Geschehen mit einer Pointe aufzuheitern, obwohl das sonst mein Modus Vivendi ist. Ich musste mich als Bühnenmensch züchtigen. Als Schriftstellerin musste ich einfach ertragen, dass nicht eine Pointe die andere jagt, wofür sie mich von der Bühne jagen würden."

Stadt der Liebe

War der Schauplatz der Omama das Österreich der 1950er, so ist jener von Boum Paris, Stadt der Liebe, Stadt der Leidenschaft und, bei Eckhart auch Stadt grimmiger Mordserien unter Straßenmusikanten, denen Kazoos in die Hälse gestopft werden. Solch blutiges Gewese fügt sich passgenau in einen vorherrschenden Typus des zeitgenössischen Kriminalromans, bei dem die Extravaganz der Mordarten eine dominierende Rolle spielt und die Opfer typischerweise rituell faschiert oder gehäutet werden. Der satirisch-parodistische Unterton ist bei Eckhart unverkennbar. Hat sie mit Boum speziell Krimis der ungustiöseren Art aufs Korn genommen?

Sie lese keine Krimis, meint Eckhart, wohl aber habe sie sich zur Erkundung des Genres in Netflix-Serien gestürzt. "Ich war erstaunt, was die Leute in einer derart mit Mikroaggressionen bedrängten Gesellschaft sich alles zu Gemüte führen abends zum Einschlafen. Bei dem Ausmaß an Gewalt in diesen skandinavischen Romanen und Serienmörderdokumentationen hätte ich die Sorge, dass ich Schaden nehme, wenn ich mir das öfters anschaue."

Endloses Metzeln als Widerspiegelung gesellschaftspolitischer Gegebenheiten, als Zeitsymptom also? "Wir leben in einer Ära der Empfindlichkeit, weil man nur nach Kränkungen im Inneren sucht. Man ist nicht empfindsam, man lässt von außen nichts an sich herankommen. Das sind teilweise, so gekränkt und beleidigt sie sich fühlen, erstaunlich empathielose Kreaturen, denn natürlich stumpfen ständige Gewaltdarstellungen ab. Bei James Bond steigt der Bodycount exponentiell an, während die Geliebten immer weniger werden. Es wird immer mehr gemordet und immer weniger gepudert." Um Himmels willen.

Wenn das ein alter weißer Mann sagen würde, wäre wieder einmal Feuer am Dach. Eckhart beruhigt: "Ich ergreife gerne das Wort, und das tut auch mehr weh, weil man mich nicht mit ‚Okay, Boomer‘ abkanzeln kann."

Delikate literarische Aufgabe

Zurück zum Stichwort Pudern. Da Boum in Paris spielt, ist erwartungsgemäß viel von Sex die Rede, zum Beispiel dann, wenn sich Aloisia, die sinnenfreudige Jungösterreicherin, und ihr französischer Liebhaber Romain über Wochen hinweg tagtäglich der Kopulation hingeben, was nicht nur romantisch ist ("Der ständige Geschlechtsverkehr fordert seinen Tribut. Juckreiz, Brennen, Druckschmerz sowie diverse offene Stellen").

Über Sex zu schreiben ist ein notorisch schwieriges Geschäft, bei dem selbst die renommiertesten Schriftsteller häufig versagen. Was ist für Eckhart relevant, wenn sie sich an diese delikate literarische Aufgabe macht? Der Ausdruck "Schweif", wenn vom männlichen Genital die Rede ist, tritt jedenfalls auffällig oft in Erscheinung.

Lisa Eckhart, "Boum". 25,70 Euro / 368 Seiten. Zsolnay, Wien 2022
Cover: Zsolnay Verlag

"Ich bin aufgewachsen mit den Marquis-de-Sade-Büchern. Der ‚Schweif‘ ist ein gängiger Ausdruck in den deutschen Übersetzungen. De Sade hat zwar horrende Dinge beschrieben, aber mir sagt zu, dass er dies immer in einer Sprache tut, die die Form wahrt. Für mich ist es wichtig, dass auch bei sexuellen Themen die Sprache angezogen bleibt und aufrecht steht, dann kann man nicht so viel falsch machen. So gesehen hatte ich mit de Sade einen guten Lehrmeister."

Wieso gerade de Sade, der ja nicht eben als Jungmädchenliteratur gilt? "Ich schaue noch sehr jung aus, in mancher Hinsicht ist es mir aber dennoch passiert, dass ich ohne Internet aufgewachsen bin, weil meine Eltern da ein wenig konservativ waren. Und der Marquis war die einzige Quelle, um an Pornografie heranzukommen".

Akt der Geschlechtergerechtigkeit

Dezenter Einwurf. Der Philosoph Michel Onfray hat vor etlichen Jahren ein Buch mit der These geschrieben, es sei eine Mystifikation, wenn (französische) Intellektuelle de Sade als progressiven, revolutionären, gar frauenfreundlichen Autor wahrnähmen. In Wahrheit, so Onfray, war de Sade ein widerliches, reaktionäres und misogynes Ekel, der seine Mordlust ausgelebt hätte, wäre er dazu in der Lage gewesen. Eckhart sieht keinen Widerspruch. "Auch einem Ekel können Romane passieren, die sich feministisch lesen lassen."

Vor allem darin, dass de Sade mit seiner Justine eine Romanheldin schuf, die das absolut Böse inkarniert, sieht sie quasi einen Akt der Geschlechtergerechtigkeit. "Ich glaube, es ist ein Fehlschluss, wenn man das Gute in den Frauen verortet. Ich will sie auch nicht schlimmer heißen, als sie sind. Aber es kommt vor, dass sie aus einem gewissen Ressentiment heraus, weil sie schlecht behandelt wurden, sadistisch über die Stränge schlagen."

Unser Gespräch endet ein paar Stunden vor dem Auftritt Eckharts im "Theater im Park", bei dem sie hundert Minuten lang exquisite Frechheiten in perfektem Timing auftischt. Nach der Vorstellung bietet Eckhart dem Publikum Boum zum Kauf und zur Signatur an: "Sie können mir dabei gerne an die Brust greifen, aber duzen lasse ich mich auf keinen Fall." Eckhart legt beim Schreiben eben Wert auf tadellose Formen, gleichgültig, ob es ein Roman oder eine Widmung ist. (Christoph Winder, ALBUM, 20.8.2022)