Die kleinsten Bausteine der Materie sind bunt: Sie haben sogenannte Farbladungen, die ihre Wechselwirkung mit der starken Kernkraft bestimmen. Genau wie die blumigen Namen der Quarks ist die Idee von Farben nur eine Gedankenstütze für eine abstrakte Eigenschaft.

Das Wort "Atom" hat sich als Bezeichnung für jene Teilchen durchgesetzt, die aus Kern und Hülle bestehen, im Periodensystem zusammengefasst werden und durch Bindung die Moleküle bilden. Doch ursprünglich meint es einen nicht weiter teilbaren Baustein der Materie. (Das griechische Wort "atomos" bedeutet unteilbar.) Der Strom aus vielen Steckdosen Europas beweist, dass Atome sehr wohl geteilt werden können.

Noch zu Beginn den 20. Jahrhunderts war nicht klar, ob die Materie überhaupt aus kleinsten Bausteinen besteht. Der große Physiker und Philosoph Ernst Mach, einer der einflussreichsten Denker des damaligen Wien (und zugleich der damaligen wissenschaftlichen Welt), stellte etwa die Notwendigkeit der Aufteilung der Materie in kleinere Einheiten mit dem Ausspruch "Ham S' oans gsehn?" in Abrede – eine Tatsache, die seinen Wiener Physikerkollegen Ludwig Boltzmann, für dessen geniale Revolution der Wärmelehre die Idee kleinster Teilchen eine Voraussetzung ist, um einen Gutteil seines verdienten Ruhms brachte.

Boltzmann nahm sich später in Duino bei Triest das Leben, die heftigen Auseinandersetzungen mit dem Energetiker Wilhelm Ostwald und dessen Schüler Mach über die Existenz von Atomen dürften das ihrige dazu beigetragen haben. Für uns ist die Idee von kleinsten Bausteinen der Materie heute ganz selbstverständlich.

Die Suche nach den wahren Atomen

Derzeit gelten zwei Gruppen von Materieteilchen als fundamental, einmal die sechs Leptonen, zu denen das Elektron gehört, und zum anderen die sechs Quarks, die auf die Namen Up, Down, Charm, Strange, Top und Bottom hören. Namen wie das englische Wort für Charme sind blumige Umschreibungen für eigentlich sehr abstrakte Objekte und Eigenschaften und in vielen Fällen austauschbar. (Versuche einer Forschungsgruppe vom Kernforschungszentrum Cern, das letzte und schwerste Quark in das ansprechendere "Beauty" umzubenennen, haben sich bisher nicht durchgesetzt.)

Während also Elektronen nach heutigem Wissensstand fundamental und nicht weiter teilbar sind, gilt das für Protonen und Neutronen nicht. Letztere sind aus je drei Quarks der Sorten Up und Down zusammengesetzt, die neben ihrer Masse und ihrer Ladung noch eine sonderbare Eigenschaft haben, die als Farbe bezeichnet wird, aber mit Farben im gewöhnlichen Sinn nur gewisse strukturelle Eigenschaften teilt.

Doch auf mikroskopischer Ebene folgt Materie den sonderbaren Gesetzen der Quantenphysik, weshalb man sich Protonen und Neutronen nicht einfach als festes Objekt aus drei Teilchen vorstellen sollte. Die in den Teilchen gebundenen Quarks sind hochdynamische Objekte, in ständiger Bewegung und im ständigen Austausch von Gluonen, die für die Stabilität von Protonen und Neutronen verantwortlich sind.

Bei der Kollision von Protonen, wie etwa im LHC, dem größten Teilchenbeschleuniger der Welt, entstehen aufgrund der hohen Energie allerdings häufig auch andere Sorten von Quarks.

Die heute bekannten fundamentalen Teilchen – links oben die sechs Quarks.
Foto: Dominguez, Daniel, CERN

Künstliche Intelligenz als Lösung

Ob diese schwereren Verwandten von Up- und Down-Quark, die im übrigen jedes für sich genommen schwerer als ein ganzes Proton sind, auch in einem in Ruhe befindlichen Proton vorkommen, was bislang eine ungelöste Frage. Nun hat ein Forschungsteam um Richard Ball von der Universität Edinburgh im Fachjournal "Nature" eine Studie veröffentlicht, die diese Vermutung belegt. Mithilfe von Künstlicher Intelligenz untersuchte man große Datensätze aus Teilchenbeschleunigern und konnte mit hoher Verlässlichkeit zeigen, dass innerhalb von Protonen mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit das Charm-Quark, das leichteste der schweren Quarks, präsent ist.

Die theoretischen Ergebnisse konnten inzwischen durch die Untersuchung experimenteller Daten des LHCb-Experiments am Cern bestätigt werden. (Das "b" in der Abkürzung steht für "Beauty" – es handelt sich um jene Gruppe, die sich um die Namensänderung bemühte.) Auch die Impulsverteilung sei in überraschend guter Übereinstimmung mit bisherigen theoretischen Vorhersagen.

Schwierige Theorie

Das Ergebnis ist ein wichtiger Fortschritt, denn eigentlich sollten solche Fragen längst geklärt sein. Die Theorie, der die Quarks und die sie zusammenhaltenden Gluonen folgen, ist seit den Siebzigern bekannt. Doch weil Gluonen nicht nur mit Quarks wechselwirken, sondern auch untereinander, ist die Theorie, die Quantenchromodynamik genannt wird, so komplex, dass sie alle heute verfügbaren Rechenkapazitäten sprengt. Nur mit radikalen Näherungsverfahren sind Vorhersagen über die Natur möglich. Das ist auch ein Grund, warum Teilchenbeschleuniger gebaut werden: Sie bringen die Teilchen in extreme Situationen, für die die Gleichungen der Quantenchromodynamik gut gelöst werden können. Ein stabiles Proton ist lästigerweise exakten Berechnungen kaum zugänglich.

Versuche, die Quantenchromondynamik und die Theorie der Elektroschwachen Wechselwirkung, mit denen sie gemeinsam das sogenannte Standardmodell der Elementarteichenphysik bildet, durch eine fundamentalere Theorie zu ersetzen, scheiterten bislang. Auch im Gebiet der Stringtheorie, wo solche Ansätze versucht wurden, gibt man sich nicht mehr besonders optimistisch, was eine baldige experimentelle Bestätigung angeht. Die stärksten Hoffnungen ruhen in der Erforschung der Dunklen Materie, die neue, bislang unbekannte Teilchen und damit einen Blick hinter das Standardmodell liefern könnten. (Reinhard Kleindl, 21.8.2022)