Sogenannte Ewigkeitschemikalien der Kategorie PFAS können sich im Körper ansammeln, Organe beeinträchtigen und bei Babys und Kleinkindern für Entwicklungsstörungen sorgen.
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Was macht Windjacken wasserabweisend, Fastfood-Verpackungen dicht, Pfannen anbrennsicher und Lippenstift kussfest? In vielen Fällen hat die Antwort vier Buchstaben: PFAS. Dabei handelt es sich um eine Stoffkategorie mit vielen Vorteilen, die aber gleichzeitig handfeste Nachteile mit sich bringen. Denn die fluorhaltigen Substanzen sind besonders langlebig – und reichern sich dadurch in der Umwelt an. Das betrifft auch Tiere und Menschen, die die Stoffe über Trinkwasser und Nahrung aufnehmen. Die gesundheitlichen Folgen dieser "Ewigkeitschemikalien" sind wenigen bewusst und noch nicht ausreichend erforscht.

Die Kategorie PFAS – gesprochen: P-Fas – umfasst mehr als 4.000 Stoffe, von denen bisher erst drei Verbindungen offiziell als schädlich eingestuft und reguliert werden. Die starken Verbindungen sind nur schwer zerstörbar, außerdem lassen sich die mobilen Moleküle nicht gern einfangen und filtern. Die bekannteste Vertreterin wurde schon in den 1950er-Jahren als öl- und wasserfestes Imprägnierungsmittel entwickelt und etwa für Kleidung, Teppiche und Papier verwendet. Sie heißt Perfluoroctansulfonsäure, kurz PFOS. Lokal bewirkt sie nicht nur an Standorten der Textilindustrie höhere Belastungen, sondern auch bei der Metallverarbeitung – und dort, wo die Feuerwehr Löschschaum einsetzt.

Neue Schadensfälle in Österreich

Das sorgte etwa bei Löschübungen an Flughäfen für extreme Verunreinigungen. Auch in Österreich: Erst in diesem Jahr wurde festgestellt, dass die Chemikalie bei Einsätzen in der Steiermark sowie am Salzburger Flughafen in rauen Mengen durch Löschschaum ins Grundwasser gelangte. Derzeit werde von den zuständigen Behörden noch eruiert, mit welchen Methoden man gegen die Kontamination vorgehen werde, heißt es vonseiten des Flughafens Salzburg. Stark betroffene Bereiche des Bodens könnten ausgehoben und entsorgt werden, Wasser durch Filter gereinigt – eine aufwendige und teure Angelegenheit.

Dass Flughäfen und Militärbasen aufgrund von Brandübungen PFAS-Hotspots sein dürften, ist für Gabriel Sigmund von der Universität Wien sehr wahrscheinlich. "Wir können davon ausgehen, dass in den nächsten Jahren die Schadensfälle, die in Österreich bekannt werden, zunehmen", sagt der Umweltwissenschafter. Das vielerorts verbotene PFOS steht auf der Liste des Stockholmer Übereinkommens, das besonders schädliche Stoffe auf internationaler Ebene reguliert. Erst kürzlich nahm man zwei weitere Substanzen auf – darunter Perfluoroctansäure (PFOA), die vor allem bei der Produktion von Teflonbeschichtungen verwendet wurde.

"Die beiden bekanntesten PFAS-Vertreter, PFOS und PFOA, sind eigentlich nur die Spitze des Eisbergs."
– Gabriel Sigmund, Universität Wien

Schleichende Aufnahme

Da sich die Stoffe im Grundwasser sammeln können, gelangen sie etwa durch bewässertes Obst und Gemüse in die Nahrungskette von Tieren und Menschen. Im Blut von 97 Prozent der US-Bevölkerung sind sie einer Hochrechnung zufolge nachweisbar. PFAS wirkten zwar nicht akut toxisch, sagt Hans-Peter Hutter, Public-Health-Experte an der Med-Uni Wien. Man nimmt also im Normalfall nicht so große Mengen der Ewigkeitschemikalien auf, dass sie sofort krank machen. Aber die Liste der möglichen Folgen durch eine schleichende Aufnahme ist lang. "Es gibt Untersuchungen, die ein erhöhtes Krebsrisiko bei der Aufnahme höherer Dosen zeigen", sagt Hutter.

Daneben finden sich etwa Hinweise darauf, dass Immunsystem und Fortpflanzung beeinträchtigt werden. Forschungsarbeiten weisen darauf hin, "dass ein Viertel der Jugendlichen in Österreich höher belastet sind, als man sich das wünschen würde", warnt der Mediziner.

Risiko für Babys und Kleinkinder

Ihm zufolge wurden bisher vor allem Entwicklungsstörungen beobachtet – da die Substanzen bereits im Mutterleib an die Babys weitergegeben werden, könne es zu einem geringeren Geburtsgewicht kommen. Und auch beim Stillen werden die Ewigkeitschemikalien bereits an Säuglinge weitergegeben. Weiters könne die Stoffgruppe zu Vergrößerungen von Leber und Niere führen, weil sich die Stoffe vor allem in diesen Organen ablagern. Zuletzt wurde eine Studie veröffentlicht, derzufolge PFAS mit Leberkrebs zusammenhängen könnte.

Neben Lebensmitteln ortet Hutter eine weitere wichtige Quelle, über die die Verbindungen in den Körper gelangen können, nämlich Hausstaub. Durch Abrieb – beispielsweise von Outdoorkleidung – geraten Partikel in die Umgebung und setzen sich im Hausstaub ab. Für Erwachsene stellt die Menge im Staub keine große Belastung dar, bei Babys und jungen Kindern ist das anders. "Gerade Krabbelkinder befinden sich oft dort, wo der meiste Staub vorkommt: am Boden", sagt Hutter. Wenn sie sich die Finger in den Mund stecken, gelangen auch PFAS in ihren Körper.

Auch verschiedene Make-up-Produkte enthalten PFAS – oft sind es solche, die besonders langen Halt versprechen und weitgehend wasserfest sind.
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Kosmetik und Textilien

Doch die Palette an Produkten, die bewusst mit diesen chemischen Verbindungen versehen sind, ist breiter. Auch Kosmetika gehören dazu. Die Substanzen können dafür sorgen, dass Wimperntusche, Make-up und Lippenstifte ihren natürlichen Widersachern standhalten: Tränen, Schweiß und Abendessen. Wie Untersuchungen zeigten, werden die umstrittenen Fluorverbindungen oft nicht als Inhaltsstoff angeführt.

"Daher lautet der Aufruf aus der Wissenschaft und von vielen Behörden, dass PFAS in allen industriellen Prozessen, wo sie nicht essenziell sind, vermieden werden und sie nicht ständig durch neu entwickelte PFAS ersetzt werden sollen."
– Ottavia Zoboli, Technische Universität Wien

Vorläufige Studiendaten deuten darauf hin, dass in Städten wie Wien der Gebrauch behandelter Textilien und Kosmetika die Freisetzung von PFAS in Abwässer dominiert, sagt Ottavia Zoboli. Sie leitet an der TU Wien ein Projekt zum Verhalten der Stoffe im Wasserkreislauf, außerdem ist sie an einer EU-geförderten und europaweiten Messkampagne beteiligt.

Problematische Ersatzmittel

Gerade weil so vieles, was Wirkung und Verhalten der Ewigkeitschemikalien betrifft, unklar ist, sollte man auch bei ihrer Herstellung und Nutzung wesentlich zurückhaltender sein, sind sich nicht nur Gewässerforscherin Zoboli und Umweltwissenschafter Sigmund einig. "Daher lautet der Aufruf aus der Wissenschaft und von vielen Behörden, dass PFAS in allen industriellen Prozessen, wo sie nicht essenziell sind, vermieden werden und sie nicht ständig durch neu entwickelte PFAS ersetzt werden sollen", sagt die Gewässerforscherin.

Dieses Vorgehen falle nämlich in die Kategorie der bedauerlichen Ersatzmittel, der "regrettable substitutions", meint Sigmund: Ein problematisches Mittel wird verboten, aber die Alternativen sind oft nicht besser – und bis diese wiederum gesetzlich eingeschränkt werden, kann viel Zeit vergehen. "Die beiden bekanntesten PFAS-Vertreter, PFOS und PFOA, sind eigentlich nur die Spitze des Eisbergs", sagt der Wissenschafter. Jene Moleküle, die nun diese zwei Verbindungen ersetzen, sind oft kleiner und können deshalb zusätzliche Probleme verursachen: "Nicht nur, weil wir damit schneller weit entfernte Wasserkörper verunreinigen, sondern auch, weil sie schwieriger zu entfernen sind."

Grenzen der Verbreitung

Die globale Verschmutzung ist weniger sichtbar als beispielsweise bei Plastikmüll. Einige Fachleute sprechen allerdings schon von einer überschrittenen planetaren Grenze, was die Erde auf lange Sicht unbewohnbar machen könne. Ein Team um Umweltchemiker Martin Scheringer von der ETH Zürich schrieb kürzlich im Fachjournal "Environmental Science & Technology", dass die Mengen an PFOS, die in Regenwasser gemessen wurden, häufig die Umwelt-Qualitätsstandards für Oberflächengewässer der EU überschreiten. Zwar wird Regenwasser in Österreich selten getrunken, "allerdings gehen zahlreiche Menschen auf der Welt davon aus, dass es sicher ist, es zu trinken – zudem speist es viele unserer Trinkwasserquellen", wird Co-Autor Ian Cousins von der Universität Stockholm in einer Aussendung zitiert.

DER STANDARD

Hierzulande prüfen Gesundheitsministerium und Gesundheitsagentur Ages, ob die Richtwerte eingehalten werden – die aktuellste Schwerpunktaktion zeigte bei einer von 264 Trinkwasserproben eine Überschreitung. In der ganzen EU dürften die Regeln bald strenger werden: schon allein, weil bisher für Seen, Flüsse und die Lebewesen darin mit PFOS nur ein einzelner Stoff aus der Substanzklasse kontrolliert wird. Zudem gibt es mehr Studien zu toxischen Effekten als noch vor zwanzig Jahren.

Unter der Bestimmungsgrenze

In den USA justierte kürzlich die Umweltbehörde für die altbekannten Stoffe PFOS und PFOA massiv nach, was unter Fachleuten für Wirbel sorgte. "Es wurden Richtwerte empfohlen, die um ein bis zwei Kommastellen unter der Bestimmungsgrenze der Labors liegen", erläutert Zoboli. Die Richtlinien sind also schon weiter als die Möglichkeiten von Behörden und Trinkwasserherstellern, diese zu überwachen. "Da fragt man sich, wie in der Praxis beurteilt werden soll, ob diese niedrigen Grenzen eingehalten werden."

Darüber hinaus gibt es in der wissenschaftlichen Gemeinschaft Menschen wie Sigmund, die dem Vorsorgeprinzip anhängen. "Selbst, wenn wir noch nicht wissen, ob ein neuer Stoff toxisch ist: Wenn er über Jahrzehnte oder Jahrhunderte in der Umwelt bleibt, hat er dort nichts verloren", sagt der Wissenschafter. "Wir können nicht abschätzen, was damit passiert." Der Sollwert läge also eigentlich bei null – dieser ist heute aber schon nicht mehr erreichbar. Ewigkeitschemikalien werden in der Natur nicht oder kaum abgebaut, sondern vor allem umgelagert und landen so beispielsweise im Grundwasser oder im Meer.

Nicht nur Plastik sammelt sich in den Meeren, auch Ewigkeitschemikalien landen dort – nicht zuletzt auch durch beschichteten Müll.
Foto: Olivier MORIN / AFP / APA

Entwicklung neuer Methoden

Die Verbindungen können bisher unter hohem Energieeinsatz, etwa durch Verbrennung bei großer Hitze, zerstört werden. Hoffnung gibt die Forschung: Vor wenigen Tagen erschien im Fachjournal "Science" eine wichtige Studie, laut der manche PFAS auch unter günstigeren Bedingungen in sichere Verbindungen umgewandelt werden können.

Nach wie vor bleibt aber das Problem, dass solche Verfahren nur bei Hotspots umsetzbar sind. Aus Kostengründen würden verunreinigte Böden derzeit eher ausgegraben und verbrannt, sagt Sigmund: "Für flächige Kontaminationen ist so etwas aber nicht denkbar."

Umgang im Alltag

Wie sollten wir künftig also mit derartigen Stoffen umgehen? Sigmund verweist auf das Motto des europäischen Forschungsprojekts ZeroPM, das übersetzt so viel wie "Vermeiden, Priorisieren und Entfernen" bedeutet.

Mediziner Hutter ergänzt mit einem Alltagsbeispiel: "Ich sehe oft Kinder am Spielplatz Winterjacken tragen, mit denen sie zu einer Polarexpedition aufbrechen könnten." Für den österreichischen Winter sei der Einsatz fragwürdig. Denn je höher die Wassersäule ist – also je mehr Wasser das Material abweisen kann –, desto höher kann der Anteil an PFAS im Gewebe sein.

Interessen der Industrie

"Da die Substanzen in so vielen bekannten Quellen vorkommen, kann man sie als Konsument nicht komplett meiden", gibt Hutter zu bedenken. Es sind also auch Gesetzgeber und Wirtschaft gefragt. "Es ist immerhin auch im Interesse der Industrie, ein Produkt nicht nach fünf bis zehn Jahren zurückziehen zu müssen", sagt Sigmund.

Jedoch werden sehr viel mehr Substanzen entwickelt und auf den Markt gebracht, als sich zeitnah von Forschenden in Sachen Risiko bewerten lässt. "Die unterschiedlichen Beteiligten müssten mehr kommunizieren und Daten offener teilen", schlägt der Wissenschafter vor. "Mutwillig will ja kaum jemand Umweltgifte produzieren." (Julia Sica, Jasmin Altrock, 22.8.2022)