"Kennen Sie den Übersetzer von Harry Potter? Ich stelle diese Frage gerne, da sie zeigt, wie unsichtbar Literaturübersetzerinnen sind. Dabei ist man bei kleinen Sprachen wie BKS nicht nur Übersetzerin, sondern oft auch Agentin und Scout. Besonders in diesen Sprachen sind Verlage darauf angewiesen, dass ihnen gute Literatur angeboten wird. Wenn ich also der Meinung bin, dass ein Werk es wert ist, auch auf Deutsch zu erscheinen, erstelle ich ein Gutachten, das zwischen drei und fünf Seiten lang ist, und eine Probeübersetzung von zehn bis 20 Seiten. Daran arbeite ich circa eine Woche.

Erst wenn ein Verlag der Übersetzung zustimmt, erhält man einen Vertrag mit einem festgelegten Seitenhonorar. Das waren in den letzten 20 Jahren immer ungefähr 20 Euro pro Seite, von Inflationsanpassung weit entfernt. Als Urheberin der Übersetzung verkauft man damit praktisch seine Rechte am Text. An meinem ersten übersetzten Roman habe ich ein halbes Jahr gearbeitet, für die 300 Seiten habe ich einmalig 6.000 Euro brutto verdient.

Literarische Texte zu übersetzen sei ein sehr einsamer Beruf, aus finanzieller Sicht sei man dabei auf Förderungen angewiesen (Symbolbild).
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Ohne Kontakte geht's nicht

Meine erste Übersetzung war für mich aber ein Glücksfall und sicher nicht repräsentativ, denn ich habe weder Slawistik noch Translation studiert. Ich bin 30 Jahre alt und in Niederösterreich aufgewachsen. Seit meinen Studien in Germanistik, Komparatistik und Geschichte lebe ich in Wien und bin hauptsächlich selbst Leserin. Im Rahmen eines Auslandslektorats des Österreichischen Austauschdiensts (ÖAD) habe ich drei Jahre in Sarajevo gearbeitet, wo ich schnell in Sprache und Kultur eingetaucht bin. Als ich erste Bücher vor Ort lesen konnte, fiel mir auf, wie viel gute Literatur dort erscheint und wie wenig davon übersetzt wird. Deshalb habe ich mich selbst daran versucht.

Schließlich habe ich in meiner Lieblingsbuchhandlung in Sarajevo ein Werk entdeckt, das einfach übersetzt werden musste. Und ich habe mich am ersten Kapitel versucht und das Ergebnis an einen Verlag geschickt, zu dem ich bereits Kontakte hatte. Ohne Kontakte geht’s leider nicht. Die Lektorin hat mich daraufhin an den S.-Fischer-Verlag weitergeleitet, der bereits die Rechte an dem Buch hatte. Auf gut Glück habe ich meinen Entwurf erneut abgeschickt und eine Zusage erhalten. Mit einem Start bei einem derart großen Verlag habe ich nicht gerechnet.

Ein paar Zerquetschte

Wenn sich das übersetzte Werk gut verkauft, ist man ab einer gewissen Stückmenge auch am Nettoladenpreis beteiligt. Leider ist in den wenigsten Verträgen eine Beteiligung ab dem ersten verkauften Werk festgelegt. Bei meinen letzten zwei Projekten habe ich ab dem 5.001. Buch 0,80 Prozent vom Nettoladenpreis erhalten. Das sind nicht einmal 20 Cent bei einem Buchpreis von 20 Euro – also nicht mehr als ein paar Zerquetschte. Auch die Tantiemen, die man für Lesungen oder Buchvorstellungen bekommt, sind überschaubar. Mit der Beteiligung an den Verkäufen und den Tantiemen habe ich für meine erste Übersetzung noch einmal 2.300 Euro brutto bekommen. Es wurden circa 10.000 Bücher verkauft, das ist für einen Debütroman sehr viel.

Letztendlich lebst du beim Literaturübersetzen vom Grundhonorar, wenn du überhaupt davon leben kannst, was die wenigsten können. Die meisten sind wie ich zusätzlich angestellt, zumindest zeitweise: Ich habe letztes Jahr 30 Stunden als Karenzvertretung in einem Büro für internationale Beziehungen gearbeitet und monatlich 1.800 Euro brutto verdient. Ab September beginne ich im Verlagswesen zu arbeiten und steige mit einem Lehrlingsgehalt ein.

Derzeit versuche ich, hauptberuflich zu übersetzen, lebe aber hauptsächlich von meinem Ersparten. Will man davon leben, funktioniert das nur mit regelmäßigen Förderungen. Für mein aktuelles Projekt habe ich vom deutschen Übersetzerfonds etwa 4.000 Euro erhalten. Da mein Partner auch in der Kreativbranche arbeitet und wenig verdient, müssen wir im Herbst um Wohnbeihilfe ansuchen, um die Miete von 1.100 Euro zahlen zu können. Vor der Gasnachzahlung fürchten wir uns beide schon jetzt.

Zwischen den Sprachen

Das Übersetzen an sich ist ein sehr individueller Prozess. Jeder Text hat einen eigenen Ton. Man steht als Übersetzerin zudem permanent zwischen den Kulturen und den Sprachen. Von der Illusion einer 100 Prozent originalgetreuen Übersetzung kann man sich verabschieden. Stattdessen gilt es zu entscheiden, was vom Ausgangstext beibehalten werden muss und an welchen Stellen man sich vom Text entfernen kann, damit es schlussendlich dem Original gerechter wird. Der Text muss ja auch auf Deutsch funktionieren. Streng betrachtet, erschafft man als Übersetzerin auch schizophrene Figuren. Harry Potter spricht nicht unsere Sprache, aber wir lesen ihn auf Deutsch. Leider wird die eigene Arbeit oft nur dann bemerkt, wenn sie schlecht ist. Hat man gut übersetzt, wird die Sprache der Autoren gelobt. Selbst in Rezensionen wird häufig vergessen, Übersetzer beim Namen zu nennen.

Obwohl mir das Übersetzen viel Spaß macht, möchte ich auf lange Sicht nicht hauptberuflich in dieser Branche bleiben. Es ist ein sehr einsamer Beruf, und mir fehlen die Kolleginnen und Kollegen. Nebenberuflich möchte ich aber weiterarbeiten. Es entsteht noch so viel gute Literatur, die ich übersetzen möchte." (Anna Wiesinger, 22.8.2022)