Die Behauptung, dass Sycamore, der Quantencomputer von Google, klassischen Computern bei einem speziellen Problem überlegen sei, könnte sich offenbar doch als falsch erweisen.

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Können Quantencomputer Rechenprobleme lösen, mit denen klassische Computer überfordert sind? In der Fachwelt wird diese Frage unter dem Schlagwort "Quantum Advantage", auf Deutsch "Quantenvorteil", diskutiert. Der zuvor gebräuchliche Begriff "Quantum Supremacy" ("Quantenüberlegenheit") wird aufgrund der begrifflichen Nähe zu "White Supremacy" inzwischen weniger häufig verwendet.

Seit der Entdeckung des Shor-Algorithmus in den 1990er-Jahren weiß man, dass es jedenfalls theoretisch Rechenaufgaben gibt, die mit Quanten-Algorithmen um ein Vielfaches schneller gelöst werden können als mit klassischen. Um solche Quantenalgorithmen praktisch nutzen zu können, braucht es aber die entsprechenden Quantencomputer – und diese zu konstruieren stellt Forschende vor zahlreiche Herausforderungen. Unabhängig von der praktischen Realisierung ist durch den Shor-Algorithmus und andere Beispiele klar: Jedenfalls theoretisch sind Quantenrechner klassischen Computern überlegen.

Gewagte Behauptung

Vor drei Jahren ist Google mit der Behauptung vorgeprescht, tatsächlich einen Quantenrechner entwickelt zu haben, der klassischen Rechnern überlegen sei. Damals gab es viel Applaus für die angebliche Quantenüberlegenheit, einige Forschende zeigten sich aber skeptisch: Die Arbeit sei primär akademisch interessant, aber nicht praktisch relevant, da die Rechenaufgabe keine Anwendungsmöglichkeiten habe, lautete damals die Kritik.

Nun muss sich Google aber offenbar noch in anderer Hinsicht geschlagen geben. In einer Studie, die demnächst im Fachblatt "Physical Review Letters" erscheint, stellt der chinesische Forscher Pan Zhang und Kollegen vom Institut für Theoretische Physik der Chinesischen Akademie der Wissenschaften einen klassischen Algorithmus vor, der das 2019 von Google vorgestellte Problem möglicherweise noch schneller lösen kann.

15 Stunden statt 10.000 Jahre

Die Aufgabe, mit der Googles Quantenrechner namens Sycamore die Quantenüberlegenheit erreicht haben soll, hat damit zu tun, ob eine Stichprobe von Zahlen, die von einem Quantenschaltkreis generiert werden, eine echte Zufallsverteilung aufweisen. Sycamore konnte dieses Problem in drei Minuten und 20 Sekunden lösen, Google hatte 2019 behauptet, dass ein klassischer Computer 10.000 Jahre brauchen würde, um zum Ergebnis zu kommen.

Pan Zhang und Kollegen konnten aber einen superschnellen Algorithmus entwickeln, durch den das Problem wesentlich rascher gelöst werden kann – in etwa 15 Stunden. Das ist zwar immer noch deutlich länger als Sycamore für die Aufgabe benötigt, zeigt aber, dass klassische Computer das Limit erreichen könnten. Die Forschenden berechneten auch, wenn ihr Algorithmus auf einem Exascale-Supercomputer ausgeführt wird – was nicht ganz trivial ist, weil es zu Übersetzungsproblemen kommen könnte –, könnte das Problem in "ein paar Sekunden" gelöst werden, was die Rechenzeit von Sycamore sogar noch unterbietet.

Die Arbeit von Pan Zhang und Kollegen ist nicht die erste, die Googles Quantenüberlegenheit infrage stellt, aber die stärkste. In einem Statement räumte Sergio Boixo, führender Wissenschafter bei Google Quantum AI, ein: "In unserer Arbeit von 2019 sagten wir, dass sich klassische Algorithmen verbessern würden." Für das langfristige Wettrennen zwischen Quantencomputern und klassischen Computern sieht Boixo aber Quantencomputer im Vorteil: "Der entscheidende Punkt ist, dass sich die Quantentechnologie exponentiell schneller verbessert. Daher glauben wir nicht, dass dieser klassische Ansatz mit den Quantenschaltungen im Jahr 2022 und darüber hinaus mithalten kann, trotz erheblicher Verbesserungen in den letzten Jahren." (Tanja Traxler, 20.8.2022)