Sepp Schellhorn kommt zum Interview in die Redaktion. Weniger Arbeit hat er seit dem Ausstieg aus der Politik im Juni 2021 nicht.

STANDARD: Sie sind vor über einem Jahr aus der Politik ausgestiegen. Schon auf Urlaub gewesen?

Schellhorn: Nein, ich hätte wahrscheinlich verreisen sollen, nachdem ich aus der Politik ausgestiegen bin. Aber ich bin gleich am nächsten Tag in den Betrieb gegangen.

STANDARD: Hätte es bei so einem Schritt eine Zäsur gebraucht?

Schellhorn: Ja, die hat nur nicht stattgefunden. Das geht nicht immer so einfach.

STANDARD: Die Politik hat Sie sicher sehr auf Trab gehalten. Haben Sie so gesehen nicht viel Zeit gewonnen?

Schellhorn: Nein. Das war ja mit ein Grund, warum ich aufgehört habe. Ich habe gemerkt, vor allem in dieser Zeit nach Corona hat es einfach mehr Einsatz in den Betrieben bedurft, weil weniger Mitarbeiter da waren. Ich will jetzt nicht sagen, dass ich abgewaschen habe. Aber wenn ein Küchenchef sagt, er hört auf, wenn er keinen Abwäscher hat, muss man eben Abwäscher suchen.

Seine Leibthemen, Stillstand in der Politik, Bürokratie und Föderalismus, kann Schellhorn (55) auch jetzt leidenschaftlich diskutieren.
Robert Newald

STANDARD: Sie haben also genauso viel gearbeitet?

Schellhorn: Sagen wir so: Ich bin mehr gestanden, hab mehr gekocht. In der Politik bin ich mehr gesessen und hab mit dem Hirn gekocht.

STANDARD: Gar nicht erholt?

Schellhorn: Ich hab nach meiner politischen Tätigkeit einige Monate keine Zeitung gelesen, wenn, dann nur Sport und Kultur. Da hab ich mich ein bisschen erholt und neue Kräfte gewonnen. Im Herbst ist es dann mit den ganzen Chatprotokollen und der Thomas-Schmid-Geschichte wieder losgegangen im Kopf. Wenn man einmal an der Politik gesogen hat, ist es wie eine Droge. Es lässt einen nicht mehr los.

STANDARD: Was war diese "Überdosis Gift", wie Sie es nannten, die Ihnen die Politik so verleidet hat?

Schellhorn: Das Klima, die nicht vorhandene Gesprächskultur, die Aggressivität und auch diese Haltung "Wenn du nicht für mich bist, bist du mein Gegner". Das habe ich als Unternehmer zu spüren bekommen und als Oppositionspolitiker.

STANDARD: Sie waren als Politiker auch nicht gerade ungiftig. Ein Kollege hat Sie "Neos-Wutbruder" tituliert.

Schellhorn: Ich habe mit Leib und Seele versucht, dass ich das Unternehmertum in den Nationalrat einziehen lasse. Ich habe meinen Job als Nationalratsabgeordneter, für den ich auch bezahlt wurde, sehr ernst genommen. Es ist zeitweise schon so gewesen, dass es einem auch die Kabel gerissen hat. Im Grunde genommen ist es mir immer darum gegangen, dass die Wirtschaft und dass ich mit meinen Mitarbeitern überleben kann. Wäre jetzt nicht irgendeine Krise entstanden, würden wir noch immer über die Abschaffung der kalten Progression diskutieren.

STANDARD: Sie haben sich als Leistungsfanatiker bezeichnet. Fragt man Sie, wo Ihre Leistung war: War das die Abschaffung der kalten Progression?

Rad fahren, Bücher lesen, dafür hätte der Kunstsammler und Thomas-Bernhard-Fan gerne mehr Zeit.
Robert Newald

Schellhorn: Das kann man nie so genau sagen als Oppositionspolitiker. Ich glaube, dass es ganz wichtig ist, zu versuchen, Anträge einzubringen, die für das Land gut sind. Ganz ehrlich, in diesen sieben Jahren habe ich nur draufgezahlt. Ich hab wegen meiner Abwesenheit in meinen Betrieben drei Mitarbeiter mehr gebraucht, das hat das Nationalratsgehalt allemal aufgefressen. Ich hatte Nachteile in puncto Betriebsprüfungen etc. etc. Ich könnte nicht sagen: "Ich hab’s für mich getan."

STANDARD: Muss es nicht heißen: Geht es der Wirtschaft gut, geht es auch den Gastronomen gut?

Schellhorn: Nein. Wenn es den Mitarbeitern gut geht, geht es allen gut. Das ist das Kernproblem. Auch in der Diskussion mit dem Gerhard Loacker ...

STANDARD: ... der Parteikollege sagt, die Leute wollen nicht mehr arbeiten.

Schellhorn: Na ja, wenn es keine Anreize gibt. 2800 brutto ist das Mindestgehalt bei meinen Mitarbeitern. Wenn ich ein Vorstellungsgespräch habe mit jemandem aus dem Tourismus, der noch stempeln darf, sagt er mir: Wenn ich geringfügig dazuverdienen und am Wochenende pfuschen darf, hab ich auch 1900, Herr Schellhorn. Ich will nicht, dass seine Arbeitslose gekürzt wird. Ich will, dass der für 2800 brutto 2200 netto bekommt. Wenn mein Küchenchef sagt, Überstunden macht er sicher nicht, weil bei 6000 brutto bleibt ihm nicht mehr als ein Drittel, dann ist das leistungsfeindlich.

STANDARD: Bleiben wir bei der Politik. Nicht nur Sie, auch Sebastian Kurz und Gernot Blümel sind gegangen. Ist Ihr Glaube an die Politik zurück?

Schellhorn: Erstens bin ich freiwillig gegangen. Zweitens glaube ich, dass die genannten Herren aufgrund des Auftauchens der Chat-Protokolle nicht so freiwillig gegangen sind. Auch wenn für alle die Unschuldsvermutung gilt. Warum sollte ich das Vertrauen zurückgewinnen? Selbst wenn die ÖVP super-, super-, supersauber wäre. Wir beschäftigen uns nicht mit Zukunftsthemen. Wir beschäftigen uns nur immer mit Vergangenheit. Da ist jetzt nicht die ÖVP schuld, sondern wahrscheinlich auch Opposition und Untersuchungsausschuss.

STANDARD: Sie haben vom Operettenhaften in der Politik geredet. Operette wäre eigentlich lustig und leichtgängig. Kann es sein, dass Ihnen das Komödiantenhafte weniger liegt?

Schellhorn: Es hat mit dem fehlenden Ernst etwas zu tun. Wenn man als Unternehmer da drin sitzt, an all die bürokratischen Auflagen zum Beispiel bei Betriebsanlagengenehmigungen denkt und dann hört, was da drinnen passiert, wo sich viele Menschen nicht mehr an irgendwas erinnern können, nicht einmal, ob sie Ja oder Nein gesagt haben, ist das operettenhaft, lachhaft, nicht mehr ernst zu nehmen. Wenn man unter Wahrheitspflicht in einem U-Ausschuss aussagen muss und es dann nicht ernst nimmt, was ist das dann anderes als eine Operette? Der Thomas Bernhard hätte seine Freude dabei gehabt.

Einmal einen ganzen Tag lang nicht wissen, was tun: Das ist sein Traum. Den will er sich auch bald erfüllen.
Robert Newald

STANDARD: Einer Ihrer Lieblingsschriftsteller. Er hat auch Salzburg als stumpfsinniges Provinznest mit dummen Menschen beschrieben.

Schellhorn: Bernhard war ein Übertreibungskünstler. Aber im Grunde hat er mit dem Heldenplatz und seinem Professor Robert nicht so unrecht gehabt. Und wenn der Führer kommt und uns in den Abgrund reißt, dann war der Sebastian Kurz schon einer dieser Protagonisten.

STANDARD: Er ist ja jetzt weg aus der Politik, Sie sind es auch. Aber offensichtlich ist Ihre Wut nicht verraucht?

Schellhorn: Die Wut kann nicht verraucht sein, weil man dem auch ohnmächtig gegenübersteht, ohnmächtig als Unternehmer.

STANDARD: Sie haben ein kleines Imperium aufgebaut, sehr erfolgreich. So furchtbar kann es nicht sein?

Schellhorn: Ich habe nie gesagt, dass es furchtbar ist. Ich habe auch meine Vorteile daraus genossen. Ich habe auch sehr viel dafür geopfert. Zum Beispiel die Zeit und Urlaube mit meinen Kindern und meiner Familie. Ich habe jetzt einmal nachgerechnet: Ich habe drei Eisenbahner-Lokführer-Arbeitsleben hinter mir.

STANDARD: Ihre Eltern waren streng? Sie hatten zumindest bei der Berufswahl nicht viel Freiheit, oder?

Schellhorn: Ich war der Erstgeborene. Aber es geht um Chancengleichheit. Ich war nicht der beste Schüler. Bei mir war Genügend das Sehr gut des kleinen Mannes, ich war ein Meister des Genügend. Ich bin auch nie sitzengeblieben. Das hat mich wahrscheinlich zu so einem Gerechtigkeitsfanatiker gemacht, dass unterschiedliche Parameter zählen. Ich wollte als Bub Skifahrer werden.

STANDARD: Waren Sie gut?

Schellhorn: Nein, ich war ...

STANDARD: ... genügend?

Schellhorn: Ja, aber ich hab es in der Skihauptschule genossen. Für meine Eltern war es auch gut, dass mein Bruder und ich im Internat waren. Es hat keine Schule im Ort gegeben.

STANDARD: Was haben Sie sich als junger Mann vorgenommen?

Schellhorn: Ich wollte es denen, die gesagt haben, das kannst du nicht, beweisen. Der Widerstand war eine enorme Energiequelle für mich.

STANDARD: Das könnten Sie wiederhaben. Sie übergeben den "Seehof" nächstes Jahr an Ihren Sohn.

Schellhorn: Sobald ich übergeben habe, bin ich ein halbes Jahr dahin. Vielleicht geh ich auf einen Berg und schau hinunter. Ich habe viele Bücher zu lesen und möchte, dass ich mehr als fünf Tage einfach vor mich hin sinnlose – und das mit Begeisterung. (Regina Bruckner, 20.8.2022)