Ein Unterseevulkan im Südpazifik sorgte Anfang des Jahres für eine gigantische Schockwelle und eine Rekordwolke.
Foto: EPA/TONGA METEOROLOGICAL SERVICES

Zuletzt war es das isländische Vulkansystem Fagradalsfjall, das für Aufsehen sorgte. Anfang August kam es dort, auf der Halbinsel Reykjanes, rund 40 Kilometer von der isländischen Hauptstadt Reykjavik entfernt, zu Eruptionen. Ein Lavastrom bahnte sich seinen Weg aus einer riesigen Spalte, die sich in dem Tafelvulkan aufgetan hatte. In den Tagen zuvor waren tausende Erdbeben verzeichnet worden. Personen oder Infrastruktur kamen zum Glück nicht zu Schaden, doch der Ausbruch rief wieder einmal in Erinnerung, wie schnell sich die Lage in vulkanisch aktiven Gebieten ändern kann.

Und nicht nur dort: Fachleute warnen in der aktuellen Ausgabe des Fachjournals "Nature", dass die Welt viel zu wenig auf große Vulkanausbrüche mit globalen Folgen vorbereitet sei. Der derzeitige Umgang mit dem Risiko gleiche einem Glücksspiel, schreiben Michael Cassidy von der Universität Birmingham und Lara Mani von der Universität Cambridge in ihrem Kommentar.

Weckruf aus den südpazifischen Tiefen

Zum Anlass ihres Kommentars nehmen die Experten nicht den vergleichsweise harmlosen Ausbruch auf Island, sondern die gewaltige Eruption des Hunga Tonga-Hunga Ha'apai im Jänner dieses Jahres. Der Unterseevulkan im südpazifischen Inselstaat Tonga löste eine Druckwelle aus, die mehrfach um die Erde ging, sein gigantischer Auswurf an Asche und Gasen stieg mehr als 32 Kilometer in die Höhe. Nach Angaben von Fachleuten war es die stärkste jemals mit wissenschaftlichen Instrumenten gemessene vulkanische Explosion.

Hätte der Ausbruch länger gedauert oder wäre er in einem Gebiet mit kritischer Infrastruktur passiert, wäre mit verheerenden Folgen zu rechnen gewesen, sagte Mani. "Es war das vulkanische Äquivalent eines Asteroiden, der die Erde nur knapp verfehlte, und muss als Weckruf verstanden werden."

Jahr ohne Sommer

Welche Auswirkungen ein Vulkanausbruch für die ganze Welt haben kann, ist historisch überliefert. Als 1815 der indonesische Vulkan Tambora ausbrach, kamen schätzungsweise 100.000 Menschen in der Region durch unmittelbare Folgen der Katastrophe ums Leben. Das war aber erst der Anfang: Der Vulkan schleuderte so viel Asche und Aerosole in die Atmosphäre, dass 1816 in Europa und Nordamerika als das "Jahr ohne Sommer" in die Geschichtsbücher einging – mit Missernten und schweren Hungersnöten.

Schön, heiß und hochaktiv: der Fagradalsfjall in Island.
Foto: APA/AFP/JEREMIE RICHARD

Der Tambora-Ausbruch vor 200 Jahren war die stärkste dokumentierte Eruption, die Explosion wird auf dem Vulkanexplosivitätsindex auf Stärke 7 geschätzt. Mani sieht in der Annahme, dass das Risiko für derartige Vorfälle gering sei, eine weitverbreitete Fehleinschätzung. "Die aus Eisbohrkernen gewonnenen Daten über die Häufigkeit von Eruptionen in der Vergangenheit deuten darauf hin, dass die Wahrscheinlichkeit einer Explosion der Stärke 7 in den nächsten hundert Jahren bei eins zu sechs liegt."

Gravierende Unterfinanzierung

Gemeinsam mit ihrem Kollegen Cassidy kritisiert die Expertin, dass dringend benötigte finanzielle Mittel für die Vulkanforschung fehlen. "Jedes Jahr werden hunderte Millionen Dollar in die Bekämpfung von Asteroidenbedrohungen gepumpt, während die Risikoforschung und Vorsorge für Vulkanausbrüche gravierend unterfinanziert ist", schreiben die Forschenden. In den nächsten hundert Jahren sei das Risiko für große Vulkanausbrüche mit globalen Folgen aber hundertmal größer als jenes für Asteroideneinschläge. "Wir unterschätzen das Risiko völlig, das Vulkane für unsere Gesellschaft darstellen", sagte Mani.

Das Problem der Unterfinanzierung sieht auch Robert Supper von der Geologischen Bundesanstalt in Wien. "Im Prinzip müsste man Vulkane langfristig und systematisch überwachen, und dafür bräuchte es Geld. Ein Teil wird auch gemacht, aber nur das Allernötigste. Was es braucht, sind mehr Mittel und bessere internationale Koordination."

Supper wurde Ende Juli selbst Zeuge einer Eruption in Italien, wo der Vulkan Stromboli auf der gleichnamigen Insel wieder aktiver wurde. Er beobachtete am 27. Juli einen größeren Lavastrom, der sich aus dem Kraterbereich ins Meer ergoss – ein möglicher Vorbote eines größeren Ausbruchs. "In Europa ist Italien das Land mit den meisten Vulkanen in Siedlungsnähe – wenn man sich den Großraum Neapel anschaut, da ist alles verbaut. Wenn da ein stärkerer Ausbruch kommt, kann einiges passieren", sagte Supper. Vorbereitung auf den Ernstfall sei dringend geboten.

Vulkane kennenlernen

Zwar lasse sich die Explosion eines Vulkans auch mit den genauesten Instrumenten nicht klar vorhersagen, aber nur dauerhaftes Monitoring könne entscheidende Hinweise auf Veränderungen geben, um etwa Evakuierungen in Gang zu setzen, sagte Supper. "Um einen Vulkan einschätzen zu können, muss man ihn kennenlernen und langfristig beobachten."

Genau dafür plädieren auch Cassidy und Mani: Nur 27 Prozent aller Ausbrüche seit 1950 seien wissenschaftlich überwacht worden, zwei Drittel seien nicht einmal in globalen Datenbanken erfasst worden, schreiben die Vulkanologen. Verbessertes Monitoring vor Ort könnte in Kombination mit Satellitenüberwachung eine wichtige Basis für ein effektiveres Vorwarnsystem und die Katastrophenhilfe bilden.

"Wird die Menschheit aus der Beinahe-Katastrophe in Tonga lernen, oder wird eine Eruption großen Ausmaßes das nächste Ereignis sein, das uns nach der Pandemie unvorbereitet trifft?", heißt es in dem Expertenkommentar. Es gebe Maßnahmen, die die Welt als Gemeinschaft ergreifen könnte, um die Folgen eines solchen Ereignisses zu minimieren. Dafür brauche es aber koordiniertes Vorgehen, mehr Investitionen und Forschung, schreiben Mani und Cassidy. "Die Diskussion darüber muss endlich beginnen." (David Rennert, 21.8.2022)