Der künftige Generalstabschef hat noch vor zwei Jahren die Bedeutung klassischer militiärischer Landesverteidigung relativiert. Der Ukraine-Krieg habe zwar nicht zu einer akuteren Bedrohung des Bundesgebiets, aber zu einem Umdenken geführt, sagt Rudolf Striedinger heute.

STANDARD: Sicherheitsfragen werden oft verdrängt. Warum tut man sich in Österreich so schwer, an Ernstfälle zu denken?

Striedinger: Ich glaube, das Prinzip Hoffnung – "Es wird schon nix passieren" – haben wir uns als Gesellschaft abgewöhnt. Die Pandemie und die schreckliche Aktion Russlands gegen die Ukraine haben dafür keinen Platz gelassen.

STANDARD: Sie als Offizier hatten ja schon immer die Aufgabe, weiter vorzudenken. Vor zwei Jahren lautete Ihre Beurteilung, dass ein militärischer Angriff unwahrscheinlich ist. Sehen Sie das jetzt anders?

Künftiger General Striedinger: "Ich glaube, das Prinzip Hoffnung – 'Es wird schon nix passieren' – haben wir uns als Gesellschaft abgewöhnt."
Foto: Heribert Corn

Striedinger: Konkret bezüglich eines militärischen Angriffs auf Österreich nicht. Selbstverständlich muss man die Bedrohungslagen laufend beurteilen – und tatsächlich hat vor zwei Jahren niemand so rasch mit einer kriegerischen Auseinandersetzung dieses Ausmaßes in Europa gerechnet. Das ist leider anders, und deswegen ziehen nicht nur die Politik, sondern auch das Militär daraus die erforderlichen Konsequenzen.

STANDARD: Damals galt, dass man auf schwere Waffen – bis auf kleine Kompetenzzentren, aus denen man nach längerer Zeit aufwachsen könnte – verzichten kann. Jetzt ist geplant, alle Kampfpanzer Leopard auf neuesten Stand nachzurüsten. Wann passiert das?

Striedinger: Wir haben die Planungsarbeiten abgeschlossen und werden nicht nur die Leoparde, sondern auch die Schützenpanzer auf den neuesten Stand bringen, und zwar alle. Es geht allerdings noch um die Finanzierung, denn wir reden hier von einigen Millionen Euro, die wir hier brauchen, um alle Fahrzeuge auf einen akzeptablen technischen Stand zu bringen.

STANDARD: Im Frühjahr haben sich alle Parteien zu einem höheren Verteidigungsbudget bekannt. Jetzt ist es eher still darum geworden?

Striedinger: Der Endpunkt der Bearbeitung ist das Budgetgesetz und das dazugehörige Finanzrahmengesetz. Diese Gesetze werden im Laufe des Herbsts beschlossen werden. Wie Ministerin Klaudia Tanner bereits angekündigt hat, sind die Gespräche mit dem Finanzministerium abgeschlossen und mit dem Koalitionspartner so weit gediehen, dass im Wesentlichen Einvernehmen hergestellt wurde.

STANDARD: Politisch geht es darum, allgemein verständlich zu machen, warum das Militär dies oder das braucht?

Striedinger: Wir haben diese Überlegungen in drei große Blöcke gegliedert: erstens den Schutz der Soldaten und die Wirkung ihrer Waffen. Es gibt dann einen großen zweiten Block der Mobilität. Und das Dritte ist der Bereich der Autarkie, insbesondere hinsichtlich der Infrastruktur und damit verbunden Nachhaltigkeitsaspekte.

STANDARD: Die Idee autarker Kasernen und "Sicherheitsinseln" wird den Medien seit Jahren angepriesen. Herzuzeigen hat das Bundesheer aber nichts. Warum dauert das so lange?

Striedinger: Es handelt sich hier um zumindest ein Investitionsvolumen von knapp 100 Millionen Euro allein für die Infrastruktur der Kasernen. Wenn man eine Kaserne neu bauen kann wie in Villach, kann man die Sachen gleich richtig machen. Aber es gibt ja eine Unzahl an Kasernen, die entsprechend adaptiert werden müssen, wo sowohl die Stromversorgung autark gestellt werden muss, als auch die eigene Wasserversorgung hergestellt werden muss und die Treibstoffversorgung revitalisiert werden muss. Wir hatten ja eine Phase in den letzten zehn Jahren, wo wir ganz bewusst Anlagen geschlossen haben. Und jetzt kommen wir drauf, dass es zweckmäßig ist, sie weiterzubetreiben.

"Die Politik hat erkannt, dass in Europa wieder Kriege geführt werden, und daher darauf reagiert."
Foto: Heribert Corn

STANDARD: Jahrelang war betriebswirtschaftliche Effizienz wichtiger als Sicherheit?

Striedinger: Man hat sicherheitspolitisch eben anders gedacht. Beispielsweise ist die relativ hohe Wahrscheinlichkeit eines Blackouts erst seit wenigen Jahren ein Thema.

STANDARD: Womit wir mitten drinnen sind in der umfassenden Landesverteidigung. Da geht es ja nicht nur um die militärische, sondern um die wirtschaftliche, zivile und geistige Landesverteidigung. Die stehen, wie man sieht, nur auf dem Papier, auch wenn es das Papier des Bundesverfassungsgesetzes ist.

Striedinger: Der Rückenwind für eine positive Weiterentwicklung der Sicherheitspolitik ergibt sich aus ganz vielen Aspekten. Auf der einen Seite dadurch, dass das Bundesheer immer wieder für die österreichische Bevölkerung da ist, zum Zwecke der Katastrophenhilfe oder im sicherheitspolizeilichen Assistenzeinsatz. Das ist das, was die österreichische Bevölkerung besonders am Bundesheer schätzt. Die Politik hat – und zwar europaweit – erkannt, dass in Europa wieder Kriege geführt werden, und daher darauf reagiert. Wenn seitens der Politik ausreichende Budgetmittel für eine Wiederbelebung der militärischen Landesverteidigung bereitgestellt werden, stößt das auf breites Verständnis der Bevölkerung.

STANDARD: Macht das den Wehrdienst attraktiver?

Striedinger: Es ist unsere Absicht, nach dem sehr starken Einsatz in den letzten zwei Jahren wieder die hohe Last des Bundesheeres bei Assistenzleistungen zu reduzieren. Und das führt dann dazu, dass wir jene Wehrpflichtigen, die sich für den Grundwehrdienst oder für den Wehrdienst entscheiden, auch tatsächlich eine militärische Ausbildung zukommen lassen können ...

STANDARD: Womit Sie implizit einräumen, dass die vielen Einsätze von präsenten Grundwehrdienern dazu führen, dass man nach sechs Monaten keine feldverwendungsfähigen Soldaten hat. Ist die Idee einer Verlängerung auf acht Monate vom Tisch?

Striedinger: Die Tatsache, dass wir viele Grundwehrdiener vor allem für langfristige Assistenzleistungen heranziehen mussten, hat schon dazu geführt, dass die Ausbildung deutlich gelitten hat. Ein Militär wird nie unzufrieden sein, wenn die Ausbildungszeit verlängert wird. Es muss unser Ziel sein, in sechs Monaten einsatzfähige Soldaten auszubilden – für eine weitergehende Ausbildung kann sich jeder freiwillig melden.

STANDARD: Jetzt noch eine ganz andere Frage. Als ehemaligem Chef des Abwehramts n sagt ihnen sicher die "Wehrsportgruppe Hoffmann" etwas – eine rechtsextreme Vereinigung, die für das Oktoberfestattentat im Jahr 1980 verantwortlich ist. Ein guter Bekannter von Ihnen, der Kommerzialrat Jürgen L., war in seiner Jugend in den 1970er Jahren in enger Beziehung zu dieser Wehrsportgruppe. Wissen Sie davon?

Striedinger: Nein, das ist mir völlig unbekannt.

"In meiner ehemaligen Funktion als Leiter des Abwehramts bin ich jahrelang dafür eingetreten, gegen den Extremismus in all seinen Facetten vorzugehen."
Foto: Heribert Corn

STANDARD: Und Ihnen ist auch nicht aufgefallen, dass Kommerzialrat L., der ja in der Wirtschaft von Niederösterreich und im Österreichischen Kameradschaftsbund gut vernetzt ist, eine verfassungsfeindliche Haltung hätte?

Striedinger: Nein, wie gesagt: Ich höre diese Geschichte heute zum ersten Mal. Ich weiß von ihm im Gegenteil nur, dass er das Militärkommando Niederösterreich unterstützt hat. In diesem Zusammenhang habe ich ihn auch als einen angesehenen Mann kennengelernt.

STANDARD: Einer der womöglich geläutert ist? .

Striedinger: Ich kann an dieser Stelle nur folgendes mit Nachdruck sagen: In meiner ehemaligen Funktion als Leiter des Abwehramts bin ich jahrelang dafür eingetreten, gegen den Extremismus in all seinen Facetten vorzugehen. Und wenn Sie mich nach meiner Ideologie fragen, dann ist der Kampf gegen den Rechtsextremismus einer meiner innersten Aufträge und da gibt es für mich in dieser Causa und auch für das gesamte Bundesheer Null-Toleranz! (Conrad Seidl, 20.8.2022)