"Das ist nicht Ministerpräsidenten-Niveau", hieß es in einem Twitter-Kommentar zu einem Partyvideo, auf dem die finnische Regierungschefin Sanna Marin zu sehen ist. Sie tanzte ausgelassen und ließ sich mit anderen beim Feiern filmen. Dieses bereits Wochen alte Video wurde nun geleakt – und Marin muss sich seither dafür rechtfertigen.

Es ist ein Paradebeispiel für die unterschiedlichen Maßstäbe, die an Männer und Frauen in der Politik angesetzt werden. Denn niemand würde auf die Idee kommen, etwa den bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder als seines Amtes unwürdig zu bezeichnen, weil er sich auf zig Bildern mit einer Maß Bier im Bierzelt präsentiert. Die Sozialdemokratin musste hingegen unmittelbar nach der Veröffentlichung des Videos klarstellen, dass sie damit nichts Illegales getan hat.

Die finnische Regierungschefin Sanna Marin muss sich für ein Partyvideo rechtfertigen.
Foto: EPA/KIMMO BRANDT

Illegal, so wirkt es aber offenbar, wenn eine junge Politikerin tut, was viele in ihren 20ern und 30ern nun einmal öfter tun: ausgehen, etwas trinken, Spaß haben. Obwohl das viele in den sozialen Netzwerken völlig okay finden, wird andererseits glasklar, wie schnell für Frauen in einer solchen Position noch immer die Frage bei der Hand ist: Darf sie das?

Zeitungen machen eifrig Screenshots des Videos, die möglichst unvorteilhafte Bilder von Marin zeigen. Sie schreiben, Marin "goes wild" und dass im "Hintergrund das Wort Kokain" fiel. Deshalb wurde ihr von einer Abgeordneten auch gleich nahegelegt, einen Drogentest zu machen. Sie habe keine Drogen genommen und habe daher auch kein Problem mit einem Test, antwortete die 36-Jährige pflichtschuldig und gab darüber hinaus an, dass bei jener Party auch Alkohol getrunken wurde.

Politisches Kalkül

Sanna Marin ist sich offenbar der an sie angelegten Maßstäbe bewusst. Denn um noch einmal den Vergleich mit einem männlichen Politiker zu bemühen: Dass sich beispielsweise Boris Johnson einen Drogentest unterzieht, nur weil in unmittelbarer Nähe zu ihm jemand womöglich gekokst hat – das ist nur schwer vorstellbar. Ebenso eine Erwähnung, dass bei einer von ihm besuchten Party Alkohol getrunken wurde. No na, würde sich das Gros in seinem Fall wohl denken.

Hinter derartigen Leaks steckt oft politisches Kalkül, und es fällt freilich auf, dass das Video jetzt auftaucht, da sich Sanna Marin für einen raschen Nato-Beitritt Finnlands einsetzt und so den Zorn Russlands auf sich zog. Aber genau das zeigt auch, wie viel leichter die Skandalisierung eines vermeintlich fragwürdigen Verhaltens von Frauen ist.

Dass der Grat für Politikerinnen so verdammt schmal ist, hat letztlich auch mit alten Sehgewohnheiten zu tun. Mit diesen brechen Frauen in einflussreichen Positionen, und das ist ein gesellschaftspolitischer Job, den sie neben ihrer eigentlichen anspruchsvollen Tätigkeit auch noch erledigen müssen, ob sie wollen oder nicht. Davon sind die vielen männlichen Politiker mit Drinks in der Hand und chauvinistischen Sprüchen auf den Lippen befreit. Sie sind noch immer die Norm in diesen Ämtern – und geben noch immer vor, wofür sich Frauen in derselben Position rechtfertigen müssen. (Beate Hausbichler, 19.8.2022)