Auch wenn viele Menschen sagen, dass "Influencer" kein Beruf sei, gibt es solche, die dies als ihre Berufung sehen. Zu diesen zählt wohl auch Wilker Leão de Sá. Der Youtuber aus dem brasilianischen Hauptstadtdistrikt stellt seit etwa eineinhalb Jahren selbstgedrehte Videos ins Netz.

Vom ursprünglichen Fokus auf das Militär – er ist nach eigenen Angaben Unteroffizier, laut Angaben der Armee jedoch Anfang des Jahres ausgeschieden – erweiterte er bald sein Repertoire um politische Themen, denn im Oktober steht die Präsidentenwahl an. Deswegen liefert Leão derzeit täglich Videos, die ihn im Gespräch mit Besuchern der Pride-Parade, des "Marschs für Jesus" oder auch Anhängern der Arbeiterpartei zeigen. Meist befragt er jedoch Fans des rechtsextremen Präsidenten Jair Messias Bolsonaro, die vor dem Palácio da Alvorada in Brasília auf eine Gelegenheit für eine Begegnung mit ihrem Idol warten. Schon im April schaffte auch Leão es, den Präsidenten persönlich anzusprechen.

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Damals stellte er sich als "Militär-Enthusiast" vor und fragte ihn nach Verbesserungen für die Militärangehörigen, woraufhin er von Bolsonaro abgeschasselt wurde. Seine zweite Begegnung ging Leão nun gezielt provokativer an.

Rangelei statt Selfie

Bolsonaro lässt auf dem Weg zu einer Wahlkampfveranstaltung seinen Konvoi halten, um Selfies mit seinen Fans zu machen. Der wie üblich sich selbst filmende Youtuber ruft dem Präsidenten eine kritische Frage zu und wird von einem Security-Mann zu Boden gerissen. Lautstark beschwert er sich, dass ihm Gewalt angetan werde, und beginnt den Präsidenten zu beschimpfen: Er heißt ihn einen Vagabunden, Feigling, Schurken und eine "tchutchuca do centrão" – sozusagen das Tschapperl korrupter Rechtskonservativer.

Bolsonaro geht schließlich genervt auf den Youtuber zu, packt ihn am Kragen seines rot-schwarz gestreiften São-Paulo-Fanshirts und greift nach dem Mobiltelefon Leãos. Sicherheitsbeamte zerren den Youtuber ein paar Schritte zur Seite. Bolsonaro bedeutet ihm schließlich, wieder herzukommen, worauf sich die beiden Kontrahenten tatsächlich unterhalten.

Zu Leãos Schaden ist das Treffen nicht, im Gegenteil: Die präsidentielle Handgreiflichkeit sorgte für eine wundersame Follower-Vermehrung. Hatten zuvor nur 15.000 Menschen den Kanal abonniert, kletterte die Zahl am Freitag auf weit mehr als das Doppelte. Auch auf Tiktok und Instagram floriert nun das Influencergeschäft. (Michael Vosatka, 19.8.2022)