An den Stränden Hawaiis gilt ein Verbot manch chemisch-organischer UV-Filter, da diese Korallenbleiche hervorrufen.

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Wir kennen das Bild von Badeurlauben am Meer oder vom Badetag am See: Ein schillernder Film schwimmt auf der Wasseroberfläche und verliert sich irgendwann im Wellenspiel. Er besteht aus abgewaschenen Sonnenschutzmitteln, die uns Schutz vor krebserregender UV-Strahlung bieten. Was dabei oft unbedacht bleibt: Für viele Wasserlebewesen sind diese Substanzen toxisch.

In einer Metastudie hat die US-amerikanische Dachorganisation National Academies of Sciences, Engineering, and Medicine die bisher bekannten Risiken für Organismen und Ökosysteme in Salz- und Süßwasser zusammengefasst. Darin fordert sie die US-Umweltschutzbehörde EPA auf, dringend Umweltverträglichkeitsprüfungen durchzuführen.

Kaum eine Studie zum Thema, die nicht die Dringlichkeit von mehr Forschung, mehr Vorsicht und mehr politischem Handeln unterstreicht. Bislang – so ist aus Wissenschaftskreisen zu erfahren – verhallen diese Mahnungen jedoch weitgehend ungehört.

Die US-amerikanische National Oceanic and Atmospheric Administration (NOAA) hat auf einem Poster die negativen Umweltauswirkungen von Sonnenschutzmitteln dargestellt.
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70 Blauwale pro Jahr

Vier Kilogramm chemischer und mineralischer UV-Filter gelangen allein an den Stränden des Mittelmeeres an einem Tag ins Wasser. Das seien allerdings konservative Schätzungen, unterstreichen die Autoren der zugehörigen Studie. Welche Dimensionen diese potenzielle Umweltgefahr weltweit annimmt, hat Yousong Ding von der University of Florida berechnet.

Der Professor für medizinische Chemie kam auf einen jährlichen Eintrag von 14.000 Tonnen Sonnenschutzmittel in die Ozeane. In marinen Vergleichen gesprochen, entspricht das dem Gewicht von 70 ausgewachsenen Blauwalen.

In den Weltmeeren bleibt dies nicht ohne Folgen, wie eine wachsende Zahl von Studien belegt. Submarine Ökosysteme nehmen dadurch teils gravierenden Schaden. Denn die Substanzen reichern sich in manchen Organismen an, stören ihren Stoffwechsel, ihr Immunsystem und ihre Reproduktionsfähigkeit.

Spanische Strände im Sommer: Viele Gewässer und Küstenabschnitte sind weltweit einem starken Nutzungsdruck ausgesetzt.
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Sie beeinflussen das Wachstum negativ, können Schäden im Erbgut und bei Korallen sogar die für sie tödliche Bleiche hervorrufen. Als diese Folgen durch wissenschaftliche Arbeiten ans Licht kamen, reagierten Hawaii, die Jungferninseln, Aruba, Thailand und Palau mit Verboten der Chemikalien in Sonnenschutzmitteln.

Große Unbekannte in Seen und Flüssen

Wenn die Stoffe im offenen Meer solch gravierende Schäden verursachen, dass Nationen gesetzlich dagegen ankämpfen, wie können die Substanzen in Seen oder anderen kleineren Gewässern unproblematisch sein? Die Antwort ist ernüchternd: Wie groß ihr Eintrag ist und welche Wirkungen sie entfalten, wird nicht explizit eruiert.

In den bisherigen Sommern hat in Österreich niemand systematisch geprüft, wie die Situation in Badeseen, Schotterteichen oder Flüssen aussieht. Das Umweltbundesamt, die Agentur für Ernährungssicherheit, das Bundesamt für Wasserwirtschaft sowie Landesstellen für Gewässerschutz beurteilen die Gewässergüte etwa anhand darin befindlicher Bakterien beziehungsweise Krankheitserreger. Überprüft werden auch chemische Substanzen und Nährstoffeinträge, die etwa aus der Landwirtschaft stammen.

Österreichs Seen werden nicht systematisch auf bestimmte Schadstoffe aus Sonnenschutzmitteln analysiert.
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Keine Erfassung, kein Problem

Auf Nachfrage lassen jedoch alle Stellen wissen, dass Sonnencreme bei den Testverfahren nicht erfasst wird. "Es gibt Einzelkämpferinnen und Einzelkämpfer, die sich der Thematik widmen, aber durchschlagskräftige Forschungsteams fehlen", sagt Stefan Schmutz vom Institut für Hydrobiologie und Gewässermanagement der Wiener Universität für Bodenkultur (Boku).

"Es ist ein permanenter Feldversuch an Ökosystemen und auch an Menschen." – Stefan Schmutz, Institut für Hydrobiologie und Gewässermanagement, Boku

Von mancher Behörde und manchem Forschungsinstitut ist zu hören, dass man nicht wisse, ob Rückstände von UV-Blockern in heimischen Gewässern Umweltprobleme auslösen. Allerdings: Was nicht betrachtet und quantifiziert wird, kann kaum als Problem erkannt werden. Die Datenlage ist dürftig, umfassende Forschungsprojekte fehlen.

Eine der raren Untersuchungen führte ein Team um Umweltwissenschafter Thilo Hofmann durch. Die Wissenschafter stellten fest, dass die Menge von aus Sonnencremes stammenden Nanopartikeln in der Alten Donau im Sommer deutlich höher liegt. Die Auswirkungen der Stoffe in dem stark genutzten Gewässer waren nicht Teil der Untersuchung.

Risiken und Wechselwirkungen

Zwei Arten von UV-Filtern bewahren (Sonnen-)Badende vor Haut- und Gesundheitsschäden: chemisch-organische und mineralische Filter. Letztere basieren auf Zinkoxid oder Titanoxid, häufig in Form von Nanopartikeln.

Eine Reihe dieser Inhaltsstoffe verändert in der Umwelt ihre Eigenschaften – im Hinblick auf Wasserorganismen größtenteils zum Schlechteren. Nanopartikel zerfallen, chemische Inhaltsstoffe formen neue Verbindungen. In beiden Fällen können sich neue, unvorhergesehene und ungewollte Auswirkungen auf Wasserlebewesen ergeben. Nur ein Bruchteil davon ist bekannt und erforscht.

Jedes Jahr kommen tausende neue Substanzen auf den Markt, manchen kann erst im Nachhinein umweltschädliche Wirkung nachgewiesen werden. Bei UV-Filtern ist das nicht anders. "Es ist ein permanenter Feldversuch an Ökosystemen und auch an Menschen", sagt Schmutz. Hier müsse das Vorsorgeprinzip stärker gelten.

Bedenklicher Ersatzstoff Octocrylen

Bei den chemischen UV-Filtern Octinoxat (Ethylhexyl-Methoxycinnamat) und Oxybenzon (Benzophenon-3), verboten etwa im hawaiianischen Riffgesetz, dauerte es bis zur ersten gesetzlichen Regulierung. Eine Forschungsgruppe der Stanford University fand heraus, dass Korallen Oxybenzon aus Sonnenschutzmitteln aufnehmen und in Phototoxine umwandeln.

So werden die Moleküle durch Sonneneinstrahlung schädlich. "Es war seltsam zu sehen, dass Oxybenzon das Sonnenlicht für Korallen giftig macht – das Gegenteil von dem, was es eigentlich tun sollte", sagt der an der Studie beteiligte Forscher William Mitch.

Korallen gehören zu den Lebewesen, die global am stärksten unter den negativen Konsequenzen abgewaschener Sonnencreme leiden.
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Auch zeigte sich, dass bereits niedrige Konzentrationen der Substanz in weniger als 24 Stunden die Hälfte der Korallenlarven abtöten. Oxybenzon ist zudem ein endokriner Disruptor in Fischen, wirkt also hormonähnlich. Die Chemikalie verändert den Östrogenspiegel, verhindert den Fortpflanzungserfolg und schädigt die DNA.

Nach dem Verbot der UV-Filter kamen Stoffe wie Octocrylen in die Cremes und Sprays. Erste wissenschaftliche Untersuchungen fanden auch bei dieser Substanz Hinweise auf Zelltoxizität und einen veränderten Fettsäurestoffwechsel in Korallenpolypen. Auch entstehen als Abbauprodukte dieses Ersatzstoffs etwa Oxybenzon und Benzophenon.

Umweltfreundlich – aber noch schädlicher

Ein Forschungsteam des Instituts für Paläontologie der Universität Wien nahm in einer heuer erschienenen Studie zwei konventionelle und zwei als umweltfreundlich deklarierte Sonnenschutzmittel unter die Lupe. Die Gruppe konzentrierte sich auf die Auswirkungen auf marine Einzeller, die Foraminiferen, die in Symbiose mit Kieselalgen leben.

Die Einzeller leisten unter anderem einen wesentlichen Beitrag zum marinen Kohlenstoff- und Stickstoffkreislauf. Wie sich herausstellte, schädigt insbesondere als umweltfreundlich ausgegebener Sonnenschutz diese Kleinstlebewesen.

Diese Kieselalgen werden durch Wirkstoffe handelsüblicher Sonnenschutzmittel geschädigt, ergab eine Studie der Uni Wien.
Foto: Matthias Nagy

Im Vergleich zur Erforschung der negativen Effekte von UV-Filtern in Ozeanen existieren für Süßgewässer und tatsächliche Belastungswerte einzelner Gewässer aber vergleichsweise wenige Daten. Am Institut für Paläontologie zeigt sich Petra Heinz überzeugt, dass auch Einzeller im Süßwasser von Sonnenschutzmitteln beeinflusst werden.

Die Leiterin der Fakultät für Geowissenschaften, Geografie und Astronomie war an der Studie zu Foraminiferen in marinen Ökosystemen beteiligt. "Es wäre unwahrscheinlich, dass Einzeller im Süßwasser nicht ebenfalls Schaden durch diese Stoffe nehmen", sagt sie und hebt die Notwendigkeit für mehr und weiterführende Forschung hervor.

Winzige Partikel mit großer Wirkung

Wie Nano-Zinkoxid auf Mikroorganismen wirkt, wurde 2009 am Wassercluster Lunz im Lunzer See analysiert. Schon in geringen Mengen schädigen sie die Zellmembran der Kleinstlebewesen, geht aus der Studie hervor. Dies habe "noch unbekannte Auswirkungen auf das Funktionieren und die Gesundheit von Ökosystemen", heißt es darin.

Martin Kainz vom Wassercluster Lunz sieht UV-Filter auf Basis von Nanopartikeln als besondere Gefahr. Sie beeinträchtigen das Wachstum von Algen und verringern die Schwimmgeschwindigkeit von Fischen. Nanopartikel können Schwermetalle aufnehmen, die auch in den Körpern von Tieren landen.

Im Fall von Zooplankton, das Fischen als Nahrung dient, können diese über die Nahrungskette auch zum Menschen gelangen. Diese Probleme bestehen im Salz- wie im Süßwasser.

Eine Wasserprobe aus einem österreichischen Badesee in einer Petrischale.
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Sinken diese Bestandteile ab, können sie sich im Sediment ansammeln und sich negativ auf dort lebende Organismen auswirken. In weiterer Folge bedeutet das wiederum, dass auch Fische, die diese Kleinstlebewesen fressen, dadurch in Mitleidenschaft gezogen werden. "Selbst emergierende Insekten wie etwa Libellen können von den Stoffen beeinflusst werden", sagt Kainz. Da sie als Futter für viele Vogelarten dienen, durchwandern Schadstoffe auch ganze Nahrungsketten.

Kollaps lokaler Ökosysteme

Wie es im Süßwasser lebenden Wasserflöhen (Daphnia magna) bei Kontakt mit chemisch-organischen UV-Filtern wie Avobenzon, Oxybenzon und Octocrylen ergeht, haben Forschende der University of Alberta analysiert. Die Tiere verloren nach 48 Stunden ihre Fähigkeit zu navigieren, nach zwei Wochen waren sie verendet. An der Basis der Nahrungskette stehend, könnten grobe Schädigungen der Organismen einen unheilvollen Dominoeffekt in Gang setzen.

"Toxische Einträge wirken nie nur lokal." – Martin Kainz, Wassercluster Lunz

Fallen die kleinen Lebewesen in großer Zahl weg, leiden darunter etwa Fischpopulationen, mit gravierenden Folgen. "Der Verlust einer Daphnien-Population würde alle Arten, die auf sie angewiesen sind, dem Risiko des Hungertodes aussetzen und unter bestimmten Bedingungen dazu führen, dass das lokale Ökosystem zusammenbricht", sagt Erstautor Aaron Boyd.

Die Folgen des Eintrags von UV-Filtern in Süßwasser rücken allmählich stärker in den Forschungsfokus. Vielfach fehlt allerdings die Finanzierung großangelegter Studien.
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Untersuchungen aus Kansas legen zudem nahe, dass Sonnenschutzmittel das Wachstum von Wasserpflanzen bremsen. Im Test zeigten wiederum jene Produkte einen besonders negativen Einfluss, die als umweltfreundlich deklariert waren.

Langanhaltende Wirkung, mangelnde Daten

"UV-Filter, egal welche, werden nur sehr langsam abgebaut und können lange in Gewässern bleiben", erklärt Kainz. Sie können also auch in nachfolgenden Sommern noch negative Wirkungen entfalten – und in weit entfernten Gebieten. "Toxische Einträge wirken nie nur lokal."

Nach wie vor wisse man jedoch generell zu wenig darüber, wie diese Stoffe die Lebewesen in Seen, Flüssen und im Meer schädigen, sagt Kainz. Er plädiert dafür, von singulären Analysen – Momentaufnahmen eines einzigen Ökosystems beziehungsweise Gewässers – zu systematischen Betrachtungen überzugehen. "Man muss die Thematik über längere Zeiträume hinweg und multifaktoriell betrachten."

Sonnenschutzrückstände wirken nicht nur dort, wo sie ins Wasser gelangen. Sie werden in Flüsse getragen und fließen oftmals in den Ozean als letzte Senke für Schadstoffe.
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Die Untersuchung des Gehalts von Sonnencremerückständen in Seen und Flüssen birgt jedoch Tücken, wie Schmutz erläutert. Bei den fraglichen Substanzen handelt es sich mitunter um Spurenstoffe, die in nicht in allzu großen Ansammlungen auftreten.

"Wir würden Sonnencreme nicht trinken, und wir sollten auch keine Seen oder andere Gewässer sozusagen damit füttern." – Martin Kainz, Wassercluster Lunz

Solche Mengen und deren Wirkung festzustellen erfordere teils teure Geräte und Methoden, die in Österreich nicht verfügbar seien. Österreich habe hier dringenden Aufholbedarf bei der Forschungsförderung. Aktuell seien Spurenstoffe kaum zu detektieren. Für wirklich großangelegte Projekt "reichen die Forschungsgelder nicht", sagt Schmutz.

Einflussgröße Klimawandel

Wenn auch große Daten- und Wissenslücken klaffen, müsse nach derzeitigem Forschungsstand alles getan werden, "damit diese Fremdstoffe nicht in aquatische Ökosysteme gelangen", erklärt Kainz. "Wir würden Sonnencreme nicht trinken, und wir sollten auch keine Seen oder andere Gewässer sozusagen damit füttern."

Ungewiss ist bislang nicht nur der Gehalt von Sonnenschutzmitteln in heimischen Gewässern, sondern auch der Einfluss veränderter Umweltbedingungen auf ihre Toxizität. Wie Hitze, Dürre und andere Extremwetterereignisse die Toxizität dieser Schadstoffe beeinflussen und verändern, ist ebenfalls ein blinder Fleck. Die derzeit niedrigen Pegelstände erhöhen Kainz zufolge etwa die Konzentration möglicher Schadstoffe im verbliebenen Wasser.

Vom Boden- bis zum Neusiedler See braucht es Fachleuten zufolge ein umfassendes Screening. Auch weisen sie auf den dringenden Forschungsbedarf hin.
Foto: APA/Barbara Gindl

Dringender Call for Action

"Wir müssen diese Fragen stellt, weil wir heute in dieser Realität leben", sagt er. Hohe Temperaturen etwa beeinflussen den Stoffwechsel, was auch bedeuten kann, dass Fische mehr fressen, wodurch sie auch mehr schädliche Substanzen aufnehmen.

Großflächige Studien, die miteinander verknüpfte Ökosysteme über lange Zeitspannen betrachten, seien ihm nicht bekannt – und auch "Screenings vom Bodensee bis zum Neusiedler See" fehlen. Genau solch ein Monitoring brauche es aber.

"Dass es breit aufgestellte Forschungsprogramme und die dafür nötige Finanzierung braucht, ist klar", unterstreicht er. Es sei ein Call for Action: Denn auch wenn der Herbst ins Haus steht, der nächste Badesommer kommt bestimmt. (Marlene Erhart, 3.9.2022)