Elīna Garanča betrieb die sängerische Ehrenrettung zweier übel beleumundeter Opernfiguren: von Dalila und Kundry.

Foto: imago images/Weisflog

Eine Sternschnuppe verglüht in Sekunden. Dieses klingende Licht-Ereigniss hielt sich von abends um Neun bis Mitternacht am Himmel: Die Wiener Philharmoniker unter der Leitung von Daniel Barenboim spielten jeweils den zweiten Akt von Camille Saint-Saëns' Samson et Dalila und Richard Wagners Parsifal.

Vom Frauenbild soll jetzt einfach einmal nicht die Rede sein. Dalila, die den feindlichen Feldherrn Samson betören und das Geheimnis seiner Kraft erkunden will: eine böswillige Hexe, die die Liebe missbraucht. Kundry, eine missbrauchte Frau, die zur Strafe – sie hat vor Jahrtausenden den leidenden Gottessohn ausgelacht – Ritter zugrunde richten muss für den Zauberer Klingsor, der den Gral selber unter seine Fuchtel kriegen will.

Elīna Garanča sang sie beide, Dalila und Kundry, mit einer Souveränität, Präsenz und Brillanz, die den jeweiligen Akt für die jeweils gesamte Oper stehen ließen. Kontrollierte Fülle, facettenreicher Sound in allen Lagen, Lagenwechsel dabei kein Thema und schon gar kein Problem, kontrollierte Expressivität und hervorragende Textverständlichkeit: ganz hohe Gesangskunst.

Besserer Stichwortgeber

Als Samson war der Amerikaner Brandon Jovanovich der Garanča nicht ganz ebenbürtig, er ist in dieser entscheidenden Szene fast nur ein besserer Stichwortgeber, als reiner Tor Parsifal sehr wohl. Das geradezu poetische Streitgespräch über "Reinheit", ein Konzept, das nicht nur im Wagner-Kontext die Haare zu Berge stehen lässt, war ebenfalls sängerisch exemplarisch. Strahlende sichere Höhe, Textdeutlichkeit, reiches Timbre. Da soll sich der Gral nicht zieren! Hier wird die unfreiwillige Verführerin wenigstens erlöst und nicht verdammt.

Daniel Barenboim am Pult der Wiener Philharmoniker, dieser Tage einen Dirigierstuhl verwendend, malte mit großzügiger Geste detaillierteste Klangflächen. Ließ das Orchester immer wieder zur vollen philharmonischen Opulenz auflaufen und bot dennoch der Solistin und den beiden Solisten ideale Entfaltungsmöglichkeit auf feinstem Sound. Der dritte im Bunde war Michael Volle als Le Grand-Prêtre de Dagon bei Saint-Saëns, ein an sich untadeliger Stammesfürst, der halt sein Volk nicht besiegt wissen will, und als ein wahrhaft diabolischer Klingsor bei Wagner. Die Damen der Konzertvereinigung Wiener Staatsopernchor, einstudiert von Jörn Hinnerk Andresen, bevölkerten zusammen mit brillanten Teilnehmerinnen am Young Singers Project der Festspiele Klingsors Zaubergarten als Blumenmädchen. Auch hier waren hervorragende sängerische Einzelleistungen auszumachen.

Alles zusammen möchte man gerne wiederhören, aber zu einer früheren Stunde. Die 21-Uhr-Schiene der Festspiele ist pure Brutalität. Das Publikum brachte trotz der mitternächtlichen Stunde am Ende noch massive Energie zum Jubeln und Toben auf. (Heidemarie Klabacher, 21.8.2022)